| # taz.de -- Neuer Roman „Boxenstart“: Ihre Begabung zur Zuwendung | |
| > Wenn die Eltern sich streiten, hast du zumindest dein Pferd: Kathryn | |
| > Scanlans Roman „Boxenstart“ erzählt von einer jungen Pferdetrainerin. | |
| Bild: Boxenstart von Kathryn Scanlan spielt in der rauen Welt der amerikanische… | |
| Kathryn Scanlan hat ihren zweiten Roman „Boxenstart“ der Frau gewidmet, von | |
| der er handelt: Sonia, einer Pferdetrainerin, 1962 in Iowa, USA, geboren. | |
| Auf ihrer Biografie fußt der Text, den die Autorin dennoch als fiktional | |
| und zugleich als „collagiertes Porträt eines Selbst“ bezeichnet. Ihr | |
| origineller Umgang mit biografischem Material machte schon ihren ersten | |
| Roman aus, bei dem sie das Tagebuch einer Fremden zerschnitt und neu | |
| zusammenfügte. | |
| Für „Boxenstart“, 2024 mit dem Gordon Burn Prize für innovative Literatur | |
| ausgezeichnet, führte die US-amerikanische Schriftstellerin vier intensive | |
| Gespräche mit Sonia und bezog sie auch danach in die Arbeit am Buch ein. | |
| Scanlan verwandelt die mündliche Erzählung Sonias in einen Text, der das | |
| Lakonische, Unprätentiöse der gesprochenen Sprache beibehält, es zugleich | |
| aber in eine konzentrierte Verdichtung überführt. Viele kurze Kapitel, | |
| teils Prosaminiaturen, folgen aufeinander – eine formale Gestaltung, die | |
| den Aspekt der Verdichtung betont. | |
| Da Sonias Leben sich über viele Jahre auf der Rennbahn abspielte und Pferde | |
| schon als Kind und auch nach ihrer aktiven Zeit als Pferdetrainerin von | |
| überragender Bedeutung waren und blieben, taucht der Text tief in ihre | |
| [1][Beziehung zu Pferden] und in die sehr spezielle Welt des Rennsports | |
| ein. | |
| „Wenn die Eltern […] sich streiten, wenn es gewaltig kracht – du hast dein | |
| Pferd. Wenn etwas schlecht lief, ging ich zum Pferd, und dann wurde es | |
| jedes Mal besser. Deshalb sage ich immer, mein Pferd hat mich großgezogen.“ | |
| ## Harte Arbeit und Armut | |
| Sonia arbeitet hart im Reitstall mit, um sich Reitstunden und das eigene | |
| Pferd leisten zu können. Das soziale Umfeld ist teils von Armut geprägt. | |
| Sonias Liebe zu den Tieren verbindet sich mit dem unbedingten Willen, auf | |
| der Rennbahn zu arbeiten. Ihr Wunsch, Jockey zu werden, erfüllt sich nicht, | |
| sie ist zu groß. Sie erarbeitet sich einen Ruf als Pferdetrainerin, in | |
| einer Branche, die von Männern dominiert ist. Es ist eine eigene Welt, mit | |
| eigenen Regeln. Die allen viel abverlangt, aber ihr als Frau noch mal mehr. | |
| Eine vereinnahmende Welt, zu der sie sich trotz Gewalterfahrungen zugehörig | |
| fühlt, denn sie erlebt auch die dort praktizierte Solidarität. | |
| In dieser Branche prallen die Gegensätze von Brutalität und Fürsorge | |
| aufeinander. Das bezieht sich vor allem auf die Pferde, denn den innigen | |
| Beziehungen zu den Tieren steht ein oft grausamer, auf maximalen Profit | |
| angelegter Umgang mit ihnen gegenüber. Beides existiert hier gleichzeitig. | |
| Doch auch viele der „Rennbahnmenschen“ sind dem Elend ziemlich nahe, | |
| Alkohol- und Drogenmissbrauch sind keine Seltenheit. Die Passagen, in denen | |
| einige von ihnen wie in Miniporträts vorgestellt werden, sind von | |
| berührender Intensität. Sonias feines Gespür im zwischenmenschlichen | |
| Umgang, ihre Begabung zur Zuwendung – Menschen und Tieren gegenüber – | |
| werden fassbar. In einer Umgebung, die ihr zugleich Härte abverlangt. | |
| ## Durch ihre Augen | |
| Scanlan lässt eine unbekannte Welt durch die Augen ihrer Protagonistin | |
| lebendig werden. Noch eindrücklicher aber ist die Persönlichkeit Sonias, | |
| die darüber sichtbar wird. Eine Frau, die in ihren eigenen Widersprüchen | |
| sehr gut in diese Welt der Gegensätze zu passen, sie auf verschobene Weise | |
| fast zu spiegeln scheint. Die sich um andere sorgt, sich selbst jedoch in | |
| zwei gewaltvollen Beziehungen in große Gefahr begibt – dieser aber | |
| schließlich auf überraschend konsequente Weise entgegentreten wird. | |
| Was Menschen einander antun, aber auch Gutes tun können; wie brutal | |
| Menschen Tiere behandeln, wie heilsam und zart ihre Beziehung zueinander | |
| sein kann, nicht zuletzt davon erzählt dieses tolle, ungewöhnliche Buch. | |
| 6 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Carola Ebeling | |
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