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# taz.de -- Porträtfilm über Hermes Phettberg: Comeback als gehemmter Held
> Hermes Phettberg ist eine Mischung aus Götterbote und Höllenhund. Nun ist
> er als Gesamtkunstwerk in einer Doku zu bestaunen.
Bild: Archivmaterial gibt es im Film keines. Hermes Phettberg in einer Szene de…
Es klingelt, die Tür geht auf. Dann: Schwarz-Weiß-Aufnahmen, verwackelt,
unscharf. Treppenstufen aus der filmischen Ich-Perspektive eines
unsichtbaren Regisseurs. An ihrem Ende wartet in seiner Wohnung im sechsten
Bezirk in Wien: Hermes Phettberg. Ja, der, über den alle in Ermangelung
eines präziseren Sammelbegriffs sagen: Gesamtkunstwerk. Er, diese Mischung
aus Götterbote und Höllenhund. Künstler, Autor, Talkshow-Host,
Pastoralassistent, Masochist, Mitleidsterrorist, Zwangsneurotiker, Agent
Provocateur, polymorph Perverser, jetzt Schwerkranker.
Harte Kontraste in schönen Totalen. Zu sehen: Volle Zimmer, museumsgleich.
Überall Dinge, Bilder, Kisten, Medikamente, Schachtel, Möbel – Relikte aus
einer besseren Zeit und Gebrauchsgegenstände einer beschwerlichen
Gegenwart. Kunstvoll kadrierter Stillstand, behutsam eingefangen,
zurückhaltend beobachtet. Kein Sozialporno, nur abgefilmte Pornobilder in
der Sozialwohnung. Mittendrin: ein fast sprachloser Hauptdarsteller.
Schlaganfälle und Gehirnblutungen machen die Wortfindung zum Kampf.
Hermes Phettberg als gehemmter Held, der untertitelt werden muss, der immer
wieder Dinge wiederholt. Dinge wiederholt. Dinge wiederholt. Phettberg, dem
eine neue Stimme geliehen werden muss. Josef Hader liest im Off seine
Gestions-Protokolle – tagebuchähnliche Kommentare als gewitzte
Lebenszeichen für die Außenwelt. Hochgeladen als [1][PDF-Dokumente auf
Hermes Phettbergs Homepage]. Darunter: akribische Nahrungsprotokolle und
andere Poesie: „Ich bin wahrlich ein Scheiterhaufen“ oder „Ich kann nie
sattwerden, wenn ich mich ans Riechen meiner Fingerkuppen erinnere.“
Porträt eines behinderten Wilden in Alltagsbeobachtungen: Essen auf Rädern
unterm Pasolini-Poster, Haare ungekämmt, das verdreckten Shirt verbirgt
schwerlich einen veränderten, von Gewichtsverlust gezeichneten Körper.
Betreute Spaziergänge durch die Stadt – zum Fleischer, zum Bäcker, in die
Kirche. In kleinen Gesten immer noch voller Humor, voller Charme, mit
hellem Kopf und großer Beobachtungsgabe: Hermes Phettberg. Er sucht eine
Schachtel, findet sie nicht und ruft: „Keiner verlässt den Raum!“ Er
bekommt seine verschweißtes Mittagessen für den Folgetag geliefert und
witzelt: „Hokus Pokus – heute schon das Essen für morgen!“ Alles im Fluss
eines Films, der sich dem Tempo seines Protagonisten anpasst, innehält,
wartet, ruhig bliebt, im Moment zu verweilen wagt. Immer auf der Suche nach
Hell und Dunkel, nach Ausdruck im Bild, wenn Phettberg mit den Ausdrücken
zu kämpfen hat.
## Fetische als Programm
Als Rahmen: eine schwule Passionsgeschichte, erzählt in 12
Kapitelüberschriften des Cruisings. Texttafeln mit eindeutigen
Kontaktanzeigen aus Wiener Klappen. So nannte man vor dem Internet
öffentliche Toiletten, in denen sich Männer zum Sex trafen. Alte Homos wie
Phettberg wissen das. Gesucht werden: tabulose 2-Loch-Stricher, SM-Ficker,
Araber-Ficker, spermageile Kerle, blankrasierte Hengstschwänze,
Prostata-Masseure, Sklaven. Keiner hat seine Fetische so offen zum Programm
gemacht wie Phettberg: Knaben, Rohrstock, Jeans, immer wieder Jeans. Die
machen ihn auch heute noch scharf, sagt er beim Blick auf die Bildchen der
strammen Buben aus seiner Sammlung. Doch heute kann er es nicht mehr
ausleben, sagt er. Schon damals war er ein Verweigerer der Politik des
schwulen Begehrens. Unfreiwillig – weil er aussah, wie er aussah.
Archivmaterial gibt es im Film keines. Gut so. Mal kurz zwei Bilder, fast
unbemerkt, am Ende. Ab und zu kommen Gäste neben Phettberg zu Wort.
Entweder man kennt sie, oder man googelt sie. Pfleger, Priester,
Weggefährten, Freunde, manche berühmt: Wilhelm Aschauer, Kurt Palm, Peter
Katlein, Roman Berka und andere. Buch, Regie, Kamera, Ton: Sobo Swobodnik.
Ein Held für sich, dafür, dass er uns diesen Film zumutet, diesen Mann
zumutet – so, wie er jetzt ist, spricht, lebt, aussieht. Ein Film über die
„Dialektik des Leben-Wollens aber Sterben-Müssens“ hat Swobodnik seinen
Dokumentar-Essay genannt. Hart, aber wahrhaftig, wie der Film selbst. Eine
unbequeme, oft schöne Bewährungsprobe im Hinsehen. Ein sperriges,
kompromissloses, subversives Kino, humanistisch in der Konfrontation,
grandios im Ganzen.
2 Jul 2015
## LINKS
[1] http://www.phettberg.at/gestion.htm
## AUTOREN
Toby Ashraf
## TAGS
Film
Dokumentation
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Schwerpunkt Eurovision Song Contest
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