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# taz.de -- Der Wiener Exzentriker Hermes Phettberg: Jeansboys können nicht st…
> Wie schade es um ihn ist. Eine Liebesbekundung an Hermes Phettberg
> anlässlich seines Begräbnisses auf dem Wiener Zentralfriedhof.
Bild: Hermes Phettberg – hier bei der Wiener Regenbogenparade im Juni 2014 �…
Ich gebe zu, ich kann Beerdigungen nicht ausstehen. Nicht nur wegen der
Trauer. Im Winter auch noch wegen der Kälte. Der Zentralfriedhof in Wien
ist saukalt. Die Aufbahrungshalle auch. Im Sarg liegt [1][Hermes Phettberg]
und friert – wenn er nicht tot wäre. Gestorben ist dieser charismatische
Erotomane, dieser radikale Wiener Masochist am 18. Dezember mit 72 Jahren.
Und jetzt erweist ihm gefühlt halb Wien heruntergekühlt die letzte Ehre.
Als müssten die „Wienys“ in der Stille kurz innehalten. Um wenigstens
inmitten von Toten dem derzeitigen politischen Chaos des Landes zu
entfliehen.
Alle sind sie da. Die Freunde [2][Josef Hader], Kurt Palm, Armin Thurnher,
seine „Nothelfys“ Roman Berka, Hannes Moser und eze, sein „Gottesbeweis�…
Wie Hermes seinen Lebensmenschen nannte. Aber auch jene sind womöglich
zugegen, die zeitlebens einen großen Bogen um diesen Einzelgänger gemacht
haben.
Tot scheint Phettberg für selbige erträglicher zu sein als lebendig. Denn
lebend war dieses „größte österreichische Gesamtkunstwerk“, wie ihn Hara…
Schmidt einmal nannte, für viele eine Provokation. Einer, der, so wie er
lebte, aussah, dachte und sprach, die österreichischen
Spießbürger*innen stets auf die Palme brachte. Einer, der in der
paternalistischen Ösi-Gesellschaft, die sich, wie der Sarg nun von der
Aufbahrungshalle zum Grab, auf direktem Weg zu einem illiberalen Staat
befindet, extrem polarisierte.
Angeführt von sechs ganz in Jeans gekleideten Sargträgern folgt die
Trauergemeinde schweigend dem toten Hermes. Genau so, wie er es schon zu
Lebzeiten testamentarisch festlegen ließ. Stille Prozession, kein Priester,
keine Trauerreden, kein Brimborium. „Nur eine brennende Kerze soll zeigen,
wie schad es um jedes ist! UM JEDES.“
Besonders um Hermes. Dessen Vergangenheit mir jetzt in der zugigen
Friedhofsluft wie unsere gemeinsamen Erinnungssplitter durch den Kopf
dampft, als wär’s ein geschwenktes Weihrauchfass.
Ministrant und Pastoralassistent
Hermes Phettberg wurde 1952 als Josef Fenz im niederösterreichischen
Hollabrunn geboren. Schon als Jugendlicher entdeckte er seine
Homosexualität. Er wurde Ministrant und Pastoralassistent, scheiterte aber
an den Erwartungen, Pfarrer zu werden.
„Meine Mama wollte, dass ich Priester werde, ich wollte wichsen ohne Ende.“
Mit 37 Jahren wurde er, der bis dahin in der niederösterreichischen
Landesregierung gearbeitet hatte, frühpensioniert.
Depressiv und fettleibig, schien er dann, inzwischen in Wien lebend, am
Ende. Bis er schließlich eine sagenhafte Wiederauferstehung als Wiener
Exzentriker und gefeierter Fernsehstar erlebte.
In 19 Folgen wurde Phettberg als Talkmaster seiner „Nette Leit Show“ im ORF
zur Berühmtheit. Und weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt. Er
schuf eine ganz eigene Form der Late-Night-Show, die mit der
Eröffnungsfrage „Eierlikör oder Frucade?“ die österreichische Prominenz
([3][Valie Export], Manfred Deix, Tobias Moretti, [4][Hermann Nitsch] u. v.
a.) im Sessel analysierte. Mit leiwand Einschaltquoten. Während sich Hermes
gleichzeitig in schamloser Offenheit und schonungsloser Selbstkritik
offenbarte.
Auf der Suche nach Liebe und Akzeptanz
Der ikonografische Ausnahmekünstler wurde zum Liebling der Medien und zum
Freund der Intellektuellen. Dabei war er selbst immer nur auf der Suche
nach so etwas wie Liebe. Und Akzeptanz. Die sich in der Sehnsucht nach den
von ihm vergötterten „Jeansboys“ materialisierte.
„Was ist eigentlich ein Jeansboy“, fragte ich Hermes bei unserem letzten
Treffen. „Du“, sagte er, was dann doch etwas zu euphemistisch klang, aber
seiner Vorstellung von Jeansboys nahe zu kommen schien. Für ihn war ein
Jeansboy eine geile Metapher für die unerfüllte Sehnsucht nach Liebe und
Glück in Gestalt von halbnackten, ebenso geilen jungen Männern in engen
Jeanshosen.
Nach zwei erfolgreichen Jahren 1995/96 war Schluss mit der „Nette Leit
Show“ im Fernsehen. Und Phettbergs Ruhm fing an zu verblassen. Danach
verlor er alles, woran er bis dahin gehangen hatte. Seine Gesundheit (drei
Schlaganfälle, ein Herzinfarkt, Diabetes), sein Gewicht (von 170 Kilo
magerte er auf 70 Kilo ab), sein Geld, seine Berühmtheit. Schlussendlich
auch seine Sprache.
Was blieb, war Österreichs bekanntester pflegebedürftiger
Sozialhilfeempfänger, der sich beeindruckend willensstark ans Leben
klammerte. Als gäbe es tatsächlich nur das eine. Sein Leben und die
Erinnerung an bessere Zeiten, als Herrentoiletten und Fetische noch seine
große Leidenschaft waren. Als er sich, angetrieben von eigenen Komplexen
und devoter Lust, sadomasochistisch auszuleben versuchte.
Zur Benutzung freigegeben
So entstanden seine legendären Kunstperformances. In einem dieser, man
könnte auch sagen sozialen Kunstwerke, ließ er sich Anfang der 90er Jahre
zwei Wochen lang nackt in einer Ausstellung anketten. Gepaart mit dem
unmissverständlichen Appell, seinen Körper in jeder erdenklichen Weise zu
benutzen.
Der performative Akt trug den Titel „Verfügungspermanenz“ und beschäftigte
sich mit der herrschaftsfreien Kennzeichnung des eigenen Begehrens. Oder
auch mit der rituellen Unterwerfung in der sadomasochistischen Aufstellung.
Vielleicht auch als Akt des Verhandelns im Spiel der Rollenzuschreibung.
Dem einen Spiel sollten noch viele weitere folgen. Die letzte
Verfügungspermanenz fand 2015 anlässlich [5][meines Dokumentarfilms über
Phettberg „Der Papst ist kein Jeansboy“] im Schlackekeller oder auch
Sündenpfuhl des Berliner Technotempels Berghain statt. In der Inszenierung
und Ausstattung von Hannes Hametner und Scumeck Sabottka wurde Hermes im
seidenen Negligé, mit goldener Krone, von vier halbnackten Jeansboys,
beschallt von Antonin-Artaud-Texten, ausgepeitscht. Während er immer
wieder, fast flehend, „Fester! Fester!“ schrie.
Diese eigenwillige Kunstfigur zwischen SM-Aktivismus, Trash-Theater,
Schriftstellerei und Fernsehen, für die das Privateste zutiefst öffentlich,
auch politisch war, brachte Phettberg das verharmlosende Etikett des
„kultigen Wiener Originals“ ein.
Blitzgescheiter Außenseiter
Was er aber keineswegs war. Denn Kult und Original sind nichts anderes als
billige Zuschreibungen, die erfunden werden, um selbige zu verkaufen. Aber
vermarkten ließ sich dieser blitzgescheite Außenseiter mit dem
selbstironischen Humor, dieser melancholisch an sich selbst leidende
Narzisst einfach nicht. Dafür war er zu speziell, zu unbestechlich, zu
wenig massenkompatibel. Oder wie er einmal über sich selbst sagte: „Ich
habe mich zu wenig druntermischen können.“
Hermes Phettberg war ein in jeder Hinsicht provokanter Pionier. Eine
avangardistische Ikone. Er war Wegbereiter für Toleranz und
Selbstbestimmung. Ein Vorkämpfer für die queere Bewegung. Anfang der 80er
Jahre outete er sich bereits als homosexuell im homophoben Österreich und
lebte sein Schwulsein als TV-Star öffentlich aus. Er trat für eine
geschlechterübergreifende, selbstbestimmte Sexualität ein, gründete die
„Libertine Sadomasochismus Initiative“ und verlangte die Schaffung einer
„Hochschule für Pornografie und Prostitution“.
Aber auch sprachlich war Phettberg seiner Zeit weit voraus. Schon vor mehr
als drei Jahrzehnten verwendete Phettberg eine geschlechterneutrale
Sprache. Er benutzte für alle Personenbezeichnungen den neutralen Artikel
„das“ und fügte an den Wortstamm im Singular -y im Plural -ys an. Aus
Lesern wurden Lesys, aus Spießern Spießys. Einfach genialy.
Von 1991 bis zu seinem Tod schrieb Phettberg in dieser geschlechtsneutralen
Sprache für die Wiener Stadtzeitung Falter wöchentlich seinen
„Predigtdienst“. Insgesamt kamen 1.624 Kolumnen zusammen. In denen auch das
Sterben (der Tod muss ja bekanntlich ein Wiener sein) immer wieder eine
Rolle spielte.
Die Menschen sind total schön
Als ich ihn bei unserem letzten Treffen fragte, ob es ein Jenseits gäbe und
ob er in den Himmel oder in die Hölle käme, antwortete er: „In den Himmel.
Oder in die Hölle. Oder beides. Egal, ich will Gutes tun, wo ich nur kann.
Ich bin davon überzeugt, dass der Himmel so ähnlich ist wie das Internet.
Jesus meinte, wir müssen keusch leben. Aber es ist nicht so, wir müssen
nicht keusch leben. Wir sind voller Geilheit, voller sexueller Lust, die
Menschen sind total schön, und wenn wir einander sehen, können wir einander
begehren. Das muss nur noch in Gotty integriert werden.“
Vielleicht kann Hermes, jetzt in der ausgehobenen Grube versunken, Gotty
dabei helfen. Vom Zentralfriedhof aus. Auf dem sich langsam das kleidsame
Schwarz zwischen den Gräbern lichtet. Die Sonne bricht plötzlich wie
Frucade durch die Wolken, unter denen es noch immer windet als läge Wien am
Meer. Und wo es so verdammt kalt ist.
Da hilft auch der am Grab ausgeschenkte Eierlikör nichts. Die Trauer
bleibt. Um Hermes. Dem man nur wünschen möchte, dass er endlich da ankommt,
wo die Liebe wohnt. Wo ihm die Jeansboys mit den Rohrstabln das Totsein im
Jenseits versüßen. Und versohlen. Damit für ihn unsere abgründige Welt, vor
allem aber das immer rechtspopulistischer werdende Alpenland, leichter zu
vergessen ist. Baba und Halleluja!
13 Jan 2025
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## AUTOREN
Sobo Swobodnik
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