Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Eismumien Funde: Das urzeitliche Gefrierfach
> Im tauenden Permafrostboden finden Forschende Tiere und Pflanzen, die
> Jahrtausende erhalten geblieben sind. Schwieriges Thema für die
> Paläontologie.
Bild: Statue eines Mamuts vor dem Permafrost-Institut in Yakutsk
Die Permafrostböden dieser Erde tauen. Der vom Menschen verursachte
Klimawandel lässt die dauergefrorenen Böden aufweichen. Dadurch werden
klimaschädliche Treibhausgase freigesetzt, die den Klimawandel weiter
anheizen und gefährliche Kipppunkte in Gang setzen könnten. Dabei taucht
auch auf, was seit Jahrhunderten in den Tiefen des Permafrosts schlummerte.
Was klingt wie der Beginn eines Science-Fiction-Thrillers, ist in der
Realität manchmal sogar ziemlich niedlich. 2020 entdeckten Forschende in
Sibirien die Überreste eines Säbelzahnkatzenbabys. Obwohl vor 35.000 Jahren
gestorben, blieb das Homotherium-Jungtier im eisigen Boden erstaunlich gut
erhalten. Fell, Pfoten mit Krallen und sogar die Schnurrhaare waren noch
deutlich zu erkennen. In der Paläontologie spricht man von einer
Säbelzahnkatzenmumie. Das Jungtier starb mit nur drei Wochen.
Der Fund verrät viel über das Aussehen und die Entwicklung der
eiszeitlichen Raubkatzen. So hatte das Katzenbaby noch keine Säbelzähne.
Diese wuchsen erst später und wurden bei den erwachsenen Tieren sehr groß.
Mit ihren langen Zähnen jagten sie sogar kleine Mammuts oder eiszeitliche
Bisons. Auffällig sind auch die großen Pfoten der kleinen Säbelzahnkatze.
Damit konnte sie besonders gut über Schnee laufen, ohne einzusinken. Solche
„Eismumien“-Funde gab es in den letzten Jahren deutlich häufiger, in den
Medien und in der Wissenschaft sorgen sie stets für Aufsehen.
Doch längst nicht alles, was auftaut, landet in den
Forschungseinrichtungen. „Den Forschenden vor Ort werden derzeit viele
Funde angeboten. Leider fehlt den Museen und Universitäten oft das nötige
Geld, um sie zu kaufen“, berichtet die Paläontologin Dorothée Drucker von
der Universität Tübingen. Und wegen des Ukrainekriegs liegen außerdem viele
internationale Forschungskooperationen auf Eis, es machen weniger
Forscherteams Ausgrabungen vor Ort. Die Folge: Viele Funde verschwinden für
immer, werden zerstört oder landen auf dubiosen Wegen in
[1][Privatsammlungen].
Vor allem Mammutstoßzähne seien auf dem Schwarzmarkt sehr begehrt, seit es
strengere Schutzmaßnahmen für das Elfenbein heute lebender Elefanten gäbe,
sagt Drucker. Dass in weiten Teilen Sibiriens große Armut herrscht und den
Menschen Perspektiven fehlen, heizt die Goldgräberstimmung zusätzlich an.
Längst tauen die Eiszeitmumien nicht mehr nur zufällig auf oder werden beim
Aufweichen der Böden auf der Suche nach Bodenschätzen gefunden. Der
Verdacht liegt nahe, dass findige Glücksritter gezielt nach den Spuren der
Eiszeit suchen, um sie später an Sammler zu verkaufen. Dass dabei wenig
dokumentiert und noch mehr zerstört wird, liegt auf der Hand. Wie groß der
Schaden für die Wissenschaft ist, lässt sich nur erahnen.
## Große Funde bringen auch große Erkenntnisse mit sich
Glücklicherweise gibt es auch Ausnahmen. Im vergangenen Jahr wurde in
Russland ein 44.000 Jahre alter Wolfskadaver entdeckt. Und im Dezember
präsentierten russische Forscherinnen und Forscher das 180 Kilogramm
schwere, 1,20 hohe und rund zwei Meter lange Mammutbaby Jana. In einem
Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters bezeichnete es Maxim
Cheprassow, Laborleiter des Lasarew-Mammutmuseums, als den am besten
erhaltenen Mammutfund der Welt.
Besonders ungewöhnlich sei, dass Kopf und Rumpf überdauert hätten. Der
Erkenntnisgewinn durch solche Funde sei groß, bestätigt Drucker. „Wir
erfahren viel über das Aussehen und die verschiedenen Wachstumsstadien der
Eiszeittiere. Manchmal finden die Forscherinnen und Forscher auch
Nahrungsreste im Magen. So lässt sich ihre tägliche Nahrung zweifelsfrei
bestimmen.“
Selbst das Genom und die Chromosomenstrukturen eines 52.000 Jahre alten
Wollhaarmammuts konnten dank eines Funds aus Sibirien rekonstruiert werden.
Das bringt die [2][Mammuts] zwar nicht zurück auf die Erde, hilft aber, die
Evolution und die genetischen Beziehungen ausgestorbener Arten zu
rekonstruieren. Doch es sind nicht immer nur die großen, spektakulären
Funde, die Aufschluss über die Ökosysteme der Eiszeit geben und nun vom
Klimawandel gefährdet werden.
Stefan Kruse vom Alfred-Wegener-Institut interessiert sich für
Mikrofossilien aus dem Permafrostboden, zum Beispiel Pollen, Sporen oder
Samen. „Die im Permafrost konservierten Pollen und Samen sind sehr gute
Bioindikatoren. Mit ihrer Hilfe können wir die Vegetation und das Klima
vergangener Zeiten analysieren“, sagt er. Diese fossilen Spuren finden sich
im abgelagerten Sediment in Seen und Tümpeln, wo sich Pollen und Samen aus
der Umgebung sammelten, oder in alten Böden, in denen durch den
jahreszeitlichen Gefrier-Tau-Wechsel innerhalb weniger Jahrzehnte die
Pflanzenspuren in den Permafrostboden eingelagert wurden.
Deshalb sind Steilufer eine ergiebige Quelle für Mikrofossilien. Die
Forschenden entnehmen oft auch Bohrkerne aus dem Seeboden oder dem
gefrorenen Boden und untersuchen sie im Labor Schicht für Schicht. Wie auf
einer Zeitschiene lassen sich die einzelnen Abschnitte ablesen. Deutlich
sind die Veränderungen im Ökosystem zu erkennen. In den ältesten Phasen
wuchs in der Tundra kaum etwas. Doch in den wärmeren Phasen breitete sich
im heutigen Sibirien die fruchtbare Mammutsteppe aus. Sie bot genügend
Nahrung für Mammut-, Rentier- und Wisentherden.
## Da unten schlummert nicht nur Gutes vor sich hin
In den wärmeren Zwischeneiszeiten ist der Anteil von Baum- und
Strauchpollen, zum Beispiel von Lärchen, Birken und Kiefern, deutlich
höher, was auf die Ausbreitung von Wäldern in milderen Klimaphasen
hinweist. Die Pollenfunde dokumentieren auch Klimaschwankungen über
Zehntausende von Jahren – zum Beispiel die Übergänge zwischen Eis- und
Warmzeiten.
„Diese Daten sind wertvoll, um die Dynamik des Klimas und die daraus
resultierenden Veränderungen der Ökosysteme in den Permafrostregionen
des Pleistozäns besser zu verstehen, vor allem wenn sie mit Daten aus
Sedimenten oder Tierfunden kombiniert werden“, erklärt Kruse. Allerdings
sind die fossilen Pollen sehr empfindlich. Taut der Boden auf oder senkt er
sich plötzlich, werden Schichten zerstört, bevor sie vollständig untersucht
sind. Die Folge: Die Bohrkerne werden immer kürzer, der Blick in die
Vergangenheit lückenhafter.
Das ist nicht das letzte Problem. Durch das Auftauen der Permafrostböden
könnten noch viel kleinere, aber höchst problematische Überreste aus der
Urzeit an die Oberfläche kommen – und zwar Viren, Bakterien und andere
Krankheitserreger, die zum Beispiel an gefrorenen Kadavern haften. Der
[3][Permafrostboden] ist ohne Sauerstoff, dunkel und eisig kalt, eine
ideale Umgebung für urzeitlichen Mikroben. So entdeckte ein französisches
Forscherteam 2022 13 unbekannte Virenarten, die unter anderem aus
Mammutwolle und dem Mageninhalt eines im Permafrost eingefrorenen
sibirischen Wolfs isoliert wurden. Die ältesten Viren waren fast 50.000
Jahre alt. Im Labor konnten die Forschenden die Viren sogar „aufwecken“.
Für den Menschen sind diese aktuell bekannten Erreger vermutlich harmlos.
Doch das muss nicht so bleiben, befürchten die Forschenden. Die Mikroben
könnten Krankheiten auslösen, gegen die Menschen und Tiere heute noch keine
Immunität besitzen. Ein Beispiel dafür ist der Milzbrand-Ausbruch 2016 in
Sibirien, bei dem Sporen des sogenannten Bacillus anthracis aus dem
schmelzenden Permafrostboden entwichen und zahlreiche Rentiere infizierten.
Zumindest auf ähnliche Ausbrüche beim Menschen, etwa durch eine alte Form
von Polio – also Kinderlähmung–, müsse man vorbereitet sein, raten die
Experten. Vor allem, wenn immer mehr Urzeitkadaver aus dem Gefrierfach
fallen.
4 Mar 2025
## LINKS
[1] /Illegaler-Kunsthandel/!5948458
[2] /Forschung-ueber-Erderhitzung/!5900305
[3] /Auftauende-Permafrostboeden/!5904471
## AUTOREN
Birk Grüling
## TAGS
Permafrost
Naturwissenschaft
Schwerpunkt Klimawandel
klimataz
Dokumentarfilm
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sibirien-Dokumentarfilm „Kolyma“: Horror im Permafrost
Die politische Ernsthaftigkeit ist beunruhigend: Stanisław Muchas
Dokumentarfilm „Kolyma“ zeigt ein Sibirien mit Schurken und Opfern.
30.000 Jahre alte Pflanzen blüht wieder: Auferstanden aus dem Permafrost
Nach mehr als 30.000 Jahren im sibirischen Dauerfrostboden: Russische
Forscher bringen den Samen einer Eiszeit-Pflanze wieder zum Keimen und
Wachsen.
Klimawandel: Zeitbombe im Permafrost
In den Permafrostböden der Arktis lagert genug Treibhausgas, um noch einmal
soviel freizusetzen, wie der Mensch in den vergangnen 150 Jahren. VON
REINHARDT WOLFF
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.