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# taz.de -- Bewegungstermine in Berlin: Der Wohnungskampf ist antifaschistisch
> Das Mietenthema ist ein Alleinstellungsmermal linker Politik.
> Ausnahmsweise macht Die Linke alles richtig, wenn sie das Thema in den
> Fokus stellt.
Bild: Was macht den Immobilienkonzernen Dampf?
Sie bekommt ja sehr selten Lob ab, die Linkspartei, auch nicht in dieser
Kolumne, wo es schließlich um außerparlamentarische Politik und nicht um
Parteien gehen soll. Aber man muss Ehre zollen, wem Ehre gebührt: Die
Linkspartei macht gerade einen überraschend überzeugenden Wahlkampf, in dem
sie das Mietenthema in den Fokus rückt. Mit einer [1][„Mietwucherapp“]
deckt die Partei Wuchermieten auf und hilft, gegen diese vorzugehen, sie
will Leerstand in der Stadt markieren und mit einer [2][„Heizkostenaktion“]
massenhaft Widerspruch gegen fehlerhafte Nebenkostenabrechnungen
eingelegen.
Plötzlich scheint diese Partei, die in der Vergangenheit oft Phrasen
gedrescht hat, auf konkrete Aktionen zu setzen, darauf, durch greifbare
Taten und konkrete Unterstützungsangebote für die eigene Sache zu
propagieren. Einige Kandidat:innen haben auch eine freiwillige Kappung
ihrer Gehälter angekündigt, die Partei setzt auf einen Haustürwahlkampf,
der von vielen jungen Aktivist:innen getragen wird. In Zeiten, in denen
viele bei Wahlkampfgequatsche nur noch wütend werden, kann diese
[3][KPÖisierung der Linkspartei] nur guttun – auch wenn fraglich ist, ob
sich der neue Kurs bereits in dieser Wahl in besseren Wahlergebnissen
zeigt.
Aber auch inhaltlich ist der Fokus auf die Wohnungsfrage richtig. Denn um
das Mietenthema war es zuletzt ruhig geworden. Das liegt aber nicht daran,
dass sich die Dramatik der Situation abgekühlt hätte – Verdrängung,
Gentrifizierung und die Verwertung des Wohnraums gehen munter weiter. Aber
im Wohnungskampf hat sich etwas eingestellt, was man als Resignation
bezeichnen könnte.
Der Mietendeckel, die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne, sogar
das bezirkliche Vorkaufsrecht: alle linken Politikantworten in der
Mietenfrage sind mehr oder weniger gescheitert – aber nicht, weil diese
Instrumente nicht funktionieren würden, sondern weil sie von
Politiker:innen, die die Interessen der Eigentümerseite vertreten,
weggeklagt, verschleppt, und liegengelassen wurden. Übrig bleibt ein
ratloses Weiterlaufenlassen, das nur als gigantisches Staatsversagen
bezeichnet werden kann.
## Alleinstellungsmerkmal linker Politik
Im gewissen Sinne ist das Stillwerden um die Wohnungsfrage auch Resultat
des Rechtsrucks. Jetzt, wo man in Deutschland wieder besessen davon ist, zu
diskutieren, wie man sich am Besten bestimmter Menschengruppen entledigen
könnte, wird generell weniger über Verteilungskämpfe gesprochen – auch auf
dem Wohnungsmarkt. Der Rassismus – obwohl als soziales Problem komplexer
als das – hat schon immer diese wichtige Funktion erfüllt: Die
Ausgebeuteten zu spalten, um Herrschaft zu erhalten.
Es gibt auch in der Wohnungsfrage immer wieder Versuche von rechts, die
Problematik zu rassifizieren. Gesagt wird dann etwa, dass ja die
Geflüchteten Schuld an den hohen Mieten seien. So richtig gegriffen hat das
aber nie. Das Mietenthema bürgt für die Rechten nämlich das Problem, dass
es viel zu konkret ist. Jede:r weiß, dass es nicht die armen
Geflüchtetenfamilien sind, die eine:n aus der Wohnung klagen. In einem
Feld, in dem die Profiteure so klar erkennbar sind, hat es die rechte
Sündenbockpolitik schwer.
Gerade im Wohnungskampf heißt es deshalb: Jetzt erst Recht! Denn das
Mietenthema ist ein Alleinstellungsmerkmal linker Politik, ein wichtiges
Terrain, auf dem die diffusen Schuldzuweisungen rechter Propaganda nicht
greifen – und eine Politik der realen Veränderung wieder möglich wird.
Längst nicht nur für die Linkspartei, sondern für die gesamte
Mietenbewegung gilt deshalb: Weitermachen – denn der Wohnungskampf ist
antifaschistisch.
## Rollbergkiez united
Am Donnerstag (30. 1.) gehen Mieter:innen aus dem Neuköllner
Rollbergkiez [4][auf die Straße]. Denn hier besitzt die landeseigene
Immobiliengesellschaft Stadt und Land laut Geschäftsbericht 2023 über 2.200
Wohneinheiten. Wie auch in anderen landeseigenen Wohnungskonzernen wurden
hier die Mieten zum Jahresbeginn vielfach erhöht. Im Herbst 2023 hatten SPD
und CDU entschieden, dass die Mieten in den Landeseigenen wieder steigen
dürfen. Die Mieter:innen treffen sich deshalb ab 16 Uhr vor dem Büro der
Stadt und Land in der Werbellinstraße 12, um laut und deutlich zu machen:
Gegen die Mieterhöhungen wird gemeinsam gekämpft.
Ein weiterer Trick der Immobilienkonzerne ist es, falsche
Nebenkostenabrechnungen rauszuschicken. Denn um keinen Ärger zu bekommen,
zahlen die meisten Mieter:innen einfach. Die Linkspartei hat deshalb
dazu aufgerufen, Heizkostenabrechnungen in einer eigens dafür gemachten App
hochzuladen – wo sie dann von der Partei geprüft werden. Nach Parteiangaben
seien dabei 20 Prozent aller Abrechnungen fehlerhaft gewesen. In einem
solchen Fall steht Betroffenen laut der Partei eine 15-prozentige
Rückerstattung ihrer jährlichen Heiz- und Warmwasserkosten zu.
Im Wohnblock um die Karl-Marx-Allee in Berlin-Mitte glaubt die Partei nun,
einen möglichen systematischen Betrug gefunden zu haben. 300 falsche
Abrechnungen habe man bereits gefunden, heißt es aus der Partei. Die
Linkspartei lädt deshalb am Freitag, den 31. Januar, zu einer
Mieter:innenversammlung für alle Anwohnende, die ab 19 Uhr im
BVV-Saal im Rathaus Mitte in der Karl-Marx-Allee 31 stattfindet. Dort soll
gemeinsam Widerspruch gegen die Abrechnungen eingelegt werden, um so
möglicherweise Geld zurück zu bekommen.
## Verdrängung hat fast schon Tradition
Die lange Geschichte von Verdrängung in Berlin und den widerständigen
Kämpfen erzählt dagegen die [5][Ausstellung „Wohnst du noch?“], die ab
Freitag, den 31. Januar, in der Fotogalerie Friedrichshain (Helsingforser
Platz 1) zu sehen ist. Bereits am Donnerstag (30. 1.). findet eine
Vernissage zur Eröffnung statt. Die Ausstellung ging aus einer
Projektklasse der Fotojournalistin Ann-Christine Jansson hervor. Auf der
Vernissage sprechen wird neben Jansson auch der Baustadtrat Florian
Schmidt, der einiges an Erfahrung mit Kämpfen gegen Gentrifizierung
besitzt.
Auch in Lichtenberg wird derweil gegen Verdrängung mobilisiert. Am Samstag
(1. 2.) findet ab 16:30 Uhr in der Magdalenenstraße 19 ein
[6][Laternenumzug gegen Verdrängung & Mietenwahnsinn] statt, der vom
örtlichen Kiezteam von Deutsche Wohnen & Co. enteignen organisiert wird.
Gemeinsam sollen Vergesellschaftungs-Laternen durch den Kaskelkiez
geschwungen werden, um an den gewonnenen Volksentscheid zu erinnern – der
seitdem von der CDU-geführten Regierung blockiert wird. Doch mit dem
Vergesellschaftgunsgesetz, dass die Initiative derzeit nun einfach selbst
ausarbeitet, hat die Bewegung noch ein Ass im Ärmel.
Dass Gentrifizierung und Verdrängung auch über Stigmatisierung und
Rassismus funktioniert, wissen derweil die Anwohnenden des Görlitzer Parks.
Als „No-Go-Area“ wird der Görli von rechten Politiker:innen gerne
bezeichnet, um eine Law-and-Order- und Zaunpolitik zu legitimieren, die
letztlich auch der Verdrängung der weniger zahlungskräften Anwohnenden
dienen wird. Beim [7][monatlichen Kiezrundgang] lässt sich derweil
tatsächlich über vorhandende Probleme und mögliche Lösungen diskutieren.
Los geht es am Sonntag (2. 2.) um 18 Uhr im Görli.
29 Jan 2025
## LINKS
[1] /App-gegen-Mietwucher/!6065703
[2] https://www.die-linke.de/detail/die-linke-startet-heizkosten-aktion/
[3] /Strategien-der-Berliner-Linken/!6041805
[4] https://stressfaktor.squat.net/node/310502
[5] https://stressfaktor.squat.net/node/310197
[6] https://stressfaktor.squat.net/node/310449
[7] https://stressfaktor.squat.net/node/310455
## AUTOREN
Timm Kühn
## TAGS
taz Plan
Kolumne Bewegung
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Verdrängung
Gentrifizierung
Mietenwahnsinn
Deutsche Wohnen und Co. enteignen
Vorkaufsrecht
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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