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# taz.de -- Juristin zu gescheiterter §218-Reform: „Wir können nicht weiter…
> In dieser Legislatur wird es keine Reform des Abtreibungsrechts mehr
> geben. Dabei sei dies dringend notwendig, kritisiert die Juristin Liane
> Wörner.
Bild: Protestaktion vor dem Reichstag im Februar 2025
taz: Frau Wörner, Sie waren Teil der Kommission, die der Bundesregierung
die Legalisierung früher Abbrüche empfohlen hat, und haben am Montag dazu
als Sachverständige im Rechtsausschuss gesprochen. Dort wurde eine
Abstimmung über den Gesetzentwurf von Union und FDP blockiert. Was sagen
Sie?
Liane Wörner: Die Reform ist gescheitert. Diese Legislatur hat es nicht
geschafft, die für dieses Land dringend notwendige Gesetzesreform auf den
Weg zu bringen. Sie hat es nicht geschafft, Frauen gleichzustellen und ihre
Rechte zu achten. Besonders schade ist, dass Union und FDP gar nicht
wirklich bereit waren, zu diskutieren. Sie haben sich auf die Argumente der
Sachverständigen überhaupt nicht eingelassen. Dabei hat [1][der
Gesetzentwurf wirklich auf Kompromiss abgezielt] und die Rechte von
Ungeborenen und Schwangeren sehr genau abgewogen. Die Lösung war eigentlich
auf dem Tablett serviert worden.
taz: Der überfraktionelle Gesetzentwurf von SPD, Grünen und Linken sah
legale Abbrüche bis zur 12. Woche mit Beratungspflicht vor. Er hat sich
sehr eng an den [2][Mindest-Empfehlungen der Kommission] orientiert. Die
Union hat ihn als verfassungswidrig bezeichnet. Was entgegnen Sie?
Wörner: Das Einzige, was Union und FDP dafür vorgetragen haben, ist die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1993. Nun hat eine
[3][neunköpfige Kommission aus Expertinnen über zwölf Monate regelmäßig
getagt] und auch genau die Frage nach dem Verfassungsrecht intensiv
geprüft. Wir sind ja davon ausgegangen, dass eine neue Gesetzesvorlage sich
in Karlsruhe wiederfinden würde. Der Entwurf legt all das dar. Es gibt
heute andere Sachumstände.
taz: Und zwar?
Wörner: Es ist nicht mehr das Jahr 1993, sondern 2025. Überlegen Sie, aus
welcher Zeit das Urteil stammt: Homosexualität war damals strafbar,
Vergewaltigung in der Ehe straffrei. [4][Reproduktive Rechte haben heute
einen ganz anderen Stellenwert.] Gesetzliche Grundlagen haben sich
geändert, auch internationale Vorgaben haben sich geändert. Und es hat sich
gezeigt, dass das bestehende Modell schlicht nicht funktioniert.
taz: Inwiefern?
Wörner: Vor 30 Jahren ging es darum, eine einheitliche Regelung zu finden.
Es gab die vorgeblich strenge, aber inhaltlich unbestimmte und von
Ärzt:innen ganz unterschiedlich genutzte Indikationsregelung der BRD und
die liberalere Fristenregelung der DDR. Die Idee war, einen Kompromiss
dazwischen zu finden. So entstand das Beratungsmodell: rechtswidrig, aber
nach Beratung und Wartefrist in den ersten 12 Wochen straffrei. Nun zeigt
sich, dass die Lage seither nicht besser geworden ist, sondern noch
schlechter.
taz: Woran machen Sie das fest?
Wörner: Die Schwangere muss jetzt eine Ärzt:in finden, die überhaupt zur
Teilnahme am Verfahren und zu einem rechtswidrigen Eingriff bereit ist, das
alles in sehr kurzer Zeit und mit Pflichtberatung und Wartezeit, und sie
muss es grundsätzlich selbst finanzieren. [5][Die Elsa-Studie hat gezeigt,
dass die Versorgungslage in vielen Regionen völlig unzureichend ist], 85
von 400 Landkreisen sind unterversorgt, die Wegstrecken in Bayern und
Baden-Württemberg sind lang. Die Beratungsregelung schafft es nicht, die
Anzahl an Abbrüchen zu reduzieren. Sie schafft es nicht, Frauen dem
Gesundheitssystem zuzuführen. Sie schafft es nicht, Notlagen zu verhindern,
sondern nur mit Beratung in ungewollte Zustände zu verpflichten. Wir können
nicht weiter wegschauen.
taz: Das Bundesverfassungsgericht hat damals argumentiert, die Rechte des
Ungeborenen müssten gegen die der Frau abgewogen werden.
Wörner: Dem liegt vereinfacht die Vorstellung eines Konflikts zugrunde, den
die Frau notwendig fast immer verliert. Denn es geht immer um das Leben des
Fetus und „nur“ um die Selbstbestimmung der Frau. Doch ein Kind auszutragen
und aufzuziehen ist ein gravierender Einschnitt in ihrem gesamten Leben,
der sich auch nicht wieder umkehren lässt. Das wirkt sich gerade zu Beginn
einer ungewollten Schwangerschaft als unerträgliche Last aus, vor allem in
unserer kinderunfreundlichen Gesellschaft.
Wer den Fetus von Beginn an gleichberechtigt neben die Schwangere hält,
verpflichtet sie in diese vollständige Lebensumwälzung und übergeht, dass
jedenfalls bis zur extrauterinen Lebensfähigkeit der Fetus nicht einfach
von der Schwangeren gelöst werden kann, sie sind eine Einheit. Das ist
zentral und das hat Karlsruhe damals versäumt.
taz: Im kommenden Bundestag werden die Mehrheitsverhältnisse wohl anders
aussehen. Hat eine Reform überhaupt noch eine Chance?
Wörner: Ich gehe davon aus, dass der Bundestag sich unabhängig von den
Mehrheiten weiter mit dem Thema befassen wird und muss. Die progressiven
Parteien werden, in egal welcher Rolle sie sind, weiter auf eine Reform des
Schwangerschaftsabbruchs hinarbeiten. Diese Initiative ist gescheitert,
trotzdem stehen wir an einem ganz anderen Punkt als noch vor einigen
Jahren. [6][80 Prozent der Menschen im Land wollen eine Legalisierung.] Die
evangelische Kirche, der Frauenrat, viele Akteure der Zivilgesellschaft:
Diese Kräfte werden nicht ruhen.
taz: Der aktuelle Entwurf ist eine Minimallösung. Denken Sie, künftige
Initiativen würden weiter gehen?
Wörner: Unbedingt. Mit diesem Entwurf ist man der konservativen Seite sehr
weit entgegengekommen. Dieses Geschenk bekommt man nicht zweimal.
taz: Wenn nicht durch den Gesetzgeber, gibt es andere Wege?
Wörner: Die progressiven Kräfte könnten über eine eigene abstrakte
Normenkontrolle an das Bundesverfassungsgericht nachdenken, durch ein
Bundesland oder aus der Mitte des Bundestags. Darin ließen sich Mängel der
aktuellen Rechtslage aufzeigen, denen man sich heute ja auch nicht mehr
verschließen kann. Aber das bedarf umfassender Prüfung ebenso wie eine
Reihe weiterer denkbar möglicher Maßnahmen.
Es wäre jedenfalls ein mutiger Schritt für Deutschland: Bislang gab es
Normenkontrollanträge immer nur zum Lebensschutz, noch nie für die Rechte
der Frau. Anders als in den USA, wo die großen Grundsatzentscheidungen ja
immer in Fällen getroffen wurden, in denen Frauen gegen die Einschränkungen
ihrer Rechte geklagt haben.
taz: Könnte in Deutschland nicht auch eine Betroffene Verfassungsbeschwerde
einlegen?
Wörner: Das ist bei der bestehenden Rechtslage schwierig. Die Betroffene
müsste den vollen Rechtsweg ausschöpfen und beschwert sein. Die Schwangere
handelt zwar rechtswidrig, aber bestraft wird sie nicht. Also kann sie
dagegen auch nicht klagen. Das eigentliche Problem ist, dass der Staat sie
ohne Gesundheitsleistung mit einem rechtswidrigen Abbruch allein lässt,
umfassend verpflichtet und weitgehend schutzlos stellt. Und zwar gleich, ob
sie sich für oder gegen den Abbruch entscheidet.
taz: Sie haben die internationale Rechtslage angesprochen. Könnte das ein
Weg sein?
Wörner: Es gibt internationale Verträge, nach deren heutiger Auslegung das
Einschränken des Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht mit den
Menschenrechten von Frauen vereinbar ist. Daraus kann man keine
Individualrechte ableiten, aber Deutschland hat sich vertraglich
verpflichtet, sie zu achten. [7][Deshalb wird es für die aktuellen
Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch gerügt.] Das
Bundesverfassungsgericht hat in den letzten Jahren gezeigt, dass es sich in
all seinen Entscheidungen gezielt völkerrechtsfreundlich verhält. Auch dazu
führt der Kommissionsbericht umfassend aus. Wenn also auf welchem Weg auch
immer die Frage in Karlsruhe landet, wird es schwerlich anders zu bewerten
sein, als dass die aktuelle Rechtslage den völkerrechtlichen
Verpflichtungen Deutschlands nicht gerecht wird. Dazu kommt noch die
europäische Entwicklung.
taz: Und zwar?
Wörner: Eine Mehrheit des EU-Parlaments hat dafür gestimmt, reproduktive
Rechte und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in die
EU-Grundrechte-Charta aufzunehmen. Wenn das eines Tages wirklich kommt,
wäre die deutsche Regelung europarechtswidrig.
taz: Und was erwarten Sie nun?
Wörner: In unserem Kommissionsbericht haben wir dem Gesetzgeber einen
weiten Gestaltungsspielraum aufgezeigt, den er nutzen kann. Es ist wirklich
traurig, dass ein Gesetzentwurf, den schon 328 Abgeordnete unterzeichnet
haben, nicht einmal abgestimmt wird. Das widerspricht nach meinem
Dafürhalten jedem demokratischen Verständnis. Und dass das [8][mit der FDP
ausgerechnet eine Fraktion verantwortet], die sich liberal nennt und die
sich 1992 gerade für die Rechtmäßigkeit des Schwangerschaftsabbruchs
eingesetzt hat, ist mehr als bedauerlich. Es wäre wirklich peinlich, erneut
auf Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus Karlsruhe zu warten.
14 Feb 2025
## LINKS
[1] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw49-de-schwangerschafts…
[2] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/presse/pressemitteilungen/kommission…
[3] /Abtreibungen-in-Deutschland/!6001744
[4] /Frauenrechte-bei-Fortpflanzung/!5838230
[5] /Daphne-Hahn-zum-Stigma-der-Abtreibung/!6000665
[6] /Umfrage-zu-Abtreibungen-in-Deutschland/!6004352
[7] /Blauer-Brief-von-den-Vereinten-Nationen/!5667748
[8] /Die-FDP-und-der-Paragraf-218/!6052197
## AUTOREN
Dinah Riese
Amelie Sittenauer
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