# taz.de -- Hamburger Regierungsbilanz: Geräuschlose Abräumer | |
> Ganz Deutschland staunt über die stabilen Umfrageergebnisse von SPD und | |
> Grünen. Rot-grün schafft es, Konflikte zu befrieden, bevor sie | |
> hochkochen. | |
Bild: Zusammen mit denen Grünen hatte Peter Tschentscher eine ruhige Hand am S… | |
Hamburg taz | So etwas wie 2001 passiert der Hamburger SPD so schnell nicht | |
wieder. Nach vier Jahrzehnten Regierungsbeteiligung musste sie sich den | |
Vorwurf gefallen lassen, eine Günstlingswirtschaft aufgebaut zu haben. Die | |
Springer-Presse mopperte, weil der Autoverkehr angeblich nicht flüssig | |
genug lief – und dann noch die Lage am Hauptbahnhof: ein Sammelpunkt von | |
Alkohol- und Drogenkranken. „Zum Hauptbahnhof geh’ ich schon lange nicht | |
mehr“, bekannte eine damalige taz-Kollegin. | |
Als die Umfragewerte schlechter wurden und insbesondere das Thema innere | |
Sicherheit dem damaligen rot-grünen Senat die Macht zu kosten drohte, holte | |
Bürgermeister Ortwin Runde den damaligen SPD-Generalsekretär Olaf Scholz | |
als Innensenator an die Elbe. Er ging gegen die Drogenszene vor, | |
ermöglichte es, mutmaßlichen Dealern zwangsweise Brechmittel zu | |
verabreichen, wobei im Dezember 2001 ein Mensch starb, und kündigte an, | |
kriminelle Jugendliche schneller in den Knast zu stecken. Allein: Scholzens | |
Einsatz kam für die SPD zu spät. 19,4 Prozent Hamburger wählten die Partei | |
des rechtsdrehenden Richters Ronald Schill. | |
Ein Teil dieser Ausgangslage für die Bürgerschaftswahl gleicht der | |
heutigen. Wieder sind die Grünen Koalitionspartner. Diesmal stellen sie | |
sogar den Verkehrssenator, dessen ehrgeizige Politik Angriffsflächen | |
bietet. Das Drogenelend am Hauptbahnhof ist noch größer als damals. Dazu | |
kam 2023 die Nachricht, Hamburg habe den gefährlichsten Bahnhof | |
Deutschlands – den mit den meisten Straftaten, allerdings auch den meisten | |
Reisenden und Besuchern. | |
Doch diesmal ist von einer Wechselstimmung nichts zu spüren. 59 Prozent der | |
Befragten äußerten sich [1][Mitte Februar gegenüber Infratest-Dimap | |
zufrieden] mit dem rot-grünen Senat unter dem Ersten Bürgermeister Peter | |
Tschentscher. Damit schneidet der Senat zwar [2][schlechter ab als vor fünf | |
Jahren], liegt aber im bundesweiten Vergleich weit vorn. Die SPD, die | |
derzeit auf 32 Prozent der Stimmen kommen würde, erreicht in keinem | |
Bundesland bessere Werte. Die Grünen (18 Prozent) schneiden nur in Berlin | |
und Baden-Württemberg besser ab. Die prognostizierten Verluste beider | |
Parteien gegenüber der Bürgerschaftswahl 2020 entsprechen mit minus 7 und | |
minus 6 Prozentpunkten den Verlusten bei der Bundestagswahl am vergangenen | |
Sonntag. Trotzdem würde es für eine Fortsetzung von Rot-Grün reichen. | |
## Konflikte abräumen, sobald sie am Horizont auftauchen | |
Die SPD punktet bei den Wählern vor allem mit Regierungsfähigkeit, die | |
Grünen mit ihrer Umwelt- und Klimapolitik. Die CDU erhält nur bei der | |
inneren Sicherheit einen mageren Prozentpunkt mehr Vertrauen als die SPD. | |
Wesentlich für diesen Erfolg dürfte sein, dass die rot-grüne Koalition | |
Konflikte in der Regel abräumt, sobald sie am Horizont auftauchen. Der | |
Senat hat sich mit mehreren Volksinitiativen verständigt und hat so | |
Niederlagen bei Volksabstimmungen vermeiden. Der Initiative [3][„Keine | |
Profite mit Boden und Miete“] gestand er zu, städtische Grundstücke nur | |
noch im Erbbaurecht zu vergeben. Mit der Initiative „Hamburgs Grün | |
erhalten“ vereinbarte er, [4][30 Prozent der Landesfläche für die Natur | |
freizuhalten]. Die Proteste für den [5][Vollhöfner Wald („Völli“) | |
befriedete er, indem er ihn zum Naturschutzgebiet machte] – und dafür ein | |
Stück wildes Grün im Hafen zum Planieren freigab. | |
Lange Wartezeiten bei der Kfz-Anmeldung gehören der Vergangenheit an. | |
Zumindest bei einigen großen Projekten wurden anstehende Arbeiten im | |
Straßen-, Leitungs- und Sielbau zusammengelegt. Bei besonders kritischen | |
Bauvorhaben wird die Nachbarschaft früh beteiligt. | |
Nachdem das Thema gefährlicher Hauptbahnhof aufgekommen war, führte der | |
Senat Quattro-Streifen aus Vertretern der Hamburger Polizei, der | |
Bundespolizei sowie des Wachschutzes der Bahn und der Hamburger Hochbahn | |
ein. Damit löste er das Problem, dass es auf dem Areal überall | |
unterschiedliche Zuständigkeiten gibt. Mittlerweile sind in allen Bahnhöfen | |
Waffen verboten. | |
[6][Zudem erfand der Senat „Sozialraumläufer“ für den Hauptbahnhof] und d… | |
angrenzende Viertel St. Georg, die für Ordnung sorgen und Menschen | |
Hilfsangebote vermitteln sollen. Die Linke findet, hier seien eigentlich | |
Sozialarbeiter gefragt. Die Drogenszene konzentriert sich etwas abseits des | |
Bahnhofs an der zentralen Drogenhilfeeinrichtung „Drob Inn“. Damit die | |
Junkies nicht gar so sehr auffallen, ließ der Senat einen Sichtschutz | |
errichten. | |
## Machtwille paart sich mit Pragmatismus | |
Der aktuelle Senat profitiert auch von glücklichen Entscheidungen der | |
Vergangenheit. Dadurch dass Olaf Scholz als Bürgermeister Ordnung ins | |
Verfahren brachte, wurde die Elbphilharmonie von einem Skandalprojekt zu | |
einer Attraktion. Und er hat dafür gesorgt, dass sich die Stadt in die | |
Reederei Hapag Lloyd einkauft, um sie am Standort zu halten. Inzwischen hat | |
die Reederei Milliarden an Dividenden überwiesen. | |
Anders als etwa Berlin hat Hamburg auch nicht seine öffentlichen | |
Wohnungsunternehmen verkauft, was sich dämpfend auf die Mieten auswirkt und | |
stabilisierend auf die Quartiere. Dazu kommt der bereits 2015 in der | |
Bürgerschaft vereinbarte Schulfrieden, der die Schulstruktur festschrieb. | |
Bei den Koalitionspartnern SPD und Grünen paart sich Machtwillen mit | |
Pragmatismus. In den sieben Bezirken versuchen die Grünen wie die SPD ihre | |
Kandidaten für den Posten des Verwaltungschefs durchzudrücken, auch wenn | |
sie dann gegeneinander arbeiten müssen. Das scheint aber ihre | |
Zusammenarbeit auf Landesebene nicht zu beeinträchtigen. | |
Hier stellen die Grünen ab und an den Bau einer weiteren Autobahn quer | |
durch die Stadt infrage. Sie tragen aber den Schnellbahn-Ausbau mit, schon | |
allein, weil die Pläne weit gediehen sind. Das Kohlekraftwerk Moorburg, das | |
die damalige grüne Umweltsenatorin Anja Hajduk anders als versprochen | |
genehmigen musste, hat Vattenfall inzwischen selbst stillgelegt. Die | |
umstrittene Elbvertiefung ist durch. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien | |
und der Wasserstoffwirtschaft ziehen die Senatsmitglieder am selben Strang, | |
dito beim Ausbau des öffentlichen Nah- und des Fahrradverkehrs – was die | |
SPD aber nicht davon abhielt, kurz vor der Wahl ihr Herz für Parkplätze | |
wiederzuentdecken. | |
Im Allgemeinen räumen die Koalitionspartner Konflikte untereinander aus. | |
„Geräuschlos regieren“ sei das Ziel, sagte ein früherer Chef der | |
Senatskanzlei. Weitgehend klappt das. | |
Der Absatz über den durch Olaf Scholz ermöglichten Brechmitteleinsatz wurde | |
gegenüber einer früheren Version dieses Textes präzisiert. | |
28 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundeslaender/hamburg/laen… | |
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## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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