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# taz.de -- Gedenkfeiern für alle: Braucht es christliche Federführung?
> Nach Anschlägen und Katastrophen wird der Opfer im kirchlichen Rahmen
> gedacht. Mit Kirche haben die aber oft nichts zu tun. Zeit für säkulare
> Gedenkfeiern!
Bild: Warum überlässt Deutschland das kollektive Gedenken immer noch den Reli…
Noch immer haben wir die Bilder des schrecklichen Attentats auf den
Weihnachtsmarkt von Magdeburg vor Augen. Wie bei allen tragischen
Ereignissen – sei es der Anschlag auf die Synagoge von Halle oder die
Flutkatastrophe im Ahrtal – ist die Betroffenheit groß.
Politiker melden sich zu Wort, bekunden ihr Beileid, bieten Unterstützung
an und fordern medienwirksam Konsequenzen für die Zukunft. Gleichzeitig
erleben die Kirchen und ihre Bischöfe ihre große Stunde: Sie prägen die
öffentlichen Gedenkfeiern, brav gefolgt von der politischen Spitze des
Landes.
Ob Terroranschläge, Naturkatastrophen oder andere Tragödien – warum
überlässt Deutschland das kollektive Gedenken immer noch den
Religionsvertretern? In einer säkularen und pluralistischen Gesellschaft
drängt sich die Frage auf, ob es nicht Aufgabe des Staates sein muss,
säkulare Räume für Trauer und Gedenken zu nutzen.
Als am 19. Dezember 2016 der [1][islamische Terror Deutschland erreichte
und auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz] zwölf Menschen
starben, wurde bereits am Tag nach dem Anschlag in der
Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ein Trauergottesdienst abgehalten.
Zahlreiche hochrangige Politiker, darunter Bundespräsident Joachim Gauck
und Bundeskanzlerin Angela Merkel, nahmen an der Veranstaltung teil.
## Braucht es christliche Federführung?
Doch bei solchen Gedenkveranstaltungen wird oft deutlich, dass es weniger
um die Opfer geht, sondern vielmehr darum, die Kirchen als zentrale Orte
der kollektiven Trauer zu manifestieren und politische Botschaften zu
senden. In Berlin wurde Angehörigen, die Verwandte am Breitscheidplatz
verloren hatten, der Zutritt zur Gedächtniskirche durch den
Sicherheitsdienst verwehrt – mit Verweis auf die Anwesenheit der Politiker.
Sechs Wochen nach der [2][Flutkatastrophe, die im Sommer 2021 das Ahrtal]
in Rheinland-Pfalz und die Nachbarregionen verwüstet und 188 Menschenleben
gefordert hatte, wurde in der Stadt Aachen offiziell der Toten gedacht –
selbstverständlich im Aachener Dom. Das gleiche Szenario spielte sich im
Dezember 2024 im Magdeburger Dom und am 26. Januar 2025 in der
Aschaffenburger Stiftskirche ab.
Es ist zweifellos wichtig, Gedenkfeiern in einem angemessenen Rahmen
auszurichten, um Trauer und Erschütterung einen Raum zu geben. Die
seelischen Traumata sind immens, Zuspruch und gesellschaftlicher Rückhalt
notwendig. Doch muss das immer unter christlicher Federführung in einer
Kirche geschehen? Statt des Aachener Doms hätte man auch den Kaiserplatz
oder den Krönungssaal im Aachener Rathaus wählen können.
## In Frankreich funktioniert es
Ein Blick nach Frankreich zeigt, dass es anders geht: [3][Nach den
Anschlägen von Paris (2015)] oder nach dem Attentat am Nationalfeiertag in
Nizza (2016) wählte man bewusst säkulare Gedenkformen. In Nizza fand die
Trauerfeier unter freiem Himmel vor mehreren Tausenden Menschen direkt an
der Promenade des Anglais statt. In Paris leitete der damalige
Staatspräsident François Hollande die Cérémonie d’Hommage im Hof des
Invalidendoms, wo Frankreich sonst seine gefallenen Soldaten ehrt.
Deutschland sollte sich daran ein Beispiel nehmen. Kirchen sind in einer
[4][säkularen Gesellschaft] als Gedenkorte ungeeignet, da sie Menschen ohne
Glaubenszugehörigkeiten ausgrenzen. Dazu erscheint es fragwürdig, wenn die
Staatsspitze an Trauergottesdiensten teilnimmt, obwohl viele Opfer
wahrscheinlich nicht christlichen Glaubens waren.
Aus Rücksicht auf Atheisten, Agnostiker und Nichtchristen sollte die
Politik darauf verzichten, allen Opfern mit Bibelversen und bischöflichem
Segen unter einem christlichen Deckmantel zu gedenken.
Kollektive christliche Trauergottesdienste sind nicht nur übergriffig,
sondern auch respektlos gegenüber den Opfern. Der Staat sollte zentrale
Trauerfeiern an religionsneutralen Orten organisieren, die allen
Hinterbliebenen ermöglichen, würdevoll und ohne ideologische Vorgaben zu
trauen. Geistlichen Beistand kann jeder in der Kirche suchen – in einem
separaten Rahmen.
29 Jan 2025
## LINKS
[1] /5-Jahre-Breitscheidplatz-Anschlag/!5820775
[2] /Bericht-zur-Flutkatastrophe-im-Ahrtal/!6027596
[3] /Doku-ueber-Terroranschlaege-in-Paris/!5892242
[4] /Religionsunterricht/!6056908
## AUTOREN
Ralf Nestmeyer
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