Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Lindner und die Schuldenbremse: Dann geh' doch in die Schweiz!
> Von Neoliberalen wird Christian Lindner als „Rockstar“ gefeiert, weil er
> an der Schuldenbremse festhält. Von vielen anderen Seiten wächst der
> Druck.
Bild: Wer viel spart, hat schwer zu tragen
Er könne „endlich wieder atmen“, sagt Christian Lindner, als preise er die
gute Schweizer Bergluft. Es ist der 3. November 2023, ein Jahr vor dem
Ampel-Aus, Lindner ist noch Finanzminister. Im dunklen Anzug und pinker
Krawatte steht er im Hörsaal 1 der Uni Luzern und spricht zu Studierenden
der Wirtschaftswissenschaften. Der Saal ist bis auf den letzten Platz
besetzt. Weil der Andrang so groß ist, wird Lindners Rede nach draußen
gestreamt, [1][das Video steht bis heute im Netz].
Der FDP-Politiker soll eine öffentliche Vorlesung zur Finanzpolitik halten.
Doch vorher schmeichelt er den Gastgebern: „Nachdem ich im staatsgläubigen
Deutschland lebe und arbeite, bin ich gern in die freisinnige Schweiz
gekommen. Und nachdem die politischen Realitäten mich zwingen, mit
Sozialdemokraten und Grünen zu regieren, freue ich mich, die Luft der
Freiheit zu atmen.“ Lacher und Applaus im Publikum, Lindner grinst.
Fast auf den Tag genau ein Jahr später wird er die Regierungskoalition in
Deutschland platzen lassen. Nach einem monatelangen Streit über Geld für
den Klimaschutz stößt Lindner mit einem [2][Grundsatzpapier für eine
„Wirtschaftswende“] seine Koalitionspartner vor den Kopf. Kanzler Olaf
Scholz wird Lindner entlassen, später wird sich herausstellen, dass
Lindners FDP den Bruch lange geplant hatte.
Zentraler Streitpunkt: die Schuldenbremse. Und auch wenn CDU-Chef Friedrich
Merz im Wahlkampf nun allen das Migrationsthema aufgezwungen hat, ist eine
der größten Fragen nach wie vor offen: Woher kommt das Geld, das
Deutschland so dringend braucht, um Brücken zu reparieren, die Bahn zu
sanieren, die Ukraine zu unterstützen? Wie geht es weiter mit der
Schuldenbremse?
Darum geht es auch ein Jahr zuvor in Luzern. Organisiert hatten den Abend
Christoph A. Schaltegger, Professor der Wirtschaftswissenschaften, und René
Scheu, Ex-Feuilleton-Chef der größten Schweizer Tageszeitung NZZ. Die
beiden leiten das Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik, kurz IWP. Sie
sind Teil eines weit verzweigten Netzwerks liberaler und libertärer
Ökonomen, die sich dem Kampf für sinkende Staatsausgaben verschrieben und
dabei engste Verbindungen auch ins deutsche Finanzministerium aufgebaut
haben.
Obwohl Lindner nur für einen kurzen Redebeitrag angefragt war, hatte er
„eine ganze Vorlesung geplant“ – so steht es in Mails zur Veranstaltung,
die die Zürcher Wochenzeitung WoZ über ein „Öffentlichkeitsgesuch“
beschafft hatte. Für die Darstellung seiner These benötige er „schon etwas
Zeit“, ließ Lindner Schaltegger wissen. Der sicherte dem Minister „alle
Zeit der Welt“ zu. Am Ende spricht Lindner eine halbe Stunde über die
Schuldenbremse als „ein Hauptelement der Ordnungspolitik.“ Das Publikum ist
dankbar. Denn die Schuldenbremse ist eine Erfindung der Schweiz, die
Deutschland sich zum Vorbild nahm.
„Rockstarwürdig“ nennt IWP-Chef Scheu Lindners Rede, als sie vorbei ist.
Dann gibt es Apéro, einen Stehempfang und Flying Dinner im benachbarten
Hotel für rund 50 Gäste.
Schalteggers Institut ist ein wichtiger Player in einer internationalen
Szene liberal-libertärer Akteure, die vermeintlich übermäßige
Staatsausgaben für die Wurzel allen Übels halten. Es produziert
meinungsstarke akademische Papiere, Gastkommentare in diversen Medien und
Verlagsbeilagen in der NZZ.
Im September 2024 erscheint eine zwölfseitige NZZ-Strecke mit dem Titel
„Sparen, Sparen, Sparen“. Schaltegger interviewt darin Lindner, sein
Kompagnon Scheu spricht mit Lindners schweizerischer Amtskollegin Karin
Keller-Sutter. Die nennt die Schuldenbremse eine „gute Freundin“, die von
„linker Seite bekämpft“ werde. Die NZZ weist darauf hin, dass die Seiten
„komplett von einem Kunden finanziert“ seien. „Redaktionsmitglieder des
Unternehmens NZZ arbeiten freiwillig mit.“
## Pure neoliberale Ideologie
Mitpubliziert hat die Beilage das Freiburger Werner Eucken Institut (WEI).
Dessen Leiter ist der Ökonom Lars P. Feld. Den hatte Lindner im Februar
2022 zu seinem „Persönlichen Beauftragten für die gesamtwirtschaftliche
Entwicklung“ ernannt. Auch Feld ist im liberal-libertären Milieu eine
wichtige Figur – er publiziert seit Langem zusammen mit Schaltegger. Die
beiden sind Vorstände des WEI. Feld ist außerdem Vorstand und Schaltegger
Mitglied von Nous, einem am WEI angesiedelten Zusammenschluss neoliberaler
Ökonomen, Philosophen und Historiker. Nous wiederum war zumindest bis Ende
2024 „Partner“ des Atlas Networks – der wohl weltweit einflussreichsten
Sammelbewegung neoliberal-libertärer Akteure, inklusive Fossil-Konzernen
und Klimawandel-Leugnern.
An einem Freitag im Januar erklärt Schaltegger der taz die Vorzüge der
Schuldenbremse. Staaten seien stets verlockt, mehr Geld auszugeben als sie
einnehmen, sagt er. Sie folgten den „süßen Klängen der Sirenen“.
Schaltegger verweist darauf, dass Deutschland heute eine Staatsquote von
fast 48 Prozent habe.
Gemeint ist: Pro jeweils 100 Euro, die jährlich im Land erwirtschaftet
werden, geben die öffentlichen Haushalte zusammen etwa 48 Euro aus, die sie
über Steuern, Abgaben oder Kreditaufnahme beschafft haben. Damit liegt
Deutschland fast genau im EU-Schnitt. Investiert werden vom Staat
hierzulande indes nur unterdurchschnittliche rund 3 Prozent der
Wirtschaftsleistung.
Schaltegger findet es kaum nachvollziehbar, dass der Bund bei diesen großen
finanziellen Spielräumen keine nötigen Ausgabenschwerpunkte setzen könne –
etwa in der Sicherheitspolitik. Gewiss, so sagt er, gebe es in Deutschland
einen Investitionsstau. Das Problem sei aber nicht das fehlende Geld. Ein
handlungsfähiger Staat dürfe nicht „jede Interessengruppe, die ein Anliegen
hat, mit Subventionen und Transfers“ bedienen. Interessenverbände seien oft
„sehr partikular unterwegs“ und „Beutejäger auf die gesamte Staatskasse�…
Die Verantwortung für diese „Allmende“, das Allgemeinvermögen also, nehme
seitens der Politik „praktisch niemand ein.“ So sehe Schaltegger seine
Aufgabe als Ökonom darin, die „Allmende“ zu hüten und den Zugang zu ihr �…
zu regulieren, dass der Staat nicht zur Beute der Interessengruppen wird.“
## Zurückgezogene Zitate
Wer mehr öffentliches Geld, etwa für Soziales, Klima, Gesundheit,
Entwicklungshilfe oder Bildung ausgeben will, verfolgt
„Partikularinteressen“, vor denen man den Staat „schützen“ muss – da…
neoliberale Ideologie. Dass dahinter nicht selbst „Partikularinteressen“
stehen – nämlich jene von Vermögenden, die niedrige Steuern wollen –, ist
zumindest zweifelhaft. Schalteggers Institut gibt [3][auf seiner Website]
an, „in niemandes Interesse oder Dienst“ zu stehen. Doch von privaten
Gebern bekommt es mehrere Millionen Franken pro Jahr. Auf die Frage, woher
das Geld stammt, antwortet Schaltegger nebulös. In der Autorisierung zieht
er die entsprechenden Zitate dann zurück – die Frage nach den Finanziers
sei nicht das Thema.
Dass die Schuldenbremse heute immer mehr Schützenhilfe von wirtschaftsnahen
Akteuren bekommt, hat auch damit zu tun, dass ihre Akzeptanz bröckelt. Zum
ersten Mal meint eine Mehrheit der Bevölkerung, die Schuldenbremse müsse
„angepasst“ werden, [4][wie gerade eine Forsa-Studie ergeben hat].
Das war nicht immer so. Lange Zeit waren viele Deutsche Fans der
Schuldenbremse. Kritik gab es nur vereinzelt – bis zum 15. November 2023.
[5][Da erklärt das Bundesverfassungsgericht den zweiten Nachtragshaushalt
der Ampel-Regierung für verfassungswidrig]. 60 Milliarden Euro, die für
Klimaschutz vorgesehen waren, fehlen damit plötzlich im Budget. Die Ampel
hatte Geld, das sie während der Corona-Pandemie an der Schuldenbremse
vorbei aufgenommen, aber nicht ausgegeben hatte, für Klimaschutz
umgewidmet. Das lehnten die Verfassungs-Richter*innen ab. Es war der Anfang
vom Ende der Koalition.
Seitdem steht die Schuldenbremse deutlich stärker als zuvor in der Kritik.
Ökonomen verschiedenster Denkschulen fordern eine Reform. Bundesbank-Chef
Joachim Nagel sagte jüngst auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, das
„Gesamtkonzept der Schuldenbremse“ müsse überarbeitet werden. Selbst Ange…
Merkel, in deren Amtszeit die Schuldenbremse ins Grundgesetz kam, plädierte
zuletzt für eine Reform.
## Streitbegriff: Generationengerechtigkeit
Gegner und Befürworter der Schuldenbremse begründen häufig mit demselben
Begriff ihre Ab- beziehungsweise Zuneigung: Generationengerechtigkeit. Wer
die Schuldenbremse befürwortet, meint, die Gesellschaft dürfe Kindern keine
Schulden hinterlassen. Doch viele interpretieren Generationengerechtigkeit
heute anders: Wir dürfen unseren Kindern keine kaputten Straßen
hinterlassen – und erst recht keinen zerstörten Planeten.
Nach Berechnungen zweier Wirtschaftsinstitute braucht Deutschland [6][bis
2035 rund 600 Milliarden Euro], um seine Infrastruktur zu sanieren: Um
Brücken und Schuldächer zu reparieren, Gebäude energetisch zu sanieren, den
ÖPNV zu modernisieren. Mit der Schuldenbremse wie sie heute ist, ist das
nicht zu machen.
2009, als die Schuldenbremse ins Grundgesetz getackert wurde, sahen das nur
wenige kommen. Man mache die Schuldengrenze für die Seniorin, die sich
Sorgen um ihre Rente mache,und für die jungen Leute, die morgen
Verantwortung für Deutschland übernehmen wollten, sagte etwa eine
CDU-Abgeordnete im März 2009. „Denn allen ist klar: Die Schulden von heute
sind die Steuererhöhungen von morgen.“
Gebracht hatte die Schuldenbremse die sogenannte Förderalismusreform. Die
Große Koalition von Angela Merkel setzte im Dezember 2006 eine Kommission
ein, um die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu zu regeln.
Einige Länder und Kommunen waren damals hoch verschuldet. Die rot-grüne
Vorgängerregierung unter Gerhard Schröder hatte zwar eine Steuer nach der
anderen gesenkt und damit Milliarden zu Gunsten der Reichen verteilt, die
europäischen Fiskalregeln hatte sie dabei aber vernachlässigt: Die
Staatsverschuldung war seit der Wiedervereinigung explodiert. Allein für
die Zinsen zahlte der Bund damals 40 Milliarden Euro pro Jahr. Eine
Schuldenbremse schien die Lösung und die Föderalismuskommission II sollte
sie entwickeln.
Knapp drei Jahre debattierte die Kommission. Dokumente aus dieser Zeit
zeigen viel Begeisterung – aber auch harte Auseinandersetzungen über
Details der Schuldenbremse. Soll ein gänzliches Schuldenverbot her? Welche
Regeln gelten für den Bund, welche für die Länder? Wie sollen das
finanzstarke Bayern, wie das hoch verschuldete Bremen, Saarland und
Schleswig-Holstein behandelt werden?
Die Debatten wurden emotional geführt und immer wieder wurde auf das 2003
in Kraft getretene Schweizer Modell geschaut: „Einige von uns bekommen
leuchtende Augen, wenn sie davon hören“, sagt eine SPD-Abgeordnete damals.
Mitglieder der Kommission reisten nach Bern, um mehr über die Schweizer
Schuldenbremse zu erfahren. Die Grünen beauftragten Zürcher Professoren mit
einem Gutachten zur Frage, ob das Schweizer Modell auf Deutschland
übertragbar sein könnte. In einer Sachverständigenanhörung im Juni 2007
traten dann 17 Experten auf. Zwölf davon sprachen sich für die
Schuldenbremse aus – darunter waren neben Lars P. Feld auch zwei
Wirtschaftsprofessoren aus der Schweiz, die beide mit Christoph Schaltegger
und Feld publizierten. Sie priesen die Schweiz als Vorbild an.
Auch die Grünen beteiligten sich mit großem Eifer an den Diskussionen. Als
erste Bundestagsfraktion legten sie im Sommer 2007 einen Gesetzentwurf vor,
plädierten für eine Schuldenbremse, die Investitionen zulässt. Sie wollten
das Instrument unbedingt. Doch als die Finanzkrise 2008 die Diskussionen
ins Wanken brachte, fürchtete Fritz Kuhn, damals Fraktionsvorsitzender der
Grünen, die Schuldenbremse könne nicht mehr durchsetzbar sein. Die Grünen
seien überzeugt, schrieb er, dass diese „jetzt noch dringender
erforderlich“ sei. Auf taz-Anfrage will sich Kuhn heute nicht dazu äußern.
Er habe keine Erinnerung an die Zeit, schreibt er.
## „Sterbehilfe“ für die Bundesländer
Einer, der sich gut erinnert, ist Bodo Ramelow. Er saß als Vertreter der
Linken in der Föderalismuskommission II. Die Schuldenbremse lehnte er von
Anfang an ab, einmal nannte er sie „Sterbehilfe“ für die überschuldeten
Bundesländer, ein anderes Mal ein Modell „profunder Schlichtheit“.
Fragt man ihn heute danach, redet er sich in Rage. „Allen war klar, dass
eine Schuldenbremse nicht funktioniert, wenn die drei Bundesländer, die
strukturell in der Finanzfalle saßen, nicht vorher entschuldet werden“,
sagt er. „Aber zur Entschuldung von Bremen, dem Saarland und
Schleswig-Holstein war der Bund nicht bereit.“ Vor allem die
CDU-CSU-regierten Staaten Hessen, Baden-Württemberg und Bayern hätten das
blockiert, aus Eigeninteresse. Ramelow fühlt sich in seiner Haltung durch
die Diskussionen von heute bestätigt.
Tatsächlich machte die Schuldenbremse später nicht nur dem Bund, sondern
auch ärmeren Ländern wie Bremen das Leben schwer. Der junge Grüne Ökonom
Jan Fries wurde 2007 Leiter des Referats Haushaltspolitik in der Bremer
Senatskanzlei. „Die Linie war damals: Wir sind für eine Schuldenbremse –
aber für eine, die wir auch einhalten können“, sagt Fries. Bremen wollte
sich zunächst entschulden lassen, um sich künftig kein neues Geld leihen zu
müssen.
Der Schuldenstand lag 2005 bei 13,4 Milliarden Euro – rund der Hälfte der
bremischen Jahreswirtschaftsleistung. „Erdrosselnd“ nennt Fries das heute.
„Die Verschuldung habe so eine „natürliche Grenze erreicht, das hatte so
seine Richtigkeit, diese Mechanismen einzuziehen.“ Bremens oberstes
Verhandlungsziel sei gewesen, dass eine „unverschuldete Haushaltsnotlage“
anerkannt wurde.
Doch den Pleite-Ländern die Schulden komplett abzunehmen, kam für die
Kommission nicht infrage. Und Horst Seehofer setzte als frisch gewählter
Ministerpräsident von Bayern letztendlich durch, was vorher nicht
verabredet war. Der Bund darf von nun an pro Jahr 0,35 Prozent des BIP neu
an Krediten aufnehmen, für die Länder gilt eine schwarze Null. Sie sollen
sich ab 2020 überhaupt nicht mehr verschulden dürfen. „Erpressung“ nennt
Bodo Ramelow das heute. „Den Tag, an dem wir die Schuldenbremse beschlossen
haben, habe ich als einen der traurigsten Tage in meiner politischen
Karriere in Erinnerung.“
Seit dem 1. August 2008 regelt ein neuer Artikel 115 im Grundgesetz fortan
die engen Grenzen der erlaubten Schuldenaufnahme.
Dafür, wie weitreichend diese Entscheidung ist, gab es nur wenig
öffentliche Kritik. Rund 60 Ökonom*innen unterschrieben einen offenen
Brief, der mit „Die Schuldenbremse gefährdet die gesamtwirtschaftliche
Stabilität und die Zukunft unserer Kinder“ überschrieben war. Auch aus den
Gewerkschaften kam ein leises Murren. In den Medien hingegen blieb es
auffallend still. Als der Bundestag am 29. Mai 2008 die Schuldenbremse
beschloss, brachte die Tagesschau einen kurzen Beitrag als dritte Meldung.
In den Zeitungen erschien kaum ein kritischer Kommentar, auch nicht in der
taz. Kaum jemand, so schien es, erkannte die Tragweite der Entscheidung.
Sparen war der Zeitgeist, Krisen und Kriege schienen weit weg.
Das Land Bremen hatte sein Ziel zwar erreicht – seine „unverschuldete
Notlage“ wurde anerkannt. Doch die von den übrigen Ländern zugesicherten
Sanierungshilfen fielen mit zunächst 300 Millionen Euro pro Jahr deutlich
zu niedrig aus, als dass Bremen sich tatsächlich hätte entschulden können.
Gerettet hatte Bremen in den Folgejahren die günstige Konjunktur: Niedrige
Zinsen, hohe Steuereinnahmen. Heute hat das Bundesland satte 23,4
Milliarden Euro Schulden – rund 10 Milliarden Euro mehr als zu Beginn der
Verhandlungen in der Föderalismuskommission. Unter anderem für
Corona-Folgen und für den Klimaschutz hatte sich das Land erneut Geld
geliehen.
Das Beispiel zeigt, dass die Schuldenbremse allein keineswegs dazu führen
muss, dass sich ein Haushalt stabilisiert. Die Gefahr von Zinserhöhungen
bedroht die Zahlungsfähigkeit. „Bei 2 Prozent mehr strecken wir alle viere
von uns“, sagt Jan Fries heute. Steigende Zinsen würden schnell jeglichen
politischen Handlungsspielraum einengen und hätten wahrscheinlich auch
Leistungseinschränkungen zur Folge. Trotzdem sei es richtig gewesen, dem
Deal damals zuzustimmen.
Im Bund aber lägen die Dinge anders, sagt Fries, der heute als Staatsrat in
der Umweltbehörde unter anderem für die Klima-Investitionen zuständig ist.
Um „das Staatsmodell tragfähig zu machen“, brauche es Investitionen in
Wirtschaft und Gesellschaft. „Beim Bund ist die Kreditwürdigkeit da. Es
gäbe Spielräume, Kredite aufzunehmen.“ Fries plädiert für neue
Schuldenregeln, die „vermögensneutrale“ Investitionen ermöglichen. „Die
sollten nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden.“
Ungefähr das will auch Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck. Noch-Kanzler
Olaf Scholz will die Schuldenbremse für die Ukraine-Hilfen aussetzen, im
SPD-Wahlprogramm ist ebenfalls von einer „Reform“ zugunsten von
Investitionen die Rede. Die Linke will das Instrument ohnehin in die Tonne
treten. Die Union gelobt in ihrem Wahlprogramm zwar, an der Schuldenbremse
festzuhalten, im November allerdings sagte Kanzlerkandidat Friedrich Merz,
man könne diese „selbstverständlich“ reformieren, wenn es „wichtig für
Investitionen, wichtig für Fortschritt, wichtig für die Lebensgrundlage
unserer Kinder“ sei.
Nur Christian Lindner lässt nicht los. Im November verkündete er, er habe
sich „nicht für die Schuldenbremse auf die Straße setzen und öffentlich
herabwürdigen lassen, um mich danach an ihrer Aufweichung zu beteiligen.“
Auf Wahlplakaten der FDP steht nun der Slogan: „Schulden: Kinder haften für
ihre Eltern“.
8 Feb 2025
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=op5C981lPGU&ab_channel=IWP%7CInstitutf%…
[2] /Grundsatzpapier-des-Finanzministers/!6046476
[3] https://www.iwp.swiss/institut/
[4] https://dgap.org/de/forschung/publikationen/mehrheit-der-deutschen-unterstu…
[5] /Karlsruher-Urteil-zu-Klimafonds/!5969800
[6] https://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/michael-huether-simon-gera…
## AUTOREN
Anne Fromm
Christian Jakob
## TAGS
Longread
wochentaz
Schuldenbremse
Haushaltskrise
Christian Lindner
GNS
Schuldenbremse
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Wirtschaftskrise
Gerechtigkeit
Schuldenbremse
## ARTIKEL ZUM THEMA
Philippa Sigl-Glöckner: Ohne Bremse Richtung Bundestag
Kann man mit dem Thema Schuldenbremse einen Wahlkampf gewinnen? In München
versucht die Sozialdemokratin Philippa Sigl-Glöckner genau das.
FDP-Wahlparteitag: Lindners vorerst letztes Argument
Schafft es die FDP in den Bundestag? Das ist nicht nur für die Partei
entscheidend, sondern vor allem für die Karriere ihres Chefs Christian
Lindner.
Sofortprogramm der CDU: Unkonkrete Versprechen und kein echter Plan
Deutschlands kriselnde Wirtschaft braucht mehr als das CDU-Sofortprogramm.
Dieses geht sowohl ökonomisch als auch ökologisch in die falsche Richtung.
Umfrage zur Sozialpolitik: Auch Konservative sind gegen Spekulanten
Links der Mitte kommen Forderungen nach sozialem Ausgleich am besten an.
Aber auch unter Unions-Wähler*innen gibt es für einige Maßnahmen
Mehrheiten.
Diskussion um Reform: Die Schuldenbremse wackelt deutlich
Mittlerweile spricht sich selbst eine Ratingagentur für eine Reform der
Schuldenregeln aus. Auch Kanzlerkandidat Merz schließt das nicht mehr aus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.