| # taz.de -- Theaterstück „Druck!“ in Mannheim: Was ist oben weiß und unte… | |
| > Geteilte Erfahrungen: Das Nationaltheater Mannheim macht die aktuell | |
| > schwierige Lage von Menschen mit migrantischen Hintergründen zum Thema. | |
| Bild: Szene aus der Mannheimer Inszenierung von „Druck!“ | |
| Während man hierzulande, noch geschockt von der [1][Messerattacke in | |
| Aschaffenburg], erneut über Asyl und Flucht als die vermeintliche Mutter | |
| aller Probleme debattiert, prescht das [2][Nationaltheater Mannheim] mit | |
| einer mutigen Uraufführung vor. | |
| Denn was das aufgeheizte Diskursklima bei hier schon lange lebenden | |
| Menschen anderer Hautfarbe oder Ethnie bewirkt, davon gibt Arad Dabiris | |
| Stück schon im Titel Kunde, nämlich „Druck!“. Druck zur Anpassung, Druck, | |
| nicht mit ungewöhnlichem Verhalten aufzufallen, Druck, sich sogar | |
| vorbildlicher als manch Deutsche zu benehmen. | |
| Daran scheitern viele, so auch Hassans Bruder. Kleinere Drogendeals haben | |
| ihn in den Knast gebracht. Letztlich können dafür nur rassistische | |
| Strukturen in der Polizei ursächlich sein, meinen seine Freunde. Dagegen | |
| plädiert seine beruflich erfolgreiche Schwester (Shirin Ali), die wie die | |
| ganze Familie einen iranischen Hintergrund hat, für mehr | |
| Selbstverantwortung, anstatt sich in Klagen über das System zu ergehen. | |
| Ungeachtet dessen wissen alle, dass letzteres Chancen verbaut. Da hilft | |
| manch einem nur noch Galgenhumor: „Was ist oben weiß und unten schwarz? – | |
| Die Gesellschaft!“ | |
| Erzählt wird der Witz auf einer in der Mitte der Bühne befindlichen | |
| Parkbank, dem Treffpunkt der Clique. Hier ringt man mit Argumenten. Schuld, | |
| Trauer, Wut – alle Emotionen finden hier Raum. Auch der Entschluss, endlich | |
| gegen die verkrusteten Verhältnisse aufzubegehren, nimmt hier seinen | |
| Anfang. Rasch manifestiert sich der Wille zu einer Demonstration. Die | |
| Eskalation scheint selbstverständlich erwartbar. | |
| Obgleich man sich in dieser Inszenierung von Ayşe Güvendiren stellenweise | |
| mehr Bilder und Assoziationen gewünscht hätte, gelingt sie aus zwei | |
| Gründen: erstens aufgrund des energievollen, mit dem Autor:innenpreis | |
| des Heidelberger Stückemarkts nobilitierten Textes, zweitens wegen des | |
| fantastischen Bühnenbildes (Theresa Scheitzenhammer). Denn die | |
| Protagonistinnen werden von einem Guckkasten eingerahmt, förmlich gefangen | |
| genommen. Wie in einem Fernsehbild findet deren Handeln allein dahinter | |
| statt. | |
| ## Kein Außerhalb der medialen Klischees | |
| Die Botschaft: Es gibt für diese Menschen kein Außerhalb der medialen | |
| Klischeemaschinerie. Sie sind und bleiben die Fremden – und sprechen fast | |
| immer frontal zu uns, den symbolischen TV-Zuschauer:innen. Dass sie von | |
| Kameras aus mehreren Perspektiven gefilmt und diese Bilder dann auf die | |
| quadratische Bühneneinfassung projiziert werden, zeugt zudem von der | |
| misstrauischen Beobachtung, der sie durch die Öffentlichkeit ausgesetzt | |
| sind. | |
| Lediglich am Ende, als die Protagonist:innen zum Protest übergehen und | |
| die Situation durch Schlägereien zwischen Nazis und linken Splittergruppen | |
| außer Kontrolle gerät, kippt der Rahmen. Dann haben wir es tatsächlich mit | |
| einem Ausbruch aus den aufgezwungenen Rollenmustern zu tun, aber eben zum | |
| Preis der Gewalt. | |
| Seiner Autonomie beraubt, zuckt Hassan (Barış Özbük) kurz darauf im | |
| dämmrigen Licht hin und her. Er erinnert an eine Marionette, scheint | |
| Schläge abzuwehren. Übrigens erweisen sich die Protagonisten schon davor | |
| wie von einer unsichtbaren Macht gesteuert, sprechen sie doch alle | |
| Regieanweisungen mit. | |
| Die kluge Komposition des Abends ist das eine, das andere die Besonderheit | |
| des Aufführungsortes. Denn Mannheim, diese multiethnische Arbeiterstadt, | |
| bespiegelt sich mit „Druck!“ selbst. Allein das bunte Publikum, die | |
| anwesenden Schüler:innen mit diversen Hintergründen lassen diesen Abend | |
| zur geteilten Erfahrung werden. Nicht mit einem nachzubetenden, naiven | |
| Lösungsansatz, sondern mit einer Einladung: zum gegenseitigen Zuhören- und | |
| Verstehenwollen. | |
| 26 Jan 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Politische-Verantwortung/!6061843 | |
| [2] /Theaterstueck-ueber-Felix-Hartlaub/!6051500 | |
| ## AUTOREN | |
| Björn Hayer | |
| ## TAGS | |
| Theater | |
| Politisches Theater | |
| Migration | |
| Mannheim | |
| Regisseurin | |
| Theater | |
| Rechter Populismus | |
| Mannheim | |
| Theater | |
| Theater | |
| Theater | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Schillertage am Nationaltheater Mannheim: Kein Raum den Jägern! | |
| Vom westlichen Sexismus bis zum indischen Kastensystem: Die Schillertage am | |
| Nationaltheater Mannheim setzen ein deutliches Zeichen gegen Repression. | |
| Aus Sicht der Migrationsforschung: Migration und Demokratie | |
| Flucht und Asyl beherrschen den Wahlkampf. Statt die Realität der | |
| Migrationsgesellschaft zu bekämpfen, braucht es eine neue Form der | |
| Bürgerschaft. | |
| „Der Operndirektor“ in Mannheim: Keine Lust zur Provokation | |
| Kritik am eigenen Tun ist am Theater gerade in. Aber Domenico Cimarosas | |
| Satire „Der Operndirektor“ am Nationaltheater Mannheim zündet nicht. | |
| Kim de l'Horizons „Blutbuch“: Das leibliche Ding feiern | |
| Premiere in Potsdam: Kieran Joel bringt nach Kim de l’Horizons Roman | |
| „Blutbuch“ eine Landschaft aus Großmutterfleisch überzeugend auf die Büh… | |
| Theaterstück über Felix Hartlaub: Im Epizentrum der Nazis | |
| Das Nationaltheater und die Kunsthalle Mannheim bringen das kurze Leben des | |
| Kriegstagebuchschreibers Felix Hartlaub auf die Bühne. | |
| Theater über Gesellschaft ohne Zukunft: Aufgang der Vergessenen | |
| Das Nationaltheater Mannheim bringt mit „Der Grund. Eine Verschwindung“ | |
| eine vielschichtige, klug durchkomponierte Parabel auf die Bühne. |