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# taz.de -- Runder Tisch zur Kita-Krise in Berlin: Das Märchen vom Betreuungss…
> Laut Verdi kümmern sich Erzieher*innen in landeseigenen Kitas um
> doppelt so viele Kinder wie vom Senat behauptet. Das kann die Kinder
> gefährden.
Bild: Wie viele Kinder brauchen wie viele Erzieher*innen? Dazu gehen die Meinun…
An den Kitas klafft eine Lücke. Es ist eine Lücke zwischen der Vorgabe auf
dem Papier, die gesetzlich regelt, wie viele Kinder eine Fachkraft betreuen
soll. Und zwischen der tatsächlichen Anzahl von Kindern, für die eine
Erzieherin im Alltag in den Kitas konkret zuständig ist. Wie groß die Lücke
ist, darauf [1][meint die Gewerkschaft Verdi nun erstmals eine fundierte
Antwort geben zu können]. Die Daten liefert eine berlinweite und
repräsentative Umfrage in den landeseigenen Kitas, die Verdi im vergangenen
November innerhalb einer Woche unter Erzieher*innen und Eltern
durchgeführt hat.
Diese Umfrage zeigt: Die Erzieher*innen betreuen im Schnitt doppelt so
viele Kinder, wie in einer offiziellen Statistik der
Senatsbildungsverwaltung angegeben ist. Und selbst die Zahlen des Senats
überschreiten schon die eigentlich vorgesehenen Betreuungsschlüssel.
Demnach beaufsichtigt eine Fachkraft in einer landeseigenen Kita
durchschnittlich rund 8 Kinder unter drei Jahren und 13 Kinder, die drei
Jahre und älter sind. Bei maximaler Auslastung hatte eine Erzieherin sogar
die Verantwortung für 12 ein- bis zweijährige Kinder sowie 18 Kinder über
drei Jahre. Die Senatsverwaltung hatte angegeben, dass der Schnitt für alle
Altersstufen und Kitaformen statistisch bei 1:5 liege.
Die Gewerkschaft folgert daraus: Die im Kita-Fördergesetz festgelegten
Personalschlüssel „werden durch die tatsächliche Fachkraft-Kind-Relation
flächendeckend unterschritten“. Denn während der Personalschlüssel
gesetzlich regelt, wie viele Fachkräfte eine Kita für eine bestimmte Anzahl
an Kindern einstellen muss, [2][zeigt erst die sogenannte
Fachkraft-Kind-Relation, wie viele Erzieher*innen am Ende tatsächlich
mit wie vielen Kindern in der Kita sind].
## Schlüssel nur Statistik
Verdi wirft der Senatsverwaltung vor, nur statistisch zu überprüfen,
inwiefern Kitas den Schlüssel umsetzen. Das bilde „nicht die Realität vor
Ort ab, weil hier Ausfallzeiten durch Krankheit, Urlaub, Fortbildung“ bei
den Kolleg*innen hinzukommen, sagt Tina Böhmer, die als
Gewerkschaftssekretärin bei Verdi für die Kita-Eigenbetriebe zuständig ist.
Es seien schlichtweg nicht immer alle eingestellten Fachkräfte da. Der
[3][reale Betreuungsschlüssel sei also schlechter]. Um „einen realistischen
Eindruck zu bekommen, ob eine kindgerechte pädagogische Arbeit stattfinden
kann“, müsste das tatsächliche Verhältnis von Kindern und
Erzieher*innen an einzelnen Tagen erfasst werden. „Obwohl das
entscheidend für die pädagogische Qualität ist, liegen dazu keine
offiziellen Daten vor“, kritisiert Böhmer am Montagmorgen vor dem Gebäude
der Bildungsverwaltung, wo sie die Studie an Senatorin Katharina
Günther-Wünsch (CDU) übergeben wollte.
Der „Kita-Realitätscheck“, wie Verdi die Studie nennt, zeigt außerdem, da…
im Schnitt 37,5 Prozent der Belegschaft fehlen. 91 Prozent der
Beschäftigten würden ihren Arbeitsalltag als „stressig oder brennend“
empfinden. Fast 20 Prozent der Befragten waren demnach zum Zeitpunkt der
Umfrage krank, und „davon gaben 88 Prozent an, dass sie aufgrund der
Arbeitsbedingungen erkrankt sind“.
Unter den befragten Eltern wiederum sagte mehr als die Hälfte, dass die
Kitas Betreuungszeiten einschränkten, fast ein Drittel sagte, dies sei
regelmäßig der Fall. Ein Großteil der Eltern forderte zudem, weitere
Fachkräfte einzustellen.
## Wissenschaftlerin sieht Kinderrechte bedroht
„Die Ergebnisse sind aus wissenschaftlicher Sicht sehr kritisch“, sagt
Rahel Dreyer, Professorin für Pädagogik und Entwicklungspsychologie der
ersten Lebensjahre an der Alice-Salomon-Hochschule, die ebenfalls am Montag
zur Senatsverwaltung gekommen war. „Förderlich für die kindliche
Entwicklung ist nicht der Kita-Besuch an sich, sondern die dort erlebte
Qualität der pädagogischen Arbeit und die Beziehungsgestaltung“, sagt sie.
Wenn die Betreuung schlechter ausfalle, könne das zu anhaltender
Trennungsangst, frühkindlichen Regulationsstörungen, Verlustangst und zu
sozialem Rückzug führen.
„Die aktuelle Situation in Berlin widerspricht grundlegend den
Grundbedürfnissen und Rechten von Kindern“, mahnt die Wissenschaftlerin.
„Kinder brauchen stabile Bezugspersonen und verlässliche Strukturen.“
Besonders die unter Dreijährigen sind aus ihrer Sicht gefährdet. „In diesem
Alter sind Kinder sehr vulnerabel, weil sie Stress noch nicht richtig
verarbeiten können“, sagt Dreyer.
Bisher gehen die Meinungen darüber, wie groß das Problem an Berlins Kitas
tatsächlich ist, stark auseinander. Im vergangenen Herbst hatten die
[4][Erzieher*innen der landeseigenen Kitas einen unbefristeten Streik
angekündigt] – um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die
Senatsverwaltung für Bildung hatte damals die „Kita-Krise“ abgestritten und
verneint, dass grundsätzlich Erzieher*innen in den Kitas fehlten.
Senatorin Günther-Wünsch hatte nur eingeräumt, dass es in manchen Kitas
vereinzelt Probleme gebe. Das Arbeitsgericht untersagte den Streik Ende
September.
## Runder Tisch tagt am Dienstag zum zweiten Mal
Seit November [5][tauschen sich Senatorin und Vertreter*innen der
Eltern und Kitas bei einem Runden Tisch] über die Belastungen in den Kitas
aus. Der Runde Tisch trifft sich am Dienstag zum zweiten Mal, dabei soll es
auch um den gesetzlichen Personalschlüssel und die tatsächliche
Fachkraft-Kind-Relation gehen. Im Vorfeld hatte der Eigenbetrieb
„Kindergärten City“ für seine Kitas in Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte
eine eigene Auswertung der Fachkraft-Kind-Relation vorgelegt, die zu
weniger dramatischen Ergebnissen kommt als Verdi.
Die Gewerkschaft fordert den Senat auf, die tatsächlichen Personalquoten
nun unabhängig und systematisch zu erfassen. Auch der Landeselternausschuss
schließt sich dieser Forderung an. „Das gibt ein klares Bild“, erklärt
Sabrina Simmons aus dem Vorstand. Bei Verdi wollen sie außerdem
Verbindlichkeit: „Es muss Konsequenzen haben, wenn die Vorgaben nicht
eingehalten werden“, sagt Tina Böhmer. Das diene den Kindern, aber auch den
Arbeitsbedingungen der Fachkräfte.
Die Senatorin zeigte sich bereits gesprächbereit, dass sie im U3-Bereich
den Personalschlüssel anheben wolle. „Das begrüßen wir. Aber es reicht
nicht, nur eine Nachkomma-Stelle anzupassen, denn das ist wieder eine
Maßnahme auf dem Papier, die in der Praxis nicht spürbar ist“, sagt
Verdi-Generalsekretärin Böhmer dazu.
Möglich wäre es, weil in Berlin [6][nach längerem Kita-Platz-Mangel
inzwischen etwas mehr Luft ist]. Teils ist auch im Gespräch,
Erzieher*innen zu entlassen, weil es weniger Kinder gibt. Doch
stattdessen fordern Wissenschaftler*innen, gerade in so einer Situation für
die Kinder günstigere Personalschlüssel zuzulassen, weil auch die aktuell
festgelegten Schlüssel aus wissenschaftlicher Sicht nicht ausreichen. „Es
ist entscheidend, dass wir die Qualität trotz der Belastung nicht nur
aufrecht erhalten, sondern kontinuierlich verbessern“, fordert Dreyer.
17 Feb 2025
## LINKS
[1] https://bb.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++5b5951f8-ed04-11ef-a855…
[2] /Berliner-Kitas-duerfen-nicht-streiken/!6039600
[3] /Arbeitsbedingungen-in-Kitas/!6038948
[4] /Arbeitskampf-fuer-Entlastung/!6034345
[5] /Ueberlastung-des-Berliner-Kita-Personals/!6047840
[6] /Kitas-in-Berlin/!6010198
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
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Kitas
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