# taz.de -- Demokratie in Rumänien: Es könnte kippen | |
> Die Präsidentschaftswahl wurde wegen russischer Einflussnahme annulliert. | |
> Rechtsextreme wittern einen Komplott, Fortschrittliche den Faschismus. | |
Bild: Sie wollen den rechts extremen Călin Georgescu: Proteste gegen die Annul… | |
Bukarest taz | Für einen kurzen Moment wird Irina Ilisei emotional. Als sie | |
davon erzählt, wie sie im November hörte, dass der Rechtsextremist Călin | |
Georgescu die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Rumänien gewonnen | |
hat, sieht man ihr an, wie sehr sie dieses Thema bis heute mitnimmt. Ilisei | |
war auf dem Weg zu einer Konferenz in Neapel, so erinnert sie sich. Die | |
39-Jährige gehört zu den international vernetzten Akademiker*innen, die | |
wohl überall arbeiten könnten, aber die es doch immer wieder zurück in die | |
Hauptstadt Bukarest zieht. „Ich habe damals kurz überlegt, ob ich weiter in | |
Rumänien leben kann“, sagt sie. „Ich war geschockt.“ | |
An einem ungewöhnlich milden Tag Ende Dezember sitzt Ilisei in einem Café | |
unweit der Bukarester Altstadt. Hier gibt es Hipster mit Laptops, Pumpkin | |
Pie und Flat White. Man wird gefragt, ob es Kuh- oder Hafermilch sein soll | |
– ähnliches Ambiente wie in Berlin und ähnliche Preise. Ilisei hat ein | |
Diplom in Soziologie, einen Master in Gender- und Minderheitenpolitik und | |
eine Promotion, in der sie die Teilhabemöglichkeiten der Roma an höherer | |
Bildung untersuchte. Stationen ihres Studiums führten sie nach Stuttgart, | |
Mannheim, Bukarest und Budapest. Als Aktivistin für Feminismus und die | |
Rechte der Roma ist ihr Name in Rumänien nicht unbekannt. Sie steht für | |
alles, was Rechte hassen. Und genau das macht ihr Sorgen. | |
Ilisei fühlt sich an eine Zeit vor rund zwei Jahren erinnert, als sie schon | |
einmal den Hass der Rechten spürte, genauer: an den 6. Dezember 2022. Sie | |
weiß das Datum deshalb noch so genau, weil die Ereignisse für sie so | |
einschneidend waren. | |
Damals verfasste sie mit ein paar Mitstreiter*innen eine Handreichung | |
für Lehrer*innen. Gerade einmal 200 Exemplare seien gedruckt worden, um | |
diversere Bildung sei es gegangen, um Vorschläge für mehr weibliche | |
Autor*innen im Rumänischunterricht, um Geschlechtergerechtigkeit, | |
Stereotype und Diskriminierung. „Das Thema LGBTQ kam nur selten vor, es war | |
nicht mehr als ein Randaspekt“, sagt sie. Doch das Heft sorgte für Aufruhr. | |
Infoveranstaltungen wurden von Protestierenden gestört, aufgestachelt durch | |
eine rechte Elternvereinigung, die ein traditionelles Familienbild in | |
Gefahr sah. Der letzte Auftritt von Ilisei in Bukarest an jenem 6. Dezember | |
konnte nur unter Bewachung durch Sicherheitskräfte stattfinden. | |
## Überraschender Sieg eines Rechtsextremisten | |
„Ich habe mich damals persönlich unsicher gefühlt, und dieses Gefühl kam | |
nach Georgescus Sieg wieder hoch“, sagt Ilisei. „Mir wurde klar, dass der | |
ganze Fortschritt, den wir bei Menschenrechten und sozialer Inklusion im | |
Zuge der EU-Integration in Rumänien erreicht haben, in ein paar Wochen | |
zunichte gemacht werden könnte.“ | |
Georgescu, der Rechtsextremist, hatte sich im November in der ersten Runde | |
der Präsidentschaftswahl überraschend als parteiloser Einzelbewerber | |
[1][gegen 13 Kandidat*innen durchgesetzt]. Er überholte auch George | |
Simion, den Anführer der rechtsextremen Partei AUR, die seit ihrer Gründung | |
2019 im Aufwind war. | |
Das war ein Schock innerhalb des Landes für die EU-freundliche Mehrheit und | |
die engagierte Zivilgesellschaft – für Romaaktivist*innen, | |
Vertreter*innen der Minderheiten und in den jüdischen Gemeinden, für | |
Antifaschist*innen und Queers – sowie außerhalb Rumäniens in den | |
Nachbarstaaten und bei Bündnispartnern: In dem Land mit rund 600 Kilometern | |
Grenzverlauf zur Ukraine bestimmt der Präsident unter anderem die Außen- | |
und Verteidigungspolitik. Schon vor der Wahl hatte [2][Georgescu | |
Rumäniens Rolle in der EU und Nato kritisiert]. Er will die Militärhilfe | |
für die Ukraine einstellen, betont [3][reaktionäre Familienwerte und | |
orthodoxes Christentum, leugnet den menschengemachten Klimawandel und | |
verbreitet Verschwörungstheorien. Er findet Lob für Putin und erklärte | |
antisemitische Protagonisten des rumänischen Faschismus aus der Zeit vor | |
1945 zu Helden]. | |
Doch Georgescus Wahlsieg war nur der Anfang einer Kaskade an | |
Katastrophenmeldungen, die Rumäniens Demokratie seitdem erschüttern. | |
[4][Zwei Tage vor der Stichwahl zwischen Georgescu und Elena Lasconi, der | |
neoliberalen Zweitplatzierten der Mitte-rechts-Partei USR, entschied das | |
rumänische Verfassungsgericht, die Wahl zu annullieren.] Das Gericht | |
begründete diese Entscheidung mit Geheimdiensterkenntnissen über eine | |
massive Beeinflussung des Wahlkampfs durch Russland: [5][Eine Armee an Bots | |
soll demnach auf der Social-Media-Plattform Tiktok tausendfach für den | |
Rechtsextremisten geworben haben]. Dieser streitet die Vorwürfe bis heute | |
ab, ebenso Russland. | |
## Viele verlieren das Vertrauen in die Demokratie | |
Dann, Ende Dezember, folgte die nächste Meldung: [6][Laut einer Recherche | |
des Portals Snoop.ro soll eine Kampagne auf Tiktok, die eigentlich von der | |
liberalen Partei PNL bezahlt war, tatsächlich für Georgescu geworben | |
haben]. Entweder wurde die PNL-Kampagne von Unbekannten „gekapert“, wie die | |
Partei offiziell beteuert, oder Parteistrategen erhofften sich einen | |
Vorteil davon, dem damals aussichtsreicheren rechten Kandidaten Simion | |
Stimmen zu klauen. | |
Hört man sich auf der Straße um, sprechen viele Menschen darüber, dass sie | |
dabei sind, das Vertrauen in die Demokratie zu verlieren. Seit knapp | |
zweieinhalb Monaten kommt das Land nicht zur Ruhe. Zunächst demonstrierten | |
Tausende aus der proeuropäischen Mehrheit gegen den Rechtsruck, dann | |
protestierten die Rechten gegen die Absage der Wahl. | |
[7][Erst Mitte Januar zogen Zehntausende Anhänger Georgescus durch die | |
Hauptstadt. Mit Tröten und einem Meer aus Nationalfahnen] forderten sie die | |
Rücknahme der Annullierung und den Rücktritt des amtierenden Präsidenten | |
Klaus Iohannis. Dessen Amtszeit endete offiziell am 21. Dezember. Manche | |
trugen Holzkreuze vor sich her, andere vergoldete Rahmen mit Ikonenbildern | |
oder Plakate mit der Aufschrift „Demokratie ist nicht optional“. Angemeldet | |
wurde die Demo von der rechtsextremen Partei AUR. Deren Anführer George | |
Simion diktiert an jenem Tag der Presse seine Sicht der Dinge in die | |
Mikrofone und nennt die Gerichtsentscheidung einen „Staatsstreich“ – ein | |
Wort, das derzeit vielen Rumänen auf der Zunge liegt. | |
Auch Constantin Ciobanu sieht das so. An einem Abend Ende Dezember posiert | |
er am zentralen Bulevardul Nicolae Bălcescu vor dem Bukarester | |
Nationaltheater. „Erwache, Rumäne“ scheppert aus zwei batteriebetriebenen | |
Lautsprechern vor seinen Füßen – die Nationalhymne. Ciobanu steht stramm, | |
verzieht keine Miene und schaut auf die gegenüberliegende Geografische | |
Fakultät der Universität Bukarest. Eine Frau im Pelzmantel schlendert | |
vorbei, verlangsamt kurz ihren Schritt, nickt und zieht von dannen. | |
Mit einer Mitstreiterin protestiert Ciobanu in dieser Woche an fast jedem | |
Abend hier, eine Zweipersonendemo, mal vor dem Nationaltheater, mal 15 | |
Gehminuten entfernt die Straße hinunter am großen Kreisel der Piața Romană. | |
Ein Flugblatt verzeichnet alle weiteren Termine bis Mitte Februar. Er | |
arbeite in der IT-Branche und könne sich das leisten, erklärt er, „es geht | |
mir gut“. Auf mehr als einem Dutzend Plakataufstellern, jeweils links und | |
rechts mit rumänischer Fahne geschmückt, versammelt Ciobanu seine | |
Forderungen: „Treten Sie zurück, Mr Volodymyr Zelenskyy!“, „Unsere Kinder | |
sind keine Versuchskaninchen für Big Pharma“ und „Wir verteidigen das | |
Konzept der traditionellen Familie“. | |
## Nationalhymne in Dauerschleife | |
In Deutschland würde man ihn wohl als eine Art „Querdenker“ bezeichnen, als | |
lunatic fringe, wie man sie aus vielen Städten kennt: Friedensmahnwache, | |
russlandfreundlich, irgendwas mit Corona und Impfungen. In Rumänien haben | |
Leute wie Ciobanu nun aber mit Georgescu einen Kandidaten, der die erste | |
Runde der Präsidentschaftswahl gewann. | |
Nach etwa zwei Minuten beugt Ciobanu sich herunter, drückt einen Knopf und | |
beendet die Wiedergabe der Nationalhymne. Jetzt ist er nicht mehr zu | |
halten. In zwei Mikrofone gleichzeitig, eines für jeden Lautsprecher, | |
schmettert er seine Parolen. „Wir Rumänen wünschen uns Frieden: Frieden in | |
Gaza, Frieden in der Ukraine!“ Seine Stimme wirkt dabei verzerrt und ist | |
mit künstlichem Hall unterlegt. | |
Selbstverständlich unterstütze er Călin Georgescu, sagt Ciobanu. „Der ist | |
nicht für Putin, sondern will verhandeln.“ Hier, an diesem Platz, habe er | |
schon während der Revolution von 1989 gestanden, habe Barrikaden errichtet | |
gegen den stalinistischen Diktator Nicolae Ceaușescu. „Ich habe mein Leben | |
für die Freiheit riskiert, die will ich mir nun nicht nehmen lassen.“ Die | |
Präsidentschaftswahl sei auf Anweisung der USA annulliert worden, erklärt | |
er und hört nun gar nicht mehr auf. | |
Die LGBTQIA+-Bewegung sei „vom Okzident“ nach Rumänien geschwappt. Er | |
spricht von „Globalisten“ und angeblicher Manipulation durch die | |
Massenmedien. Informieren könne man sich nur noch über Realitatea. Dieser | |
Sender ist dafür berüchtigt, Verschwörungstheorien und Desinformation zu | |
verbreiten und Georgescu zu unterstützen. | |
Ciobanu, der in weißem Hoodie und weißem Tommy-Hilfiger-Cap seine | |
Schlagwörter abspult, belegt mit seinen Parolen, wie sich der rhetorische | |
Baukasten rechtsextremer Ideologie international vereinheitlicht hat: | |
Angepasst an regionale Diskurse, tauchen die immer gleichen | |
antisemitischen, rassistischen oder antifeministischen Tropen auf. Sie | |
paaren sich mit Verschwörungsglaube und Angriffen auf die universellen | |
Menschenrechte, getarnt als Ablehnung westlicher Dominanz. | |
## Im Kampf gegen die queere Community | |
Vor dem Nationaltheater bekommt Ciobanu viel Zuspruch: Die Leute nehmen | |
Flugblätter oder rumänische Fähnchen mit und fotografieren sich vor seinen | |
Protestplakaten. Rechtsextreme Parteien haben [8][bei der Parlamentswahl am | |
1. Dezember zusammen über 30 Prozent der Wähler*innenstimmen | |
erreicht,] Georgescu kam bei der Wahl zuvor auf 23 Prozent. | |
Irina Ilisei ist fassungslos, wenn sie über die Wahlergebnisse nachdenkt. | |
Sie berühren sie als Aktivistin, aber beschäftigen sie auch als | |
Wissenschaftlerin. „Ich konnte nicht glauben, dass ein so großer Anteil der | |
Bevölkerung einen Menschen wählt, der tatsächlich ein misogynes Weltbild | |
vertritt und beispielsweise meint, Frauen sollten nicht die gleichen Jobs | |
machen dürfen wie Männer.“ | |
[9][Auswertungen] zeigen, dass Georgescu in den ländlichen und vor allem | |
suburbanen Gebieten größere Zustimmung erhielt. [10][Gleichzeitig erzielte | |
Georgescu laut Analysten Erfolge bei jungen Wähler*innen.] Videos auf | |
Tiktok sprachen junge Männer an. Es ist eine Bubble, die einen | |
chauvinistischen Fitnesskult pflegt und etwa [11][dem frauenverachtenden | |
Influencer und Zuhälter Andrew Tate] folgt. Seit 2016 lebt dieser in | |
Rumänien, hat mehr als zehn Millionen Follower auf der Plattform X, | |
Kontakte zu weltweit agierenden rechtsextremen Figuren wie zur | |
organisierten Kriminalität. Dieser Tage verkündete der deutsche | |
AfD-Politiker Maximilian Krah an, sich mit ihm treffen zu wollen. In | |
Rumänien sind Tate und sein Bruder unter anderem wegen Kinderhandels, | |
sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und Geldwäsche angeklagt, in | |
Großbritannien zudem wegen Vergewaltigung und Steuerhinterziehung. | |
Auf [12][Tiktok] habe es vor der Wahl sehr unterschiedliche Ansprachen der | |
Nutzer*innen durch Georgescu gegeben, erklärt Ilisei. Nicht allen sei | |
beispielsweise direkt LGBTQIA+-feindliche Propaganda angezeigt worden. Dass | |
sich bei Anhängern wie Ciobanu die Themen aber wild mischten, wundert sie | |
nicht. Seit der Coronapandemie habe sich die Szene der | |
Impfkritiker*innen und Virusleugner*innen auch in Rumänien neu | |
formiert und anderen Themen zugewandt, etwa dem Schutz der vermeintlich | |
traditionellen Familie, verbunden mit einem Kampf gegen die queere | |
Community. | |
## Ein Viertel der Bevölkerung hat kein fließendes Wasser | |
Dass im November sowohl Georgescu wie die Zweitplatzierte Elena Lasconi | |
Erfolg hatten, scheint zudem kein Zufall. Beide inszenierten sich als | |
Gegenentwurf zum Muff der bisherigen Regierung aus nationalliberaler PNL | |
und sozialdemokratischer PSD, deren Vertreter*innen viele als korrupte | |
Machtelite betrachten. Rumänien hat sich in den letzten Jahren | |
gesellschaftlich und wirtschaftlich stark entwickelt. Gleichzeitig gilt das | |
Land weiterhin als eines der ärmsten der EU, und beispielsweise | |
[13][gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden immer noch nicht | |
anerkannt.] Insbesondere auf dem Land vermissen Menschen eine Umsetzung | |
politischer Versprechen. | |
Die soziale Spreizung in dem Land ist enorm. Während man in der IT-Branche | |
von Bukarest mittlere vierstellige Eurobeträge verdienen kann, lag [14][das | |
Durchschnittsnettoeinkommen in Rumänien 2023 für Familien mit zwei Kindern | |
und einer verdienenden Person bei umgerechnet knapp 1.000 Euro] monatlich | |
und ist in der Landwirtschaft noch geringer. [15][Ein Viertel der | |
Bevölkerung hat kein fließendes Wasser, vor allem] auf dem Land. „Es gibt | |
nach wie vor auch eine starke Korrelation zwischen Armut und der | |
Zugehörigkeit zur Romaminderheit“, erklärt Ilisei. Diese treffe ein | |
Teufelskreis tradierter Diskriminierungen. Auch einige Roma hätten | |
Georgescu gewählt. „Er inszenierte sich als unabhängig, wie ein Retter“, | |
sagt sie, „mit traditionellen Familienwerten und klarer Orientierung.“ | |
Menschen, die am Rand der Städte seit Jahren darauf warteten, dass auch in | |
ihren Vierteln die Straßen befestigt würden, hätte das angesprochen. | |
Einen Abend nachdem Ciobanu den Platz vor dem Nationaltheater mit seinen | |
Mikrofonen beschallt hat, bücken sich 50 Meter weiter zwei junge Männer an | |
einer Kreuzung. Sie sehen sportlich aus. Der jüngere, etwa 20-jährig, trägt | |
einen schwarzen Pullover, eine Cargohose und Militärstiefel, der ältere | |
Jeans, Sneaker und eine schwarze dünne Allwetterjacke. Schon von Weitem | |
riecht es nach Lösungsmitteln. | |
## Rechtsextreme Sprayer stören niemanden | |
Der Mann in Jeans hält eine Stencilschablone auf den Boden und drückt auf | |
eine Spraydose. „Gehen sie langsam und mit Respekt, hier starben Menschen | |
für die Freiheit“, sprüht er in roter Farbe auf den Zebrastreifen. Weder | |
den Wachmann direkt daneben noch die vorbeischlendernden Passanten scheint | |
die Aktion zu stören. „Wir erinnern an die Kämpfe vor 35 Jahren an genau | |
dieser Stelle“, erklärt der Mann. Wie Ciobanu bezieht er sich auf die | |
antistalinistische Revolution gegen den Diktator Ceaușescu, die sich hier | |
am Bulevardul Nicolae Bălcescu vor 35 Jahren abspielte. | |
„Ja, wir sind von Honor et Patria“, erklärt er auf Nachfrage. Honor et | |
Patria heißt übersetzt Ehre und Vaterland und ist der Name einer | |
rechtsextremen Gruppe von Fußballultras, die ausschließlich das rumänische | |
Nationalteam unterstützen. Der Mann mit der Spraydose trägt das | |
verschlungene Emblem der Gruppe als dezente Stickerei auf seiner Mütze. | |
Auch George Simion, der Präsidentschaftskandidat der rechtsextremen Partei | |
AUR, war früher bei Honor et Patria aktiv. | |
Sie betrieben mit der Gruppe keine Politik, sagt der Mann, zumindest nicht | |
im Sinne von Parteien und Parlamenten: „Wir machen Metapolitik.“ Weltweit | |
verstehen neue Rechte unter diesem Wort ein Konzept, mit dem die Menschen | |
kulturell und im vermeintlich „vorpolitischen“ Raum erobert werden sollen. | |
Metapolitik zielt darauf ab, den gesamten Diskurs einer Gesellschaft nach | |
rechts zu verschieben. | |
Und die Präsidentschaftswahl? „Ein Staatsstreich“, sagt der Mann mit der | |
Spraydose – auch er nutzt dieses Wort. Für ihn sei Georgescu zwar etwas | |
unangenehm rübergekommen, aber letztlich hätten ihn viele Menschen gewählt, | |
mehr jedenfalls als George Simion von AUR, der als Favorit der Rechten | |
galt. „Georgescu verbreitet hoffnungsvolle Botschaften“, erklärt der Mann. | |
Er sage nicht, welche Politik er mache, sondern Sätze wie „Wir gestalten | |
die Zukunft“. Vielleicht wirke Georgescu mit den Videos, die den Menschen | |
über Tiktok direkt aufs Handy gespielt werden, authentischer als Simion, | |
der im Fernsehen mittlerweile neben den Politikern der anderen Parteien | |
auftrete, mutmaßt der Sprayer. „Vielleicht ist Simion zu sehr Mainstream | |
geworden“. | |
Der AUR-Politiker hatte in letzter Zeit versucht, seiner Partei ein | |
gemäßigteres Image zu verleihen mit realpolitischen Botschaften etwa zu | |
Grundstückspreisen. „So was haben die Leute eben schon zu oft gehört, und | |
nie ist etwas passiert“, erklärt der Mann. Dann verabschiedet er sich, die | |
Sprayer haben noch einiges vor: Am Ende des Abends werden alle | |
Zebrastreifen rund um den Platz verziert sein. | |
## Rechte Gruppen gewinnen an Kraft | |
[16][Es sind Gruppen wie Honor et Patria, aber auch zahlreiche weitere | |
rechtsextreme Vereinigungen], die Irina Ilisei und anderen progressiven | |
Aktivist*innen in Rumänien Angst machen. Der Erfolg von Georgescu | |
scheint diese Gruppen zu befeuern. Nur wenige Tage, nachdem er im November | |
die [17][erste Runde der Präsidentschaftswahl] gewonnen hatte, häuften sich | |
Meldungen von Drohungen gegen Menschenrechtsorganisationen und NGOs. | |
Beispielsweise wurde die Büroadresse [18][der LGBTQIA+-Organisation MozaiQ] | |
nach der Wahl auf einer rechtsextremen Seite veröffentlicht. Ein Vertreter | |
der Organisation berichtet, dass daraufhin mehrere dunkel gekleidete | |
Gestalten nachts das Haus ausspioniert hätten. MozaiQ registrierte in den | |
zwei Wochen nach der ersten Wahlrunde zudem eine Kampagne in den sozialen | |
Medien mit Tausenden homofeindlichen Posts, die die NGO dem Lager von | |
Georgescu zuschreibt. | |
Auch die Organisation [19][Roma for Democracy Romania berichtete im | |
Dezember von rassistischen, romafeindlichen und antisemitischen | |
Botschaften und Todesdrohungen gegen ihre Mitarbeiter*innen]. Auf | |
Fotos, die ihnen zugeschickt wurden, posierten Vermummte mit Waffen und dem | |
Symbol der faschistischen Legionärsbewegung von vor 1945. Dieses prangte | |
auch auf den Armen mancher, die sich auf Fotos neben Georgescu ablichten | |
ließen. | |
Wiederholt werden soll die Präsidentschaftswahl nun am 4. und 18. Mai. Ob | |
Georgescu da erneut antreten darf, ist noch unklar. Ruhiger wird es bis | |
dahin in Rumänien vermutlich nicht. Geholfen haben die Wirren um die Wahl | |
letztlich wohl vor allem dem rechtsextremen Lager. | |
28 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1537905/umfrage/ergebnis-der… | |
[2] https://www.politico.eu/article/romania-presidential-election-calin-georges… | |
[3] /Praesidentschaftskandidat-Clin-Georgescu/!6048338 | |
[4] /Rechtsruck-in-Rumaenien/!6055192 | |
[5] https://www.occrp.org/en/news/calin-georgescus-romanian-presidential-campai… | |
[6] https://snoop.ro/campania-pnl-de-pe-tiktok-ajunsa-sa-l-sustina-pe-georgescu… | |
[7] https://www.youtube.com/watch?v=xsIJxR8Z7gs | |
[8] /Rechtsruck-in-Rumaenien/!6049942 | |
[9] https://prezenta.roaep.ro/prezidentiale24112024/pv/romania/map/?sicpv-map-h… | |
[10] https://www.rferl.org/a/tiktok-calin-georgescu-presidential-candidate-roma… | |
[11] /Razzia-bei-Andrew-Tate/!6029823 | |
[12] /Kommunikationswissenschaftler/!6061178 | |
[13] https://op.europa.eu/webpub/com/factsheets/lgbti/de/ | |
[14] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1198914/umfrage/durchschnit… | |
[15] https://www.gtai.de/de/trade/rumaenien/specials/rumaenien-baut-wassernetze… | |
[16] /Rechtsextremismus-in-Rumaenien/!6049771 | |
[17] /Rechtsruck-in-Rumaenien/!6055192 | |
[18] https://www.mozaiqlgbt.ro/ | |
[19] https://www.dw.com/de/morddrohungen-in-rum%C3%A4nien-wir-werden-euch-ersch… | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Wahlen in Rumänien | |
Rechtsextremismus | |
Demokratie | |
Social-Auswahl | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
wochentaz | |
Schwerpunkt Wahlen in Rumänien | |
Kolumne Geraschel | |
Österreich | |
Schwerpunkt Wahlen in Rumänien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Rumänien vor Politikwechsel: Eine Schockwelle jagt die nächste | |
Der Rechtsradikale George Simion könnte Rumäniens nächster Präsident | |
werden. Er kündigt eine konservative Revolution an – und Europa wird | |
nervös. | |
Regierungskrise in Rumänien: Präsident Johannis tritt zurück | |
Nach dem Rückzug von Rumäniens Präsident Johannis hoffen Rechtsextreme auf | |
eine Machtübernahme im Mai. Übergangspräsident ist der nationalliberale | |
Bolojan. | |
Ein Herz für Osteuropa: Die Verwahrlosung Europas ist aufhaltbar | |
Tausende kämpfen auf den Straßen Osteuropas für Freiheit und Demokratie – | |
und der Westen glotzt dazu. 2025 muss das anders werden: mehr Solidarität! | |
Endlich Schengen-Beitritt: Rumänien und Bulgarien können dazu | |
Der österreichische Innenminister Karner hat sein Veto aufgehoben. Experten | |
sahen in der Blockade von Anfang an einen diplomatischen Fehler. | |
Rechtsruck in Rumänien: Parlamentswahl stärkt Rumäniens Ultrarechte | |
Die Rechtsradikalen gewinnen bei den rumänischen Parlamentswahlen an | |
Zustimmung. Die Sozialdemokratische Partei ist die Kraft mit den meisten | |
Stimmen. |