# taz.de -- Morde von Aschaffenburg: Dem Horror entkommen | |
> Nach den entsetzlichen Morden von Aschaffenburg von Staatsversagen zu | |
> sprechen, ist angebracht. Doch wo liegt es? Die Debatte darüber läuft | |
> falsch. | |
Bild: Gedenken an die Opfer der Messerattacke von Aschaffenburg | |
Was für ein Horror! Ein Kita-Ausflug in den Park, der in einem Blutbad | |
endet. Der Tatverdächtige, ein vermutlich psychisch kranker Mann aus | |
Afghanistan, stellt mit einem Küchenmesser der Kindergruppe nach und | |
greift sie gezielt an. Man denkt an die eigenen Kinder, an die Nichten, | |
Neffen und Enkel. Ist geschockt, zu Tränen gerührt, sprachlos und auch | |
wütend. Nicht schon wieder! | |
Nach Mannheim, Solingen und [1][Magdeburg] nun Aschaffenburg. Was muss | |
passieren, damit die Menschen wieder unbeschwert Stadtfeste und | |
Weihnachtsmärkte besuchen können, damit Kinder sicher im Park spielen | |
können? Dass der Staat, der das Privileg und die Pflicht hat, das Leben der | |
Bürger:innen zu schützen, erneut versagt hat, liegt auf der Hand. | |
Doch an welcher Stelle das Staatsversagen liegt, das ist nun Diskurs- und | |
Wahlkampfmasse. Nicht nur für die extreme Rechte scheint der Fall klar: | |
Migration ist die Mutter all dieser Taten. Zwar lässt sich zwischen | |
Mannheim bis Aschaffenburg keine gerade Linie ziehen – die ersten beiden | |
Angriffe waren vermutlich islamistisch motiviert, während die Täter von | |
Magdeburg und Aschaffenburg wahrscheinlich psychisch krank waren. Die | |
Eltern der toten und verletzten Kinder von Aschaffenburg sind selbst | |
zugewandert – aber das scheint nicht zu zählen: Die AfD fordert Remigration | |
in großem Stil, CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz will in Trump’scher | |
Manier faktisch einen Einreisestopp für alle Asylbewerber:innen ab | |
Tag eins seiner Kanzlerschaft dekretieren. | |
Für Rechtsextreme und Konservative scheint klar: Das Grundrecht auf Asyl, | |
wie es bisher gilt, hat ausgedient. Kein Erbarmen mehr mit Menschen, die | |
vor Krieg und Gewalt fliehen, Deutschland macht dicht. CDU-Vize Julia | |
Klöckner verstieg sich auf X gar zu der Behauptung, es gäbe Kulturen, „die | |
sind mit unserer Lebensweise nicht einverstanden, deshalb können wir mit | |
ihnen nicht einverstanden sein!“ | |
## Wessen Kultur? | |
Weniger Empathie bringt selbst Alice Weidel nicht auf. Was sagt Klöckner | |
eigentlich den Eltern des schwerverletzten syrischen Mädchens? Ist halt | |
„eure Kultur“? Klöckners Äußerungen zeigen, wie tief die CDU gesunken ist | |
und wie verzweifelt sie nach einem Thema greift, um sich im Wahlkampf zu | |
profilieren. Mehr Härte. Jetzt! | |
Doch genau besehen ist auch diese Politik der Härte gerade gescheitert. | |
Mehr Härte wollte auch die Ampelkoalition beweisen, nachdem in Solingen ein | |
Mann auf dem Stadtfest wahllos auf Besucher einstach. In einem letzten Akt | |
gemeinsamer Tatkraft beschloss sie ein Sicherheitspaket, das unter anderem | |
eine Ausweitung der Messerverbotszonen vorsieht, in denen die Polizei | |
anlasslos kontrollieren darf. Auch der Park in Aschaffenburg ist eine | |
solche Zone. Dass sich diese Maßnahme als Autosuggestion von Sicherheit | |
erwiesen hat, ist seit Mittwoch auf tragische Weise deutlich geworden. | |
Auch im Umgang mit Asylbewerbern hat die Bundesregierung mehr Härte | |
gezeigt. Die Zuschüsse für [2][Integrationskurse] werden 2025 laut | |
Haushaltsplan auf eine halbe Milliarde halbiert, Gelder für die Betreuung | |
von Geflüchteten von 17 Millionen im Jahr 2023 auf 7 Millionen Euro in | |
diesem Jahr zusammengestrichen. Was fatal ist, denn viele Menschen, die | |
nach Deutschland geflohen sind, sind psychisch angeschlagen, laut Studien | |
zeigen 30 Prozent posttraumatische Belastungen, 40 Prozent leiden unter | |
depressiven Stimmungen. Therapieplätze bei niedergelassenen Ärzten gibt es | |
kaum. | |
Asylbewerber, für deren Verfahren ein anderes EU-Land zuständig ist, haben | |
nach einer Übergangszeit keinen Anspruch mehr auf Verpflegung und | |
Unterkunft in Deutschland. Eine [3][Verelendungsstrategie], die zur | |
Ausreise zwingen soll. Vor allem aber eine Zeitbombe. Denn was, wenn diese | |
ungefähr 4.000 Menschen nicht ausreisen, sondern untertauchen, in Parks | |
schlafen und zum Broterwerb mit Drogen dealen? Die Strategie, Geflüchtete | |
in großer Zahl aufzunehmen, sie dann prekär unterzubringen und ohne | |
Perspektive sich selbst zu überlassen, ist also ebenfalls gescheitert. | |
## Nötig ist eine Debatte, wie Integration funktionieren kann | |
Gibt es einen Mittelweg? Wohl kaum. Deutschland muss sich entscheiden: Will | |
es sich auf sich selbst zurückziehen, die Grenzen dicht machen und sich aus | |
der europäischen Lastenteilung zurückziehen? Dann bräuchte es in anderen | |
relevanten Fragen aber auch nicht mehr auf die Solidarität der europäischen | |
Nachbarn hoffen. Oder bekennt man sich dazu, Menschen in Not weiterhin | |
aufzunehmen. Dann muss man sie aber auch so versorgen, begleiten und, ja, | |
im äußersten Fall auch konsequent abschieben, dass sie nicht zum Risiko für | |
sich und andere werden können. | |
Nötig ist eine Debatte, wie Integration besser und anders gelingen kann. | |
Doch diese scheint in der gegenwärtigen Mixtur aus Wahlkampf, Schock und | |
Empörung nicht möglich zu sein. Trotzdem ist sie nötig. Denn Barmherzigkeit | |
und Nächstenliebe sind schließlich keine linken Parolen, sondern | |
christliche Werte. Unsere Werte. | |
Und auf Grundlage dieser Werte lässt sich auch eine solche Horror-Tat | |
zunächst mal verarbeiten. Mein tiefes Mitgefühl, den Opfern und ihren | |
Angehörigen. | |
23 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Mina-Ahadi-ueber-Magdeburg-Attentaeter/!6055471 | |
[2] /Haushalt-der-Bundesregierung-fuer-2025/!6058210 | |
[3] /Regelung-fuer-Dublin-Faelle/!6062775 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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