# taz.de -- Nina Bußmann „Drei Wochen im August“: Nur Dünen zwischen uns … | |
> Urlaubsalltag im Anthropozän: In Nina Bußmanns unheimlichem Roman „Drei | |
> Wochen im August“ gehen Bäume und Beziehungen in Flammen auf. | |
Bild: Die Autorin Nina Bußmann vor sommerlicher Kulisse | |
Dieses Mal möchte sich Elena nicht mit der Familie absprechen. Weder mit | |
ihrem Ehemann Kolja noch mit ihren zwei Kindern. Als Freundin Ali | |
vorschlägt, sie könne ein freistehendes Haus an der französischen | |
Atlantikküste über den Sommer nutzen, sagt Elena „ohne Nachdenken“ zu. | |
Sie versäumt es zu fragen, warum die schön gelegene Unterkunft in der | |
Hochsaison nicht belegt sei. Die Hintergründe sind ihr gleichwohl bekannt: | |
Alis Partnerin Nana, der das Haus gehört, leidet unter einem bösartigen | |
Hirntumor und liegt im Sterben. Elena denkt sich lediglich: „Auch reichen | |
Leuten passieren traurige Geschichten.“ | |
Die Härte, mit denen sich die Menschen in [1][Nina Bußmanns] neuem Roman | |
„Drei Wochen im August“ begegnen, ist nicht zuletzt in den ökonomischen | |
Abhängigkeiten begründet. Ali ist nämlich auch Elenas Chefin, was im | |
Verlauf der Handlung noch eine wichtige Rolle spielen wird. | |
Zunächst aber freut sich die kurzentschlossene Frankreichreisende, Herrin | |
im Feriendomizil zu spielen. Sie hat ihre Haushaltshilfe Eve dazu | |
überredet, in den Urlaub mitzukommen. Elena redet sich ein, mit der | |
ruppigen Angestellten auch eine interessante „Gefährtin“ gefunden zu haben, | |
für Eve sind es vor allem „bezahlte Wochen am Meer“. | |
## Lebenslügen | |
Aus diesen beiden sehr unterschiedlichen Ich-Perspektiven werden die | |
titelgebenden drei Wochen im August geschildert, und in den zuweilen | |
konträren Sichtweisen auf dieselben Geschehnisse offenbaren sich nicht nur | |
skurrile Eigenheiten, sondern eben auch die Lebenslügen der beiden Figuren. | |
Elena und Eve scheinen sich in ihren Monologen gewissermaßen zu duellieren. | |
Im realen Leben aber können sie sich über ihre Klassengrenzen hinweg nicht | |
wirklich miteinander auseinandersetzen. Was die beiden Frauen allerdings | |
vereint, ist die stupende Fähigkeit, jegliche Gefahren auszublenden und am | |
eigenen Urlaubsprogramm festzuhalten. | |
In naher Ferne brennen die Wälder, aber der Ferienalltag soll sich nicht | |
ändern: Ausflüge, Sport, Kochen. Ein Ferienflirt, der für unruhige Nächte | |
sorgt, zwischendurch Telefonate mit dem Gatten, der vorerst daheim | |
geblieben ist, weil er noch allerlei zu erledigen hat. Völlig verdrängen | |
lässt sich die Katastrophe trotz aller Betriebsamkeit nicht: „Wir können es | |
riechen. Und natürlich können wir es auch sehen. Keine Berge und keine | |
Felsen sind im Weg, nur Dünen zwischen uns und dem Widerschein der | |
Flammen.“ | |
## Beziehungen in Flammen | |
Die sensible und zugleich völlig ignorante Urlauberin hat sich eingerichtet | |
in ihrer ganz normalen Rücksichtslosigkeit. Die Tochter rechnet aus, wie | |
schnell das Feuer beim Ferienhaus wäre, sollte sich der Wind drehen. Es | |
gibt einen Evakuierungsplan, aber das scheint nicht einmal den informierten | |
und ziemlich aufdringlichen Nachbarn zu beunruhigen. Im Gegenteil. „Im | |
Angesicht des Kollapses habe ich mich immer lebendig gefühlt“, sagt Elena | |
am Ende des ersten Kapitels, und wir ahnen, dass bald nicht nur Bäume, | |
sondern auch Beziehungen in Flammen aufgehen. | |
Im Fortgang der Geschichte drehen sich die Winde tatsächlich nur im | |
zwischenmenschlichen Bereich, dafür aber umso heftiger. Die Stimmung im | |
Ferienhaus droht ständig zu kippen, das kommunikative Klima wirkt fast noch | |
bedrohlicher als die unkalkulierbaren Wetterextreme. Die Störfaktoren und | |
Spannungen nehmen ständig zu: Mal kommen unangekündigte Gäste vorbei, der | |
Sohn verletzt sich, dann verschwindet Elenas Tochter für ein paar Tage. Die | |
ohnehin psychisch angeschlagene Jugendliche taucht plötzlich wieder auf, | |
ohne zu erklären, wo sie gewesen ist. | |
Ehemann Kolja kann, obwohl das ursprünglich der Plan war, nicht nach | |
Frankreich kommen, weil das Haus in der Heimat unter Wasser steht. Ein | |
attraktiver Mann im Campingmobil entpuppt sich als charakterliche | |
Enttäuschung, und auch auf ihre älteste Freundin kann sich Elena nicht | |
verlassen. Im Krisenfall ist Ali eben doch vor allem Arbeitgeberin, die | |
zwar das Haus in Frankreich mietfrei zur Verfügung stellt, aber auch | |
während der Ferien den Job kündigen kann. | |
## Viele Microstorys in einem Buch | |
Das Buch enthält erstaunlich viele Mikrostorys, die sich nahezu unmerklich | |
zu einem erzählerischen Ganzen fügen. Das filigrane Prosageflecht lebt | |
dabei nicht nur von den sozialen und lebensweltlichen Gegensätzen, sondern | |
auch von frappierenden Ähnlichkeiten. | |
Alle Figuren in diesem auf unspektakuläre Weise unheimlichen Roman fallen | |
durch ihre egomanischen Charakterzüge auf. Damit ist wohl ein wesentliches | |
Merkmal des Anthropozäns beschrieben: Statt sich für die Umwelt, für das | |
Wohlergehen aller zu interessieren, kümmern sich die Menschen vor allem um | |
die eigene, kurzfristige Bedürfnisbefriedigung. | |
Detailreicher Ferienroman | |
Nina Bußmann macht aus diesem Stoff keine moralinsaure Lehrstunde. Sie hat | |
einen detailreichen Ferienroman geschrieben, der unterschiedliche Tonlagen | |
zulässt und selbst in den Gehässigkeiten der beiden Erzählstimmen auch Raum | |
für Humor lässt. Bußmann beweist Gespür für die Psyche ihrer schrecklich | |
einsamen Heldinnen; der Text brilliert zwischendurch auch mit | |
Naturbeschreibungen. | |
Wie konturscharf die 1980 geborene Schriftstellerin zu erzählen weiß, zeigt | |
sich mit den zahlreichen Nebenfiguren, denen selbst die neunmalklugen Elena | |
und Eve nicht immer auf die Schliche kommen. Ohnehin nehmen gegen Ende des | |
überzeugenden Prosawerks die Uneindeutigkeiten zu. Dieses ästhetische | |
Programm ist auch politisch zu lesen: In den Routinen unseres Alltags | |
lauern die persönlichen und politischen Abgründe. | |
25 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Buch-ueber-Sucht-und-Prekaritaet/!5705098 | |
## AUTOREN | |
Carsten Otte | |
## TAGS | |
wochentaz | |
Gegenwartsroman | |
Gesellschaftliches Miteinander | |
Konflikt | |
Familie | |
US-Literatur | |
Roman | |
Sucht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Roman von Sara Mesa: Der Archipel Familie | |
Die spanische Autorin Sara Mesa beschreibt in ihrem Roman Mechaniken der | |
bürgerlichen Familie. Sie folgt Spuren, die die autoritäre Erziehung | |
hinterlässt. | |
Neuer Roman „Boxenstart“: Ihre Begabung zur Zuwendung | |
Wenn die Eltern sich streiten, hast du zumindest dein Pferd: Kathryn | |
Scanlans Roman „Boxenstart“ erzählt von einer jungen Pferdetrainerin. | |
Roman „Notstand“ von Daisy Hildyard: Spuren des Unheils | |
Zwischen Klima- und Strukturwandel: Daisy Hildyard erzählt in ihrem zweiten | |
Roman „Notstand“ von kleinen Tragödien, die auf große Katastrophen | |
hindeuten. | |
Buch über Sucht und Prekarität: Fixierung auf die eigene Scholle | |
Im Suchkreislauf der Selbstfindung: Nina Bußmann verwirrt in ihrem Roman | |
„Dickicht“ kunstvoll die Erzählfäden. |