| # taz.de -- Regisseurin Ariane Labed über Debütfilm: „Ich kenne diese Welt … | |
| > Ariane Labed debütiert mit ihrem Film „September & July“ als Regisseurin. | |
| > Sie spricht über komplexe Figuren und den nötigen Wandel der Branche. | |
| Bild: Hier noch harmonisch: September (Pascale Kann), Sheela (Rakhee Thakrar) u… | |
| Gleich für ihre erste Kinorolle in [1][Athina Rachel Tsangaris „Attenberg“] | |
| wurde Ariane Labed 2010 in Venedig als beste Darstellerin ausgezeichnet. | |
| Seitdem prägte die 1984 in Athen geborene Französin die Neue Welle des | |
| griechischen Kinos maßgeblich mit, vor allem in „Alpen“ und [2][„The | |
| Lobster“ von Yorgos Lanthimos], mit dem sie seit 2013 verheiratet ist. Nun | |
| präsentiert die 40-Jährige ihr Regiedebüt, „September & July“, über zwei | |
| jugendliche Schwestern und ihre symbiotische Beziehung, die sie als | |
| Mischung aus schwarzhumoriger Charakterstudie und klaustrophobischem | |
| Schauermärchen inszeniert. | |
| taz: Frau Labed, Ihr Film basiert auf dem 2020 erschienenen Roman „Die | |
| Schwestern“ der britischen Autorin Daisy Johnson. Was hat Sie daran | |
| interessiert? | |
| Ariane Labed: Mich haben vor allem die beiden Mädchen und ihre ambivalente | |
| Beziehung angezogen, wie die weibliche Psyche in der Pubertät und in der | |
| Dynamik einer Familie eingefangen wurde. Und ich war fasziniert von | |
| Johnsons Schreibstil. Sie ist eine gefeierte Gothic-Autorin und steht für | |
| eine Kultur, die ich kaum kannte. Für mich ging es also darum, mir diese | |
| Welt zu eigen zu machen. Ich wollte nicht die Kästchen des Genres abhaken, | |
| sondern meinen eigenen Zugang finden. Für mich standen dabei die weiblichen | |
| Figuren im Mittelpunkt, die so komplex sind und Eigenschaften haben, die | |
| normalerweise eher mit Männlichkeit in Verbindung gebracht werden, wie | |
| Gewalt oder Manipulation. | |
| taz: Die Beziehung zwischen den beiden Schwestern ist anfangs liebevoll und | |
| beschützend … | |
| Labed: … und entpuppt sich nach und nach als dunkel und krank. Es geht | |
| darum, wie Liebe, sogar innerhalb einer Familie, zu etwas sehr Gefährlichem | |
| werden kann, wenn es keine Grenzen gibt. Oft verwechseln wir Liebe mit | |
| gegenseitiger Abhängigkeit. Wenn wir uns an unsere Liebe klammern und uns | |
| von den Traumata der anderen ernähren, wird es toxisch. | |
| taz: Wie haben Sie sich die Geschichte zu eigen gemacht? | |
| Labed: Ich habe versucht, sie mit meinen eigenen Erfahrungen in Verbindung | |
| zu bringen, die Gefühle und Gedanken als Jugendliche, was es heißt, zwei | |
| ältere Schwestern zu haben. Mit diesem Rebellischen und Exzentrischen | |
| konnte ich mich gut identifizieren, weil ich damals selbst so war. Jeder | |
| Teenager sucht nach seinem Platz in der Welt und hat Schwierigkeiten, sich | |
| anzupassen. Dieses Austesten von Grenzen, die Machtspiele mit den | |
| Geschwistern, machen wir alle durch, wenn wir unsere eigene Persönlichkeit | |
| aufbauen und unsere Identität finden. Im Film ist es nur ein bisschen | |
| heftiger als in den meisten Familien. | |
| taz: Sie sind Französin, pendeln zwischen London und Athen, arbeiten | |
| international. Haben Sie Ihren Platz in der Welt gefunden? | |
| Labed: Nein. Und ich glaube auch nicht, dass ich das will. Ich möchte meine | |
| Reise fortsetzen, in Bewegung bleiben. Wir Menschen sind unser ganzes Leben | |
| lang auf der Suche nach etwas, wer wir sind, wo wir hingehören. Das birgt | |
| auch die Gefahr, ständig unzufrieden zu sein. Ich versuche, im Moment zu | |
| leben. Wo, ist dann zweitrangig. | |
| taz: „September & July“ haben Sie auf 16 und 35mm gedreht. Wie haben Sie | |
| den Stil des Films entwickelt? | |
| Labed: Die Ästhetik ergab sich aus der Entscheidung, nicht digital zu | |
| drehen. Ich wollte das Organische, auch das Schmutzige von echtem | |
| Filmmaterial. Und wir haben versucht, ein Gefühl von Zeitschichten zu | |
| vermitteln, vor allem im Haus auf dem Land. Auch wenn es mir zunächst nicht | |
| bewusst war, habe ich es nach eigenen Erinnerungen gestaltet. Das Haus sah | |
| am Ende dem meiner Großeltern sehr ähnlich. Und ich versuche, mit dem zu | |
| brechen, was wir in Filmen für schön halten, besonders wenn es sich um | |
| weibliche Figuren handelt. Das Kino trägt sehr viel zur Aufrechterhaltung | |
| des Status quo bei. Es gilt als toll, schön und sexy zu sein. An diesen | |
| Normen misst sich für viele Mädchen und Frauen der Selbstwert. Ich wollte | |
| über Sexualität und Begehren sprechen, ohne sie zu sexualisieren. Das | |
| drückt sich etwa in der Kleidung aus, die wir verwenden. Die Mädchen | |
| versuchen nicht, jemandem zu gefallen. | |
| taz: Wie herausfordernd war es, den Film nach Ihren Vorstellungen zu | |
| realisieren? | |
| Labed: Ich war sehr froh, den Film in Irland drehen zu können, weil ich | |
| dort nicht kämpfen musste, um zum Beispiel einen Intimitätskoordinator zu | |
| bekommen. Das war für mich sehr wichtig. In Frankreich wird immer noch wie | |
| zu Godards Zeiten gearbeitet, es ist etwa sehr schwer, dem Produzenten | |
| klarzumachen, dass die Sicherheit für alle Priorität hat. Ich bin mir | |
| sicher, dass ich in Irland weniger Probleme hatte, als wenn ich den Film in | |
| meinem eigenen Land gemacht hätte, was absurd ist. Und ich arbeite hart | |
| daran, das zu ändern. | |
| taz: Inwiefern? | |
| Labed: Ich setzte mich in der französischen Filmbranche für | |
| Chancengleichheit ein. Wir haben zwar vergleichsweise viele Regisseurinnen, | |
| aber von 50/50 sind wir noch weit entfernt. Und es geht nicht nur darum, | |
| eine Frau auf dem Regiestuhl zu haben. Wenn wir die patriarchalische | |
| Arbeitsweise beibehalten und diese Branche nicht von innen heraus | |
| verändern, werden wir immer noch eine Person haben, die denkt, alles von | |
| jedem verlangen zu können. Das braucht einen größeren und längeren | |
| kulturellen Wandel, eine Änderung des Denkens und der Einstellung. | |
| taz: Welches Kino hat Sie geprägt? | |
| Labed: Mich haben vielen Regisseur*innen beeinflusst. Vor allem Chantal | |
| Ackerman. Alles, was ich tue und was ich bin, ist von ihrem Universum | |
| inspiriert. Auch Ulrich Seidl, ich liebe seinen Humor und seine Dunkelheit. | |
| Kelly Reichardt, wie sie mit Dialogen umgeht. Alice Rohrwacher für die | |
| Freiheit, mit der sie beim Drehen Normen in Frage stellt. Es gibt so viele | |
| … | |
| taz: Ihr Partner im Leben und in der Kunst ist Yorgos Lanthimos. Inwieweit | |
| beeinflussen Sie sich gegenseitig? | |
| Labed: Wir haben im Laufe der Jahre Gedanken und Ideen ausgetauscht, aber | |
| ich kann nicht genau sagen, inwieweit wir uns damit gegenseitig geprägt | |
| haben. Yorgos ist ein Regisseur, den ich sehr bewundere, also hat er mich | |
| natürlich inspiriert. Und es ist hilft, wenn man nicht nur den Regisseur | |
| kennt, sondern auch den Mann dahinter … | |
| taz: Sehen Sie Ihre Zukunft vor allem hinter der Kamera? | |
| Labed: Ich möchte beides machen, auch weiterhin schauspielern. Es ist | |
| schwierig, Zeit für beides zu finden, aber das ist der Traum. Ich glaube, | |
| dass es sich gegenseitig befruchtet. Dies war mein erster eigener | |
| Spielfilm, aber ich war in den letzten 15 Jahren weit öfter am Set als die | |
| meisten Regisseure, mit denen ich gearbeitet habe. Ich kenne diese Welt | |
| also ziemlich gut. Ich kenne die Gefahren, die Machtdynamik. | |
| taz: Gerade sind Sie auch in einer Nebenrolle im [3][oscarprämierten „Der | |
| Brutalist“] zu sehen. Inwiefern hat die Erfahrung, bei einem Spielfilm | |
| Regie zu führen, Ihre Arbeit als Schauspielerin verändert? | |
| Labed: Schauspielen ist so viel entspannter, weil man weniger Verantwortung | |
| hat. „Der Brutalist“ haben wir vor meinem Film gedreht, aber danach spielte | |
| ich noch in einer französischen Serie, weil ich Geld verdienen musste. Und | |
| da habe ich gemerkt: Wow, ich kann mich zurücklehnen und ein bisschen | |
| genießen. Vielleicht ist es an der Zeit, mich als Schauspielerin selbst | |
| nicht so wichtig zu nehmen. Und einfach dem Prozess zu folgen und den | |
| Leuten zu vertrauen. Aber ich weiß eben auch, was man anders und besser | |
| machen kann, wie man Menschen respektieren und gute Arbeit leisten kann. | |
| Ich werde nie wieder den Mund halten. | |
| 7 Mar 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Thomas Abeltshauser | |
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