| # taz.de -- Schillertage am Nationaltheater Mannheim: Kein Raum den Jägern! | |
| > Vom westlichen Sexismus bis zum indischen Kastensystem: Die Schillertage | |
| > am Nationaltheater Mannheim setzen ein deutliches Zeichen gegen | |
| > Repression. | |
| Bild: Die deutsch-indische Koproduktion „Still I Choose to Love“ ist eine A… | |
| Manch klassischer Text kann einen schon mal an alte Schuhsohlen erinnern. | |
| Je häufiger man ihn aufführt, desto ausgelatschter, ja unzeitgemäßer | |
| erscheint er. Von den Dramen Friedrich Schillers lässt sich dies nicht | |
| behaupten. In einer Ära des Erstarkens autoritärer Regime ist nichts so | |
| sehr bedroht wie die stets vom Dichter eingeforderte Freiheit. Am | |
| Nationaltheater Mannheim widmete man Letzterer und ihrem literarischen | |
| Verfechter daher mit den internationalen Schillertagen just wieder eine | |
| angemessene Feier, 11 Tage lang – mit unverkennbar rebellischem Impetus, | |
| wie zum Beispiel die Uraufführung der „Mannheimer Räuber*innen“ belegt, d… | |
| open air im Käfertaler Wald stattfand. | |
| Während im Originaltext der von Intrigen flankierte Zwist der beiden Brüder | |
| Franz und Karl Moor im Vordergrund steht, ist von diesem tödlich endenden | |
| Konflikt in der Überschreibung vom Mannheimer Stadtensemble, die im Auftrag | |
| der Schillertage entstand, kaum etwas übrig geblieben. Einzig Karl ist hier | |
| und da noch präsent. Zumeist befindet er sich auf einem Hochsitz, gehört er | |
| doch zu den Jägern und Räubern „mit Gewehren, die länger als sie selbst | |
| sind“. | |
| Dass man bei dieser Formulierung durchaus an einen Phallus denken kann, | |
| dürfte beabsichtigt sein. Denn die Inszenierung nach einem Text von Leo | |
| Lorena Wyss folgt mit ihren fast ausschließlich weiblichen Personal (unter | |
| anderem Yasmin Ahmed, Emelie Blam und Anna Bergler) einem stringent | |
| (öko-)feministischen Ansatz, der auf einer Verknüpfung beruht: Jagd und | |
| Misogynie. Mal ejakuliert Karl in die Landschaft, was das Pflanzen des | |
| Waldes verbildlichen soll, mal erlegt er eine Frau und trägt sie stolz wie | |
| ein getötetes Tier herum. | |
| ## Autonomie und Opfertum | |
| Nun wollen die titelgebenden Räuber*innen dieses Regime nicht mehr | |
| hinnehmen und begehren dagegen auf. Sie berichten von ihren | |
| Missbrauchserfahrungen, klagen das Patriarchat an. Eine Frau, die den | |
| Hochsitz besteigt, näht sich dort überdies mit Nadel und rotem Faden | |
| symbolisch die Vulva zu. Einerseits ist es ein Akt der Selbstbestimmung, | |
| andererseits eine Anspielung auf die Beschneidung. Autonomie und Opfertum | |
| liegen hier also eng beieinander. Eine ähnliche Ambivalenz repräsentiert | |
| die Kulisse, die sich aus roten Lianen zusammensetzt. Stehen sie nicht für | |
| Fesseln oder vergossenes Blut, so können sie gleichsam als Halt gebende | |
| Elemente dienen. | |
| Beata Anna Schmutz’ Inszenierung erweist sich zwar als mutig, fällt aber | |
| recht mager aus, dreht sich an diesem Abend inhaltlich doch vieles im | |
| Kreis. Aber na ja, die Realität zeugt ja leider auch noch nicht von der | |
| Überwindung einer lang anhaltenden Spirale der Gewalt. | |
| Gegen Repression wendet sich ebenso ein weiterer und auf dem Festival in | |
| gleich zwei Versionen neu interpretierter Klassiker. Neben Charlotte | |
| Sprengers Realisierung von „Kabale und Liebe“ für das Nationaltheater, die | |
| auch größtenteils mit Frauen besetzt ist, besticht die deutsch-indische | |
| Koproduktion des Schiller-Stücks, „Still I Choose to Love“ von Lakshman KP. | |
| Statt der Standesunterschiede, die Ferdinands und Louises Liebe im | |
| Klassiker unterbinden, nimmt die spätmoderne Variante das Kastensystem in | |
| den Fokus. | |
| ## Die Jungfrau muss hübsch Kaffee servieren | |
| Dazu erleben wir ein Theater im Theater. Auf Deutsch, Englisch und Indisch | |
| proben vier Spieler:innen (unter anderem Devaki Rajendran und Larissa | |
| Voulgarelis) den ursprünglichen Text, nutzen aber die Pausen dazwischen zur | |
| Reflexion, etwa über kulturelle Aneignung oder die politische Aufladung des | |
| Körpers. Auch satirische Töne schlägt man an, indem man die Karikatur einer | |
| indischen Brautwerbung auf der Bühne entwirft. Dazu muss die Jungfrau | |
| hübsch Kaffee servieren, der interessierte Mann wiederum das Haus des | |
| möglichen Schwiegervaters loben und unbedingt breitbeinig dasitzen. Anders | |
| als der tragische Ausgang beim Freiheitsdichter hat sich diese | |
| erfrischende, wenn auch ziemlich erwartbare Version für ein gutes Ende | |
| entschieden, mit einer Hymne auf die Liebe, die sowohl ethnische | |
| Unterschiede als auch sämtliche heteronormativen Klischees auflöst. | |
| Dazu treten die Spieler:innen mit Holzmasken auf. Vielleicht, weil sie | |
| einen Schutz vor Verfolgung bieten, vielleicht, weil sie ein | |
| Experimentieren mit verschiedenen Identitäten ermöglichen. Oder weil sie | |
| eben für die universelle und für alle Menschengruppen zutreffende Botschaft | |
| des Textes stehen, die ebenfalls die Weltkarte im Hintergrund vermittelt: | |
| Der Kampf für eine freie Liebe, er findet überall statt. | |
| Was es dafür braucht? Gewiss mehr Empathie. Darum geht es auch in der | |
| gänzlich im Dunkel aufgeführten Performance „Société Anonyme“ von Rimini | |
| Protokoll. Hierin erzählen Grenzgänger im Abseits – von Schizophrenen bis | |
| zu illegalen Arbeiter:innen – ihre Geschichten (aus dem Off). | |
| „Wenn Menschen nur Menschen sind“ heißt das schlichte Motto des | |
| diesjährigen Festivals, das in all seinen Facetten noch einmal die | |
| Humanität zu retten sucht. Ein wichtiges Signal, nachdem ihre Gültigkeit | |
| global leider mehr und mehr infrage gestellt wird. | |
| 30 Jun 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Björn Hayer | |
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