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# taz.de -- Brandmauer in sächsischen Kommunen: In Sachsen bröckelt’s
> Keine Zusammenarbeit mit der AfD? Ein Blick nach Sachsen zeigt: Auf
> kommunaler Ebene ist das längst Praxis. Neun Beispiele aus Stadt- und
> Kreisräten.
Bild: Sachsens AfD-Chef Urban bringt seine Lokalpolitiker*innen in Stellung
Bis vor Kurzem ließ die Führung der Union keinen Zweifel daran, an der
Brandmauer zur AfD festhalten zu wollen. Doch wurde das an der Basis auch
so gesehen?
Es gibt Zweifel, wie ein Blick nach Sachsen zeigt – wo die Partei vom
Verfassungsschutz als [1][gesichert rechtsextrem] eingestuft ist. Im
Landtag überließ die CDU der AfD gerade die Vorsitze des Innen-,
Haushalts-, Bildungs- und Rechtsausschusses. Letzteren soll Alexander
Wiesner führen, der bis vor Kurzem Landeschef der Parteijugend „Junge
Alternative“ war und zwei Mitarbeiter beschäftigte, die von der
Bundesanwaltschaft unter Rechtsterrorverdacht gegen die Gruppe „Sächsische
Separatisten“ festgenommen wurden. Auch in die Kontrollkommission wählten
CDU und BSW einen AfD-Mann. Diese kontrolliert den Verfassungsschutz – der
wiederum auch Rechtsextreme in der AfD beobachtet.
Eine taz-Umfrage in allen Landkreisen Sachsens zeigt: Während sich CDU, BSW
und andere Parteien mancherorts von der AfD abgrenzen, existiert die
Brandmauer anderenorts nicht mehr. Neun aktuelle Beispiele.
## Kreistag Bautzen
Es war gleich in der ersten Sitzung im August, als der Kreistag einen
AfD-Beschluss mit breiter Mehrheit verabschiedete: die Abschaffung des
hauptamtlichen Ausländerbeauftragten. Zuvor hatte CDU-Landrat Udo Witschas
– der schon länger betont, mit allen gewählten Parteien zusammenzuarbeiten
– erklärt, er mache bei der Abstimmung keine Vorschriften, und votierte für
eine geheime Abstimmung. Dem Antrag wurde mit 47 zu 30 Stimmen zugestimmt –
15 mehr, als die AfD-Fraktion besitzt. SPD, Grüne und Linke sagten, sie
hätten gegen die Abschaffung des Ausländerbeauftragten gestimmt. Die
Landesdirektion prüft bis heute, ob der Kreistagsbeschluss rechtmäßig ist.
Das sächsische Sozialministerium hatte bereits erklärt, dass es diesen als
unvereinbar mit dem Sächsischen Integrations- und Teilhabegesetz sieht.
Matthias Grahl, Bautzener CDU-Kreisrat und Landesschatzmeister der CDU,
plädierte zuletzt offen für Gespräche mit der AfD. Eine Koalition solle man
nicht mehr ausschließen – sonst mache man sich weiter erpressbar von SPD,
Grünen und Linken, die „für alles stehen, was in diesem Land schiefläuft�…
Grünen-Kreisrat Jonas Löschau sagte der taz, über die Brandmauer habe man
im Landkreis vor ein paar Jahren diskutiert. „Das ist vorbei. Die
Brandmauer gibt es hier nicht mehr. Die AfD ist als größte Fraktion längst
Taktgeber und die CDU lässt sich davon treiben.“
## Kreistag Meißen
Als der Kreistag im November über den Posten der Vizelandrätin abstimmte,
gab es neben AfD-Frau Angelika Meyer-Overheu auch eine demokratische
Gegenkandidatin, Anita Maaß von der FDP, Bürgermeisterin von Lommatzsch.
Doch der Kreistag votierte gleich im ersten, geheim abgehaltenen Wahlgang
mit 46 Stimmen für Meyer-Overheu – obwohl die AfD nur 27 Mandate hat. „Ohne
Not“ sei hier eine AfD-Vertreterin in ein Amt gewählt worden, schimpfte
Linken-Landeschef Stefan Hartmann. CDU-Landrat Ralf Hänsel hatte schon
zuvor in einem Interview erklärt, eine Brandmauer zur AfD habe man im
Landkreis „nie errichtet“. Er selbst sei „ein strikter Gegner“ einer
solchen – man müsse anfangen, „alle in die Verantwortung zu nehmen“.
Grünen-Kreisrätin Eva Oehmichen sagte der taz, auch aus ihrer Sicht habe es
im Landkreis „eine Brandmauer zur AfD von Seiten der CDU zu keinem
Zeitpunkt gegeben“. Beide Fraktionen duzten sich, Teile der Fraktionen
würden das Vorgehen bei Anträgen gemeinsam absprechen. Ihr Eindruck sei
eher, die Brandmauer werde „in Richtung Grünen und Linken errichtet“.
## Kreistag Sächsische Schweiz-Osterzgebirge
Der Antrag fand im Dezember eine breite Mehrheit: Das laufende
Besetzungsverfahren für die Integrationsbeauftragte zu stoppen. Der Vertrag
lief zum Jahresende 2024 aus, Amtsinhaberin Yvonne Böhme hatte sich erneut
beworben, als einzige qualifizierte Bewerberin. Der Antrag kam von der CDU,
aber wenig überraschend stimmten auch AfD, Freie Wähler, FDP, Konservative
Mitte und die Rechtsextremen der Freien Sachsen zu. Die Stelle bleibt nun
vorerst unbesetzt. Böhme hatte zuvor eine Ausstellung über Geflüchtete im
Landratsamt in Pirna mitinitiiert – das Amt ließ sie noch vor der Eröffnung
wieder abbauen, wegen angeblicher Beschwerden von Bürger*innen.
Eine Kirchengemeinde beherbergte danach die Ausstellung. Der Flüchtlingsrat
Sachsen kritisierte den Kreistagsbeschluss als „verheerendes Signal in
Bezug auf demokratische Vielfalt und Repräsentation im Landkreis“. Die
Integrationsbeauftragte sei „ein unverzichtbarer Bestandteil der kommunalen
Integrationsarbeit“. Böhme selbst sagte, die „Allianz“ aus CDU, AfD und
anderen „wirft Fragen auf“. Sie sei „persönlich getroffen“, dass
CDU-Kreisräte, die auch Bürgermeister seien, den Beschluss mitgetragen
haben – diese wüssten doch, wie wichtig diese Arbeit sei.
## Kreistag Mittelsachsen
Es sah nach einer unspektakulären Personalie aus: Der neugewählte
Grünen-Kreisrat Michael Seidel erklärte zu Beginn der Legislaturperiode, er
könne sein Mandat nicht antreten. Er habe einen neuen Job als Lehrer, ein
Nachrücker stehe parat. Doch AfD, CDU, Freie Wähler und Teile der SPD
stimmten gegen den Mandatsverzicht: Seidels Grund sei vorgeschoben, der
Aufwand machbar. In gleich zwei Sitzungen lehnte der Kreistag Seidels
Antrag ab. Weshalb das Parlament am Mittwoch auf Anordnung der
Landesdirektion, die Seidels Position teilt, eine Sondersitzung einberufen
musste.
Doch auch da blieben AfD und CDU hart. Nun muss ein Verwaltungsgericht
entscheiden. Die Grünen nannten den Vorgang „bizarr“, der Beschluss sei
rechtswidrig. Auch Kreisrätin Jana Pinka (parteilos) sagte der taz, sie sei
„fassungslos“: AfD und CDU täten sich hier bereits bei einem Thema
zusammen, das eine reine Formalie hätte sein müssen.Schon in der
vergangenen Legislaturperiode machte der Kreistag Schlagzeilen, weil AfD
und CDU eine Übernahme von 3,5 Millionen Euro für Asylkosten durch den
Landkreis ablehnten – als Protest gegen die Asylpolitik im Bund. Landrat
Dirk Neubauer (parteilos, einst SPD) hatte dagegen Widerspruch eingelegt
und betont, dass dies eine Pflichtaufgabe des Landkreises sei. Auch hier
musste sich am Ende die Landesdirektion einschalten.
Neubauer trat später zurück, beklagte rechte Drohungen gegen ihn.
Aussichtsreichster Nachfolger ist nun der parteilose Freiberger
Bürgermeister Sven Krüger, der von CDU und Freien Wählern unterstützt wird
– und der 2023 Schlagzeilen machte, weil er auf einem Ball in St.
Petersburg für ein „gutes Miteinander“ zwischen Deutschland und Russland
warb.
## Stadtrat Leipzig
Bereits 2020 trat Leipzig dem Bündnis „Sicherer Hafen“ bei, womit sich
Städte verpflichten, über den Verteilungsschlüssel hinaus freiwillig mehr
Geflüchtete aufzunehmen. Ende 2024 brachte die AfD im Stadtrat einen Antrag
ein, Leipzig müsse „unverzüglich“ aus dem Bündnis austreten. Das Projekt
sei „gefährliche moralgetriebene Symbolpolitik“.
Die CDU reagierte darauf, indem sie den Antrag inhaltlich übernahm,
verschärfte und nochmal selbst einbrachte. Damit sollen der Stadt nun auch
Spendenaufrufe an den sächsischen Seenotrettungsverein Mission Lifeline und
jede weitere Unterstützung des Bündnis Seebrücke untersagt werden.
Abgestimmt wurde über den Beschluss bisher noch nicht. Aber er kann mit
einer Mehrheit rechnen: AfD und BSW signalisierten bereits Zustimmung. Auf
der anderen Seite unterzeichneten gut 15.000 Personen eine Petition, dass
Leipzig „sicherer Hafen“ bleiben soll.
Die Leipziger Linken-Abgeordnete Juliane Nagel nannte den Fall
symptomatisch, wie eine Brandmauer zwischen AfD und CDU auf kommunaler
Ebene in Sachsen „nicht mehr erkennbar“ sei. Auch das BSW habe „keinerlei
Bedenken, mit den Faschisten gemeinsame Sache zu machen“, sagte Nagel. „Das
ist dramatisch, weil so gerade im Kleinen menschen- und
demokratiefeindliche Einstellungen normalisiert werden.“ Und auf
Landesebene bleibe die Frage, ob CDU und SPD so wirklich ihre Ansage
durchhalten, nicht mit der AfD zu kooperieren.
## Stadtrat Zwickau
Er sitzt für die AfD im Zwickauer Stadtrat, war seit August auch
Abgesandter im Jugendbeirat: Julian Bader. Im Herbst berichtete dann der
NDR, dass der angehende Schornsteinfeger einst zur 2020 verbotenen
Neonazi-Gruppe „Nordadler“ gehörte und auch aktuell Teil einer sich neu
formierenden Gruppe sei. Der Jugendbeirat weigerte sich darauf, weiter mit
Baden zusammenzuarbeiten. Im Stadtrat sollte seine Abwahl aus dem Beirat
erfolgen. Doch die scheiterte im November im Stadtrat: 27 Stadträte stimmen
in geheimer Wahl gegen die Abwahl Baders – 11 mehr, als die AfD-Fraktion
Mitglieder hat.
Die AfD hatte Bader verteidigt, gegen ihn liege strafrechtlich nichts vor.
Was er in seiner Freizeit tue, gehe niemanden etwas an. Dabei hatte in der
Debatte zuvor auch Kripo-Leiterin Grit Blöse, die für „Bürger für Zwickau…
im Parlament sitzt, deutlich für die Abwahl von Bader appelliert und vor
seinen engen Kontakten zu Rechtsextremen gewarnt – die CDU reagierte laut
Freier Presse mit Schweigen. Kurz darauf verkündete Bader selbst, er wolle
den Jugendbeirat verlassen – wegen beruflicher Belastung. Andere Fraktionen
warfen der AfD darauf ein „Schmierentheater“ vor. Im Stadtrat sitzt Bader
für die AfD bis heute.
## Stadtrat Chemnitz
Es war schon länger ein Streitthema in Chemnitz: Die Schließung von bis zu
zehn Kitas mit bis zu 1.000 Plätzen. Das Jugendamt hatte dies angekündigt,
weil seit Jahren das Angebot den Bedarf übersteige und es teils hohen
Sanierungsbedarf gebe. Im Oktober taten sich dann AfD und BSW zusammen und
beantragten eine Sondersitzung des Stadtrats zu dem Thema. Grüne, Linke und
andere warfen beiden Parteien eine „Inszenierung“ und Verschwendung von
Sitzungsgeldern vor. Tatsächlich, so argumentierten die Grünen, brauche es
eine Lösung, so viele Kita-Plätze dürften nicht abgebaut werden. Aber BSW
und AfD gehe es nicht um eine Lösung, sondern nur um öffentlichen Zuspruch.
Und das BSW mache „ohne Not“ gemeinsame Sache mit einer Partei, die in
Teilen als gesichert rechtsextrem gilt, so die Linke.
Die Sondersitzung selbst endete ergebnislos. Ein finaler Beschluss zu den
Kitas wurde bis heute nicht gefällt.
## Stadtrat Meißen
Schon seit Monaten polterte der AfD-Stadtrat René Jurisch, ein früherer
NPD-Mann, gegen das alternative Projekt „Buntes Meißen“, warf diesem eine
„Selbstbedienungsmentalität“ und „Heile Welt Veranstaltungen“ vor. Im
Oktober machte das Stadtparlament dann Ernst: Es stimmte mehrheitlich für
eine – von der AfD vorgeschlagene – geänderte Prioritätenliste für die
Förderung von Lokalprojekten durch den Europäischen Sozialfonds. Ein neues
Projekt rutschte nach oben, das Projekt „Sozialer Garten“ vom „Bunten
Meißen“ rutschte nach unten und fällt damit nun für die kommenden drei
Jahre aus der Förderung. 15 Stadträte stimmten für den Beschluss – die AfD
hat 9.
Das Projekt „Buntes Meißen“, das seit 11 Jahren in der Stadt wirkt, sprach
danach vom „Anfang vom Ende der Abgrenzung gegen die AfD“. Und ergänzte:
Die Stadt verliere „eine ambitionierte Initiative für das soziale
Miteinander“. Die Fraktion „Bürger für Meißen“ beklagten ebenso, dass …
Stadtrat fachliche Expertise „gegen persönliche Befindlichkeiten, gegen
politische Abneigungen und eine ideologische Vorgehensweise ausgetauscht“
habe. AfD-Mann Jurisch dagegen jubilierte: „Die Selbstbedienung an
Steuergeldern ist vorbei. Nicht nur in Meißen!“
## Stadtrat Weißwasser
Die AfD in Weißwasser führte an, dass die Stadt sparen müsse, und stellte
deshalb im Dezember im Stadtrat den Antrag, Zuschüsse für soziale Vereine
und die Jugendhilfe um 50 Prozent zu kürzen, rückwirkend für das komplette
Jahr 2024.
Nach einer Debatte einigte man sich auf 30 Prozent Kürzungen, dann bekam
der Antrag eine Mehrheit – mit Stimmen eines SPD-Abgeordneten und einem der
Gruppe „Veränderung jetzt“.
Der Beschluss betrifft etwa das Soziokulturelle Zentrum Telux, das
gemeinsam mit fünf anderen Projekten erklärte, der Beschluss reiße
„erhebliche Finanzierungslücken“, und ihre weitere Arbeit in der Stadt
stehe nun „wirklich infrage“. Genau solche Zentren hatte AfD-Chef Tino
Chrupalla zuvor bei einer Veranstaltung in Weißwasser ins Visier genommen.
26 Jan 2025
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## AUTOREN
Konrad Litschko
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