# taz.de -- Friedensforscherin über Investitionen: „Wir können nicht so tun… | |
> An mehr Militärausgaben führe kein Weg vorbei, sagt Friedensforscherin | |
> Deitelhoff. Vorübergehend müsse man daher auch beim Klimaschutz sparen. | |
Bild: Britische Soldaten bei einer Nato-Übung in Nordmazedonien, 2022 | |
taz: Frau Deitelhoff, was sagen Sie als Friedensforscherin: Wie schlimm ist | |
die Lage? | |
Nicole Deitelhoff: Wir haben eine US-amerikanische Regierung, die keinerlei | |
Interesse an Europa hat und das deutlich in die Welt hinausposaunt. Das ist | |
schlecht. Aber noch ist nichts passiert. Es gibt kein schriftliches | |
Statement, in dem steht: Schluss mit der Nato und Schluss mit dem | |
transatlantischen Bündnis. Die Lage ist also schlimm, aber es geht noch | |
schlimmer. | |
taz: Im Ukraine-Krieg scheint es so, als ob die USA schon die Seiten | |
gewechselt haben. | |
Deitelhoff: Es gab Gespräche zwischen den USA und Russland in Riad. Auch da | |
ist nichts Belastbares herausgekommen, das eine neue Realität schafft. Das | |
kann nur durch das Handeln der US-Regierung passieren. Sieht es da gut aus? | |
Nein. Haben wir den Eindruck, dass sie die richtigen Positionen in diese | |
Vorgespräche eingebracht hat? Nein. Doch wie gesagt: Noch ist nichts | |
passiert oder vereinbart worden. | |
taz: Sehen Sie für Deutschland [1][und Europa eine Chance, bei den | |
Ukraine-Verhandlungen] einen Fuß in die Tür zu bekommen? | |
Deitelhoff: Es gibt Handlungsspielraum. Man darf jetzt nicht panisch | |
erstarrt über den Atlantik schauen. Europa muss seine eigenen Ziele | |
formulieren, Strategien für die Umsetzung entwickeln und sie mit Ressourcen | |
hinterlegen. Deutschland sitzt da momentan nicht gerade auf dem Fahrersitz. | |
Aber unabhängig davon, wer in Europa die Führungsrolle übernimmt, müssen | |
schnell Entscheidungen fallen. Manche davon liegen schon in der Luft. | |
taz: Worauf kommt es an? | |
Deitelhoff: Erstens müssen wir stärker in Rüstung investieren. Über die | |
Aufhebung der EU-Defizitgrenzen kann man den Mitgliedstaaten den Spielraum | |
einräumen, den es dafür braucht. Zweitens sind die Truppenstärken in fast | |
allen Mitgliedstaaten zu niedrig und Einheiten nicht schnell genug | |
einsatzfähig und verlegbar. Drittens braucht die Ukraine weitere Militär- | |
und Finanzhilfen. Wenn wir wollen, dass ihre Interessen gleichberechtigt | |
mitverhandelt werden, muss sie sich im Krieg erst mal behaupten können. Und | |
viertens: Egal wo jetzt gerade Parlamentswahlen stattfinden, muss Europa | |
etwas in eine mögliche Verhandlungsmasse einbringen. Dazu gehören | |
ernsthafte Sicherheitsgarantien. | |
taz: Sind [2][Sicherheitsgarantien ohne ausländische Truppen] vor Ort | |
möglich? | |
Deitelhoff: Nein, das wird nicht gehen. Dazu ist die mögliche | |
Waffenstillstandslinie zu lang und die Anreize sind zu groß, sie zu | |
übertreten. Die Frage ist nur: Stehen die ukrainischen Streitkräfte an der | |
Waffenstillstandslinie und die ausländischen Truppen stehen im Hinterland | |
für den Fall einer Aggression bereit? Oder sind die ausländischen Truppen | |
an vorderster Front nötig? Dann bräuchte es zwar weit weniger | |
Soldat*innen, aber das Eskalationspotenzial wäre ungleich höher, wenn | |
sie aus Nato-Ländern kämen. | |
taz: Die nächste Bundesregierung muss also zwingend deutsche | |
Soldat*innen in die Ukraine schicken? | |
Deitelhoff: Noch mal: Es steht nichts fest. Diese Frage wird erst virulent, | |
wenn es eine Waffenstillstandsvereinbarung gibt, der die Ukraine zustimmt. | |
In dem Moment müssen die Europäer aber bereit sein, auch mit eigenen | |
Soldatinnen und Soldaten dort reinzugehen. Das ist zumindest das Pfund, mit | |
dem man wuchern kann, wenn man an den Verhandlungstisch will. | |
taz: Wie könnte der deutsche Beitrag zu so einer Mission aussehen? | |
Deitelhoff: Grundsätzlich hat Deutschland das gleiche Problem wie viele | |
andere europäische Staaten: Wir haben keine Truppenkontingente, die wir von | |
heute auf morgen in die Ukraine schicken könnten. Wir haben nirgends | |
20.000 Leute stehen, die nichts zu tun haben und innerhalb kürzester Zeit | |
verlegungsfähig wären. Wir sind momentan dabei, eine Brigade für Litauen | |
aufzustellen, und das ist schon eine enorme Anstrengung für eine über die | |
Jahre stark reduzierte Bundeswehr. Sollten die USA tatsächlich entscheiden, | |
ihre Truppen zum Beispiel an der Nordostflanke der Nato zurückzuziehen, | |
wird das Problem noch größer. Dann müssten die europäischen Staaten | |
eigentlich auch im Baltikum mit größeren Ressourcen reingehen, um Russland | |
dort keine offene Tür zu hinterlassen. | |
taz: [3][Laut einer Studie von Greenpeace ist Europa Russland bei | |
Verteidigungsausgaben, den Truppenstärken und konventionellen | |
Waffensystemen weit überlegen.] Reicht das nicht? | |
Deitelhoff: So einfach ist es nicht. Ich bin Friedensforscherin, mein | |
Interesse an einer Militarisierung unserer Gesellschaft ist gleich null. | |
Aber man muss sich mit den Realitäten befassen. Wenn man sich die | |
militärischen Fähigkeiten rein nach Ausgaben anguckt, dann stehen wir | |
besser da als Russland. Tatsächlich haben wir aber das Problem, dass wir | |
für das gleiche Geld nicht das Gleiche kriegen. Das liegt daran, dass die | |
27 EU-Staaten immer noch Rüstung nur für sich selbst beschaffen. Wir haben | |
in jeder Kategorie von Rüstungsgütern unterschiedliche Modelle. Es sind | |
außerdem bestimmte Fähigkeiten, die uns in Europa fehlen: Bei der | |
Aufklärung, der Flugabwehr und bei Verlegekapazitäten haben wir große | |
Lücken. | |
taz: Diesen Sonntag steht auch zur Wahl, die Verteidigungsausgaben | |
beizubehalten, zu senken oder zu erhöhen. Was ist richtig? | |
Deitelhoff: Wir kommen gegenwärtig nicht umhin, mehr auszugeben. Punkt. | |
taz: Gleichzeitig haben wir eine zunehmend marode zivile Infrastruktur | |
sowie große Finanzierungbedarfe bei der Pflege und im Gesundheitsbereich. | |
Deitelhoff: Es ist fürchterlich, dass wir im 21. Jahrhundert so über | |
Verteidigung und Aufrüstung nachdenken müssen. Doch noch mal: Die USA | |
ziehen sich zurück, und eventuell müssen wir in der Ukraine eine | |
Waffenstillstandsvereinbarung absichern. Die Frage ist, wie man das | |
finanziert. Und da liegen zwei Optionen auf dem Tisch: mehr Kredite | |
aufnehmen oder die Schuldenbremse einhalten und irgendwo im Haushalt | |
umschichten. | |
taz: Und was sagen Sie? | |
Deitelhoff: Ich vermisse im Kontext der Wahlen eine Ehrlichkeit in der | |
Debatte. Wir können nicht so tun, als würden wir in Frieden leben, alle | |
unsere Wünsche erfüllen und dabei auch in Verteidigung in dem Maße | |
investieren, wie wir das möchten. Wir müssen darüber reden, wo wir | |
Abstriche machen können. Das wird dazu führen, dass anderes, das genauso | |
wichtig ist – Bildung, Klimaschutz – zumindest verschoben werden muss. Man | |
kann nicht alles über Schulden finanzieren, sondern muss auch Prioritäten | |
setzen. | |
taz: Das klingt, als sollte Deutschland auf Kriegswirtschaft umstellen und | |
alle anderen gesellschaftlichen Fragen hinter der Geopolitik anstellen. | |
Deitelhoff: Nein, um Gottes Willen. Solche Eindrücke entstehen schnell, | |
wenn man diese Gespräche führt. Wir können natürlich keinen sozialen | |
Kahlschlag betreiben. Aber es geht darum, Umschichtungen vorzunehmen und | |
manche Dinge auf die längere Bank zu schieben. Das kann man nicht im | |
Federstreich machen, sondern muss darüber ernsthaft miteinander ringen. Und | |
ohne eine Reform der Schuldenbremse wird es nicht gehen. | |
taz: Aber dieser Streit wird doch sehr intensiv geführt. Der Unmut in der | |
Bevölkerung wurde bei dem Thema etwa prominent durch das BSW und die AfD | |
kanalisiert. | |
Deitelhoff: Wenn AfD und BSW angeben, für den Frieden einzustehen, dann | |
meinen sie etwas anderes. Sie sprechen dann von Verhandlungen mit Russland | |
und werben dafür, dass die Sanktionen aufgehoben werden, um die Wirtschaft | |
in Deutschland zu stärken. Sorry, aber das ist kein Friedenskonzept. | |
taz: Würden Sie sagen, der Bundestagswahlkampf ist der globalen Lage | |
gerecht geworden? | |
Deitelhoff: Nein, das ist er sicher nicht. Die Ukraine ist erst eine Woche | |
vor der Wahl zum Thema geworden. Die Kampagnen waren angesichts der Lage, | |
in der sich Europa und dieses Land befinden, nicht angemessen. | |
taz: Wir haben in diesem Gespräch sehr viel über Aufrüstung gesprochen. Was | |
braucht es neben Waffen noch, um langfristig in Sicherheit zu leben? | |
Deitelhoff: Eine Lehre des Kalten Kriegs ist: Es funktioniert nicht, sich | |
nur massiv aufzurüsten und den anderen dominieren zu wollen. Sonst kommt | |
man schnell an den Punkt, wo es um alles oder nichts geht. Denken Sie an | |
die Kubakrise. Wir müssen auch über Wege nachdenken, wie man aus dieser | |
Nummer wieder herauskommt, wie man zumindest friedliche Koexistenz wieder | |
gewährleisten könnte. Mit anderen Worten: Wir müssen jetzt schon darüber | |
nachdenken, wie irgendwann eine neue Sicherheits- und Friedensarchitektur | |
in Europa aussehen könnte. | |
21 Feb 2025 | |
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