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# taz.de -- Zwei Jahre nach Erdbeben in der Türkei: Trauer und Wut – noch im…
> Vor zwei Jahren erschütterte ein schweres Erdbeben die Osttürkei und
> Teile Syriens. Zehntausende starben. Noch immer leben viele der Opfer in
> Containern.
Bild: Eine Frau weint am Grab ihrer Familie auf dem Friedhof in Hatay
Istanbul taz | Trauer und Wut bestimmen in der Nacht von Mittwoch auf
Donnerstag mehrere Demonstrationen in der Türkei. Vor zwei Jahren, in der
Nacht des 6. Februars 2023 um 04.17 Uhr, bebte die Erde in mehreren
Provinzen im Südosten der Türkei und im Norden Syriens. Es war eines der
schlimmsten in der Region jemals registrierten Erdbeben.
Bei einer Stärke von 7,8 auf der Richterskala stürzten nach offiziellen
Angaben in der Türkei 39.000 Gebäude ein, weitere 200.000 wurden schwer
beschädigt. Allein in der Türkei starben 54.000 Menschen, [1][in Syrien
mindestens 6.000]. Das Beben betraf insgesamt sechs Provinzen in der
Türkei, rund 2 Millionen Menschen wurden mitten im Winter obdachlos.
Im Andenken an die Opfer legten die Demonstranten im stillen Gedenken
Blumen nieder, in der am schlimmsten vom Erdbeben betroffenen Stadt Antakya
kam es aber auch zu lautstarkem Protest. Die Menschen protestierten gegen
Bauunternehmer, die „Schrottbauten“ abgeliefert hätten – und eine
staatliche Bauaufsicht, die das zugelassen habe. Es gab Zusammenstöße mit
der Polizei, drei Personen wurden festgenommen.
Schon wenige Tage nach dem Beben versprach Präsident Recep Tayyip Erdogan
damals einen schnellen Wiederaufbau – obwohl die meisten Toten noch unter
den Trümmern lagen. Da nur drei Monate nach dem Erdbeben die
Präsidentschaftswahlen stattfinden sollten, wollte sich Erdogan als
„starker Führer“ präsentieren, der die Probleme löst.
## Die Erdbebenopfer müssen sich um Wohnungen bewerben
Heute, zwei Jahre danach, steht fest: Erdogan hat die Präsidentenwahl im
Mai 2023 erneut gewonnen, obwohl die Region weit entfernt davon ist, wieder
aufgebaut worden zu sein. Dennoch, so unrealistisch die Wahlkampfparolen
von Erdogan im Frühjahr 2023 waren: Viele Menschen haben ihm geglaubt,
obwohl sie in manchen Gegenden tagelang auf staatliche Rettung warten
mussten.
Heute spricht Erdogan von der „größten Baustelle der Welt“, wenn er vom
Wiederaufbau in den sechs Erdbebengebieten spricht. Die staatliche
Wohnungsbaugesellschaft TOKI hat die Bauleitung. Das ist mit der Anzahl neu
gebauter Wohnungen noch nicht so weit her ist, zeigt, dass Erdbebenopfer
nicht etwa neue Wohnungen einfach angeboten bekommen, sondern sich in einer
Lotterie darum bewerben müssen.
Während der Wiederaufbau in einigen schwer betroffenen Gebieten wie
Kahramanmaras und Adiyaman bereits relativ weit fortgeschritten ist, hakt
es vor allem in Antakya, der völlig zerstörten Stadt nahe der syrischen
Grenze. Die Innenstadt von Antakya, das frühere Antiochia, [2][liegt immer
noch völlig in Trümmern]. Es wurde zwar ein provisorischer neuer Markt
aufgebaut auf dem die Leute sich versorgen können, doch neue Wohnungen im
Zentrum von Antakya gibt es immer noch nicht.
Einige Wohnblöcke wurden außerhalb der Stadt hochgezogen, doch die meisten
Erdbebenopfer, die die Stadt nicht verlassen haben leben nach wie vor in
Containern. Nach Angaben der US-Hilfsorganisation „Care“ sind es 200.000
Familien in Containern, in beschädigten Häusern oder anderen
Behelfsunterkünften. Nach offiziellen Angaben sind bislang 202.000 neue
Wohnungen übergeben worden, dem stehen aber [3][2 Millionen durch das
Erdbeben obdachlos gewordene Menschen gegenüber.]
## Vergünstigungen für Opfer laufen nun aus
Die staatliche Wohnungsbaugesellschaft Toki gibt an, bis Ende dieses Jahres
400.000 Wohnungen fertigstellen zu wollen. Unabhängige türkische
Hilfsorganisationen beklagen, dass die Situation für die Betroffenen zwei
Jahre nach dem Beben eher schlimmer als besser geworden sei. Familien die
seit zwei Jahren mit vielen Personen in den beengten Containern leben,
seien psychisch oft am Ende, weil es keinerlei individuelle
Ausweichmöglichkeiten gebe. Auch der Schulunterricht für die Kinder sei
nach wie vor schwierig.
Dazu komme, dass soziale Vergünstigungen, die der Staat den Opfern gewährt
hatte nach zwei Jahren nun auslaufen. Die Familien sollen nun Strom und
Wasser wieder selbst bezahlen, obwohl es kaum Verdienstmöglichkeiten gibt.
Auch Krankenhauskosten sollen nun nicht mehr vom Staat übernommen werden.
Viele Feldkrankenhäuser, die internationale Organisationen aufgebaut
hatten, sind außerdem wieder abgebaut worden, weil die staatlichen
Verantwortlichen gesagt hätten, die seien nicht mehr notwendig. Viele Leute
seien deshalb verzweifelt.
Mittlerweile sind auch [4][erste Prozesse gegen Bauunternehmer und
Hausbesitzer] mit teilweise hohen Haftstrafen wegen „Pfusch am Bau“ in
erster Instanz abgeschlossen. Auffällig ist jedoch, dass Vertreter der
staatlichen Genehmigungsbehörden bislang nicht belangt wurden. Deshalb ist
es fraglich, ob aus den Erkenntnissen des Erdbebens wirklich praktische
Konsequenzen gezogen werden.
Schon nach dem großen Beben 1999 in der Marmara-Region im Westen des Landes
hatte die Regierung angekündigt, zukünftig dafür zu sorgen, dass in der
Türkei erdbebensicher gebaut wird. Das Ergebnis konnte man vor zwei Jahren
in Antakya, Kahramanmaras und Adiyaman besichtigen. Auch jetzt befürchten
viele Architekten und Ingenieure, dass die staatliche
Wohnungsbaugesellschaft mehr auf Masse als auf Qualität setzt.
6 Feb 2025
## LINKS
[1] /Nach-den-Erdbeben-in-Syrien/!5917703
[2] /Erdbeben-in-der-Tuerkei-und-Syrien/!5987248
[3] /Lage-von-Syrerinnen-in-der-Tuerkei/!6054841
[4] /Prozess-wegen-Baumaengeln-in-der-Tuerkei/!5979918
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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Türkei
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