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# taz.de -- Feminismus und LGBT in Argentinien: „Unser Leben ist in Gefahr“
> Argentiniens Präsident Javier Milei hetzt gegen Feminismus und
> Geschlechtervielfalt. Die queerfeministische Bewegung organisiert nun den
> Protest.
Bild: Demo in Buenos Aires am 8. März 2024: Die queerfeministische Bewegung in…
Buenos Aires taz | „Diese Versammlung ist entstanden, weil wir es nicht
mehr aushalten“, sagt Alejandra Rodríguez. Sie ist eine der Personen, die
der argentinische Präsident Javier Milei zu Feinden erklärt hat. Die trans
Feministin betreut gemeinsam mit dem Kollektiv Yo No Fui ein queeres
Schutzhaus für Menschen, die aufgrund von Diskriminierung obdachlos
geworden sind. Anfang der Woche kam sie mit Hunderten anderen Menschen im
Parque Lezama in Buenos Aires zusammen, um den Widerstand gegen die
Regierung des rechtslibertären Präsidenten Milei zu organisieren. Samstag
soll die Demo stattfinden. Lesben, Schwule und trans Personen schwenken
Regenbogenfahnen. „Unser Leben ist in Gefahr“, ist auf einem rosafarbenen
Banner zu lesen.
Mileis Rede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos am 23. Januar hat sie
zusammengebracht. Der argentinische Präsident widmete seine Ansprache,
anders als erwartet, nicht etwa s[1][einen marktliberalen Reformen, der
Kürzung der öffentlichen Ausgaben] und der Bekämpfung der Inflation.
Stattdessen sprach er eine halbe Stunde lang über die sogenannte woke
Ideologie, die er als „Krebs“ bezeichnete, der ausgemerzt werden müsse.
Feminismus sei überflüssig, weil Gleichheit vor dem Gesetz bereits
existiere. Alles andere sei ein „Streben nach Privilegien“, um eine Hälfte
der Bevölkerung gegen die andere aufzubringen.
Auf dem Höhepunkt seiner Rede holte er gegen Homosexuelle und trans
Personen aus. Die „Genderideologie“ würde „gesunde Kinder unwiderruflich
verstümmeln“, weshalb sie mit Kindesmissbrauch und Pädophilie
gleichzusetzen sei. „Es ist unsere moralische Pflicht und unsere
historische Verantwortung, das ideologische Gebäude des krankhaften
Wokismus zu zerschlagen“, sagte Milei. Und er fühle sich nicht allein, er
habe Weggefährten in seinem „Kampf für die Freiheit“: Elon Musk, Giorgia
Meloni, Viktor Orbán, Benjamin Netanjahu und Donald Trump.
Die Federación Argentina de Lesbianas, Gays, Bisexuales y Trans (FALGBT),
Argentiniens größte Dachorganisation für LGBT-Rechte, reagierte prompt. Sie
erstattete Anzeige gegen Milei wegen Anstiftung zu Hass, Drohungen und
öffentlicher Einschüchterung. Seine Aussagen in Davos würden zu einer
Stigmatisierung und Entmenschlichung von Bevölkerungsgruppen führen, die
des besonderen Schutzes durch die staatlichen Behörden bedürfen, heißt es
in der Anklageschrift. Gleichzeitig gefährde der Präsident demokratische
Grundsätze und Grundrechte und missachte die argentinische Gesetzgebung.
## Argentinien war Vorreiter im Bereich Frauenrechte
Dass Milei gegen Feminismus und Geschlechtervielfalt hetzt, ist nicht neu.
Aber es ist das erste Mal, dass er so aggressiv und auf internationaler
Bühne die LGBT-Community angreift. „Seit Mileis Wahlsieg nehmen
Hassdiskurse gegen uns zu“, sagt María Rachid, die Präsidentin von FALGBT.
Anders als früher gehen diese Angriffe seit seinem Amtsantritt Ende 2023
direkt von der Regierung aus.
„Was wir in Jahrzehnten erreicht haben, will Milei jetzt in wenigen Monaten
zerstören“, sagt die 50-jährige Rachid. Sie kämpft schon seit den 1990er
Jahren für LGBT-Rechte. Argentinien gilt als Vorreiter im Bereich
Frauenrechte und LGBT-Rechte. Die verschiedenen links ausgerichteten
Regierungen legalisierten schon 2010 als Erste in Lateinamerika die
gleichgeschlechtliche Ehe. 2012 verabschiedete das Parlament ein
Selbstbestimmungsgesetz. Im selben Jahr wurde der Femizid als
eigenständiger Tatbestand im Strafgesetzbuch aufgenommen. Es folgten die
Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und eine Transquote in der
öffentlichen Verwaltung. Die feministische und queere Bewegung schien nicht
aufzuhalten zu sein – bis Milei Präsident wurde.
Die Historikerin Gabriela Mitidieri forscht in der
Menschenrechtsorganisation Centro de Estudios Legales y Sociales (CELS) zu
Demokratie und Vernetzungen der internationalen Rechten. Sie erklärt, dass
[2][Mileis marktradikale Wirtschaftspolitik eng mit dem Antifeminismus] und
der Queerfeindlichkeit verbunden ist. „Er stellt diese Gruppen als
Verursacher unnötiger staatlicher Ausgaben und als Verantwortliche für die
strukturelle Krise Argentiniens dar“, sagt sie. „Und sich selbst
präsentiert er als den moralischen Retter.“ Der Antifeminismus diene der
Regierung außerdem dazu, internationale rechte Allianzen aufzubauen,
beispielsweise mit Donald Trump in den USA.
## Mileis im „Kulturkampf“
Als eine seiner ersten Amtshandlungen schaffte Milei das Ministerium für
Frauen, Gender und Vielfalt ab und kürzte die Gelder für fast alle
Sozialprogramme zum Schutz von Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt.
E[3][r hetzt regelmäßig gegen Linke, Feministinnen,] Homosexuelle und trans
Personen, gegen die er sich in einem „Kulturkampf“ befinde.
Einer Umfrage der Universidad de San Andrés zufolge unterstützen allerdings
über 70 Prozent die gleichgeschlechtliche Ehe und den Schutz von trans
Menschen vor Diskriminierung. Diejenigen, die mit Mileis Hassdiskursen
einverstanden sind, sind also eine kleine Minderheit. Aber Milei gibt ihnen
eine Stimme. Einen Tag nach seiner Rede in Davos verkündete er, den
Tatbestand des Femizids aus dem Strafgesetzbuch streichen zu wollen,
nichtbinäre Personalausweise zu verbieten, die Transquote und die
Geschlechterparität bei den Parlamentswahlen abzuschaffen. Dafür braucht er
aber die nötigen Stimmen im Parlament. Bisher hat seine Partei dort keine
Mehrheit. Noch nicht.
In diesem Jahr findet eine Zwischenwahl statt, bei der die Hälfte der Sitze
in der Abgeordnetenkammer und ein Drittel der Sitze im Senat neu gewählt
werden. Etwa die Hälfte der Bevölkerung unterstützt den Präsidenten ein
Jahr nach seinem Amtsantritt weiterhin. Aber Mileis Auftritt in Davos hat
viele empört.
„Milei will, dass wir uns verstecken, aber wir werden auf die Straße
gehen“, ruft eine Person im Parque Lezama ins Mikrofon. Die queere
Versammlung will LGBT-Organisationen aus ganz Argentinien
zusammenschließen. Auch Gewerkschaften, Studierende und
Menschenrechtsorganisationen rufen zum Protest auf. „Diese spontane
Bewegung geht zwar von der LGBT-Community aus, aber die ganze Bevölkerung
leidet unter dieser Regierung“, sagt Alejandra Rodríguez. „Wir sagen Basta,
nicht nur zu Mileis Rede, sondern zu einem politischen Projekt, das unser
Leben gefährdet.“ Zumindest hier im Park herrscht Aufbruchstimmung.
1 Feb 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Sophia Boddenberg
## TAGS
Javier Milei
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