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# taz.de -- Klimaaktivismus: Tausche Kindheit gegen Klimaschutz
> Die indische Aktivistin Licypriya Kangujam erlebt die Klimakrise hautnah.
> Auf Konferenzen und dem Schulhof kämpft die 13-Jährige für Gerechtigkeit.
Bild: Die 13-jährige Licypriya Kangujam
Delhi taz | Vor einem rollenden Kiosk mit Solardach steht Licypriya
Kangujam auf dem Schulhof. Auf der Theke reihen sich Töpfe mit Bäumchen,
Päckchen mit Reis und Schulsachen. In ihrem Plastic Money Shop können ihre
Mitschüler:innen und alle anderen Menschen Einwegplastik gegen
Nützliches eintauschen. Damit möchte die 13-Jährige klarmachen, dass sie
eine Welt, in der der Klimawandel künftige Generationen bedroht, nicht
einfach hinnimmt. Der Pop-up-Tauschladen, den sie zu verschiedenen Schulen
bringt, ist nur eine der Initiativen der Aktivistin. Außerdem steht sie auf
unterschiedlichsten Bühnen.
Nach diesen Winterferien kehrte sie etwa von einem Zukunftsgipfel im
südindischen Kerala an ihre Schule am Rande der indischen Hauptstadt Delhi
zurück. Die Zukunft ist ein Thema, das ihr nahegeht, da [1][aktuelle
Klimaberichte ein düsteres Bild für junge Menschen zeichnen].
Das entmutigt Licypriya jedoch nicht. Sie versucht, etwas zu bewegen, und
findet klare Worte. „Veränderung ist möglich, wenn wir alles daransetzen“,
sagt sie bei einem Treffen in ihrer Schule im nordindischen Noida.
An diesem Tag ist der Himmel fast blau – ein seltener Anblick im
winterlichen Delhi, wo abgebrannte Felder, Böller oder intensives Heizen
die Luft trüben. Mit dieser Feinstaubbelastung „können wir nicht einmal
richtig atmen“, klagt sie. Und nicht nur das: „Im Winter sind wir hoher
Luftverschmutzung ausgesetzt, und im Sommer kämpfen wir gegen die Hitze.“
In Indien prallen [2][Überschwemmungen, Dürren, Wirbelstürme,
Heuschreckenplagen, Luftverschmutzung und Waldbrände aufeinander].
## Stimme gegen Premierminister und Großkonzerne
Da gerade junge Menschen unter Umweltkrisen leiden, „müssen unsere Stimmen
gehört werden“, fordert die Klimaaktivistin. Doch in Indien ist es für
junge Leute nicht einfach, sich Gehör zu verschaffen. Die politische
Landschaft, insbesondere auf nationaler Ebene, wird von weitaus älteren
Akteuren dominiert. So wurde im vergangenen Jahr der inzwischen 74-jährige
Premierminister Narendra Modi wiedergewählt, obwohl das Durchschnittsalter
im Land weniger als 29 Jahre beträgt.
Trotz ihres Alters scheut sich Licypriya nicht, ihre Stimme auf der Straße,
im Netz und auf öffentlichen Plattformen zu erheben. Von dem indischen
Premierminister verlangte sie ein Klimaschutzgesetz, mit Plakaten
protestierte sie gegen klimaschädliche Großkonzerne.
„Ich habe mich in jungen Jahren für den Aktivismus entschieden, da
Politiker versagt haben“, sagt sie mit bebender Stimme. Sie sieht Indien
zwar als [3][globalen Vorreiter in Klimafragen], doch: „Uns läuft die Zeit
davon. Wenn wir nicht sofort und entschlossen handeln, riskieren wir den
totalen Zusammenbruch.“ Sie hofft, dass die Regierung mehr unternimmt, um
das Bewusstsein für den Klimawandel in der Bevölkerung zu stärken.
## Schmuck gegen Reise zur Klimakonferenz
Ihre Familie ermöglichte ihr den Zugang zu großen Bühnen und unterstützte
sie beim Tauschladen. Doch anfangs war ihre Mutter skeptisch: „Sie machte
sich Sorgen um meine Schulbildung. Ich versprach ihr, beides miteinander zu
vereinbaren – und ich habe mein Versprechen gehalten.“ Als sie 2019 zur
Klimakonferenz nach Madrid eingeladen wurde, fehlte ihr zunächst das Geld,
um dort hinzukommen. Ihre Mutter tauschte Schmuck ein und finanzierte
Licypriya einen Teil der Reise.
Im Rahmen der [4][COP25 in Madrid] forderte die damals Achtjährige die
Staats- und Regierungschefs zu sofortigen Klimaschutzmaßnahmen auf. UN-Chef
António Guterres ehrte ihr Engagement. „Ihre Anwesenheit erinnert uns an
unsere Verpflichtungen gegenüber zukünftigen Generationen.“
## Warum sollte man mich Greta nennen?
Schnell wurde sie mit der [5][neun Jahre älteren Klimaaktivistin Greta
Thunberg] verglichen, was ihr den Spitznamen „Greta von Indien“ bescherte.
Doch so sehr die Schwedin für Licypriya ein Vorbild ist, so sehr besteht
sie auf ihren Namen. „Ich bin Licypriya aus Indien. Warum sollte man mich
Greta nennen, wenn ich meinen eigenen Namen, meine eigene Identität und
Kultur habe?“
Geboren im nordöstlichen Bundesstaat Manipur und aufgewachsen im östlichen
Teil des Landes, erfuhr Licypriya früh, wie verheerend die Folgen des
Klimawandels sein können. Mit sieben Jahren erlebte sie die Auswirkungen
der Zyklone „Titli“ (2018) und „Fani“ (2019), die Teile Indiens und
Bangladeschs hart trafen. Die Tropenstürme brachten nicht nur heftige
Regenfälle mit sich, sondern entwickelten eine verheerende Kraft, die
Menschenleben forderte: „Vor meinen Augen wurden Häuser zerstört. Ich
musste mit ansehen, wie Kinder, ihre Eltern und ältere Menschen –
unschuldige Leben – verloren gingen“, sagt sie.
2019 zog Licypriya mit ihrer Familie nach Delhi. Dort machte ihr die
Erfahrung extremer Hitzewellen bewusst: Der Klimawandel ist keine ferne
Krise, sondern ganz nah. Zuletzt sorgte Licypriya auf der [6][COP in Dubai]
für Aufsehen, als sie aus Frust über die Untätigkeit auf einer hochrangigen
Plenarsitzung die Bühne stürmte und mit einem Plakat den Ausstieg aus
fossilen Brennstoffen forderte.
„Es kann nicht sein, dass wir Schulkinder Gefahr laufen, durch
Klimakatastrophen unser Leben, unsere Eltern, unser Zuhause zu verlieren“,
sagt sie. Veränderungen bemerkt sie auch in ihrer Heimat Manipur, die
eigentlich für ihre artenreiche Natur bekannt ist. Biodiversitäts-Hotspots
hätten sich in Klima-Hotspots verwandelt. „Wir sind mit Wasserknappheit
konfrontiert, Kinder holen aus großer Entfernung Wasser, statt in die
Schule zu gehen, es findet massive Abholzung statt, wodurch der Lebensraum
für Tiere schrumpft. Und es wird Schlafmohn angebaut, es gibt Gewalt“, sagt
sie. Vor zwei Jahren eskalierte ein ethnischer Konflikt in der Region,
seitdem starben etwa 250 Menschen. Auf die gravierenden Folgen dieser
Entwicklungen macht Licypriya immer wieder aufmerksam.
## Die Kindheit hinter sich lassen
Zwischenzeitlich hatte sie wegen ihres Aktivismus Schwierigkeiten, in der
Schule mitzuhalten. Reisen und Protestaktionen nehmen Zeit in Anspruch.
Nun sind internationale Konferenzen dazugekommen. Deshalb fehlt sie
manchmal in der Schule. Unterstützung bekommt sie aber von der
Schulleitung, von Lehrer:innen und auch von ihren Mitschüler:innen,
die Verständnis haben, wenn sie nicht zum Unterricht kommt, und mit ihr
Notizen teilen.
Bei Aktionen wie „Monday for Mother Nature“ pflanzt sie mit anderen jungen
Menschen Bäume. Ihre Eltern begleiten sie zu Konferenzen, bei Protesten an
Orten wie vor dem Parlamentsgebäude ist sie jedoch meist allein. Sie sagt
selbst, dass sie ihre Kindheit hinter sich lassen musste, um sich für den
Planeten einzusetzen. Aus der Kinderaktivistin mit geflochtenen Zöpfen ist
eine meinungsstarke junge Frau geworden, die ihre Haare jetzt meistens als
Pferdeschwanz trägt.
Trotz Herausforderungen, auch persönlicher, bleibt Licypriya optimistisch.
Es gibt unter anderem kritische Stimmen gegen ihren Vater, er nutze die
Bekanntheit seiner Tochter zu seinem Vorteil. Laut Medienberichten wurde
gegen ihn ein Verfahren wegen Betrugs eingeleitet. Zwischenzeitlich wurde
er deswegen verhaftet, später gegen Kaution freigelassen. Ein
abschließendes Urteil im Prozess steht noch aus.
Seit einiger Zeit ist sie Sonderbeauftragte für Klimafragen des Präsidenten
des [7][Inselstaats Osttimor] und überzeugt, dass kleine Schritte wie das
Trennen von Plastikmüll helfen, den Klimawandel etwas auszubremsen. Doch
einen konkreten Wunsch hat sie: Die Industrienationen müssten für
Schwellen- und Entwicklungsländer einen „gerechten Übergang“ aus der
Nutzung von Kohle, Öl und Gas finden.
„Wenn Politiker und Regierungen mehr getan hätten, wäre ich mit sechs
Jahren nicht aktiv geworden“, sagt Licypriya. „Stattdessen hätte ich mit
meinen Freunden gespielt und meine Kindheit genossen.“
1 Mar 2025
## LINKS
[1] /Klimakrise/!6055254
[2] /Hitze-in-Indien/!6015916
[3] /Indiens-komplizierte-CO2-Reduktionsziele/!5870272
[4] /Abschluss-der-COP25/!5646156
[5] /Klimaprotest-in-Stockholm/!5961835
[6] /Klimakonferenz-in-Dubai/!t5018328
[7] /Parlamentswahl-in-Osttimor/!5936607
## AUTOREN
Natalie Mayroth
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