| # taz.de -- Rapperin Lena Stoehrfaktor: Die Message unter die Leute bringen | |
| > Es bringt nichts, wenn du Underground bist, und keiner es merkt, sagt die | |
| > Rapperin Lena Stoehrfaktor. Auf ihrem Album „Pretty World“ zeigt sie | |
| > Haltung. | |
| Bild: „Wenn ich darüber rappe, die gesellschaftlichen Unterschiede abzubauen… | |
| „Ich war immer Underground“, sagt Lena Stoehrfaktor. Und sie hat recht. | |
| Seit 20 Jahren rappt die Berlinerin gegen rechts, Kapitalismus und | |
| gesellschaftliche Missstände aller Art. Ist der Underground-Status also | |
| bewusst gewählt, oder ist sie da einfach nie rausgekommen? Eine Frage, die | |
| sie selbst umtreibt. | |
| „Am Anfang war das sehr bewusst“, erzählt die 40-Jährige. In den | |
| Nullerjahren war sie mit ihrer Crew Conexion Musical unterwegs, sie tourten | |
| im ganzen Land, spielten in den Hotspots der linken Szene, hatten mit | |
| „Autonom“ einen kleinen Hit. „Den haben wir dann sofort nicht mehr | |
| gespielt. Wir waren gegen alles, was massentauglich war, gegen jeden Hype.“ | |
| Vier Sololaben, drei Crew-Alben und viele Hundert Konzerte später stemmt | |
| sich Lena Stoehrfaktor mit ihrer Musik immer noch gegen Verhältnisse, die | |
| Menschen klein machen. Aber sie muss feststellen, dass das mit dem | |
| Untergrund nicht mehr funktioniert. „Wenn du Untergrund bist, denken die | |
| Leute, du hast es nicht geschafft. Unser Problem war, dass uns niemand | |
| geglaubt hat, dass wir das gerne sind.“ | |
| ## Linke Rap-Subkultur bricht zusammen | |
| Sie beobachtet, wie die linke Rap-Subkultur immer mehr zusammenbricht. | |
| Veranstaltungen mit Vokü, billigem Bier und Eintritt auf Spendenbasis | |
| werden seltener, Festivals kommerzieller. Wer kein Label und keine | |
| Booking-Agentur hat, kriegt keine Spots. „Du hast keine Chance, Musik unter | |
| die Leute zu kriegen“, sagt Stoehrfaktor, die sehr lange sehr konsequent | |
| war in ihrer Ablehnung dem Kapitalismus gegenüber, zu dem | |
| selbstverständlich das Musikbusiness dazugehört. | |
| Inzwischen nimmt sie alle Gig-Anfragen an, die sie kriegen an. Auch weil | |
| [1][Bettina Wegner] ihr dazu geraten hat. Von der Ostberliner | |
| Liedermacherin – „die realste Person überhaupt“, wie Stoehrfaktor findet… | |
| hat sie in ihrem Song „Beton auf der Zunge“ ein Vocal-Sample eingebaut. | |
| Seitdem sind die beiden in Kontakt. | |
| ## Message unter die Leute bringen | |
| Als Lena Stoehrfaktor in einem Interview äußerte, dass sie niemals zur | |
| Bambi-Verleihung gehen würde, schrieb ihr Wegner, sie selbst würde | |
| hingehen, schließlich müsse die Message unter die Leute kommen. Und das ist | |
| jetzt auch Lena Stoehrfaktors Ziel. Die Message unter die Leute bringen. | |
| „Es bringt ja nichts, wenn du Untergrund bist, aber es keiner merkt.“ | |
| „Pretty World“ heißt ihr neues Soloalbum, das kommende Woche erscheint. Ein | |
| Werk voller Boombap-Tracks, produziert von Blake, den sie bei der Arbeit am | |
| Soundtrack des bald erscheinenden Großstadt-Dramas „7 Tage Stress“ | |
| kennenlernte, für den sie den Song „Rauch in der Luft“ schrieb. Beide | |
| merkten schnell, dass sie die Liebe für die Skills, Sounds und Werte des | |
| Old-School-HipHop teilten. | |
| In den Songs von „Pretty World“ rappt Lena Stoehrfaktor über alles, was sie | |
| beschäftigt, was sie aufregt, was sie erlebt. Darüber, dass sie in | |
| depressiven Phasen nachts nicht schlafen kann, über Schönheitsideale und | |
| den Druck der Selbstdarstellung in sozialen Medien, über ihr ausgeprägtes | |
| Impostor-Syndrom und über ihr Anderssein, das schon in der Schule anfing, | |
| als sie ganz andere Interessen hatte als die Kinder, die ihre Hausaufgaben | |
| machten. | |
| Wenn sie heute Songs komponiert, herrscht dabei ein ähnliches Chaos wie | |
| früher in ihrem Eastpak-Rucksack, in dem unter den Matheheftern das Obst | |
| verschimmelte. | |
| ## Sozialarbeiterin in Berlin-Neukölln | |
| Die Hälfte ihrer Ideen und Gedanken gehen in den Tiefen von | |
| Handynotizfunktionen verloren. Aber was am Ende rauskommt, ist es dann auch | |
| wirklich wert, erzählt zu werden. Aktuell relevante Themen aus persönlicher | |
| Sicht. Stoehrfaktor weiß, wovon sie redet. Sie arbeitet als | |
| Sozialarbeiterin in Berlin-Neukölln, hat dort unter anderem ein queeres | |
| Jugendzentrum aufgebaut. Ein Job, der zum Burn-out führte. | |
| Zu viele Leute mit zu vielen Problemen, die sie sich alle anhörte. „Am | |
| liebsten würde ich jetzt Schrauben sortieren.“ Einfach nur Musik machen | |
| wäre ihr noch lieber. Sie könne nichts anderes, sagt sie. Aber das kann sie | |
| dafür richtig gut. Mit Wut, Wucht und Witz haut sie Punchline nach | |
| Punchline heraus, vor allem live knallen sie richtig. | |
| Denn auf der Bühne wird sie nicht nur von Old-School-HipHop-Beats, sondern | |
| auch einem Live-Schlagzeug begleitet. Lena Stoehrfaktor und das | |
| Rattenkabinett (später nur noch RTKB) hieß ihr Bandprojekt, das ihren Sound | |
| live mit weiteren Instrumenten unterlegte. Aber große Besetzung rentiere | |
| sich nicht. Da zahle man nur drauf. | |
| ## Eligh aus Los Angeles | |
| Gastbeiträge auf dem neuen Album kommen von Living-Legends-Rapper Eligh aus | |
| Los Angeles und Non-Phixion-Mitglied Sabac Red aus New York. Beide sind | |
| Stoehrfaktors US-Vorbilder. Produzent Blake hat sie gefragt, Lena | |
| Stoehrfaktor selbst hätte das niemals gemacht. Sie fragt aus Prinzip nur | |
| noch Leute nach Features, die weniger Klicks als sie haben. Denn das mag | |
| sie gar nicht, dass in der Musikbranche vor allem nach Likes auf Spotify | |
| oder Youtube geguckt werde. „Selbst bei Punkfestivals wird inzwischen | |
| derjenige Headliner, der die meisten Klicks hat“, schimpft sie. | |
| Als sie 2005 mit dem Musikmachen anfing, gab es noch kein Spotify. Und es | |
| gab kaum Künstlerinnen in der [2][Hip-Hop-Community]. Sie kannte ungefähr | |
| drei – [3][Sookee,] Fiva und Pyranha. Am Anfang hat sie das demotiviert, | |
| sie hat sich nicht getraut. „Die Jungs kamen auch gar nicht auf die Idee, | |
| mich zu fragen, ob ich mitrappen will.“ Außer ihr Kumpel ASI-ES, mit dem | |
| sie dann jahrelang zusammenarbeitete. | |
| Dennoch konnte sie „der ganzen Scheiße“ etwas Positives abgewinnen: „Es … | |
| auch einen Vorteil, wenn du eine Minderheit bist, weil die Leute sich dann | |
| schneller an dich erinnern.“ Sie hat es geschafft – zumindest in der | |
| DIY-Szene, in der sie hartnäckig am Ball blieb, immer wieder Songs | |
| rausballerte, die man bestens auf Anti-AfD-Demos spielen kann. | |
| ## Liebeslied an alle Menschen | |
| Nur selten schreibt sie Liebeslieder. Auf dem neuen Album ist eins – für | |
| ihre beste Freundin. Für ihre Partnerin hat sie auch schon mal eins | |
| gemacht, aber das für die beste Freundin sei besser geworden, finden beide. | |
| Auch die anderen Tracks dürfe man durchaus als Liebeslieder verstehen, sagt | |
| sie. „Wenn ich darüber rappe, die gesellschaftlichen Unterschiede | |
| abzubauen, ist das ein Liebeslied an alle Menschen.“ | |
| Was ist jetzt also die Message, die sie unter die Leute bringen will? | |
| „Menschlichkeit“, sagt Stoehrfaktor. „Dass es darauf ankommt, ein ‚guter | |
| Mensch‘ zu sein und die Gesellschaft gerechter zu machen für alle.“ Bei | |
| anderen Menschen könnte so ein Satz naiv klingen oder pathetisch – bei Lena | |
| Stoehrfaktor wirkt er so, als sei es die einzig richtige Schlussfolgerung, | |
| wenn man mal etwas länger über das Leben nachdenkt. | |
| „Niemand ist wichtiger als eine andere Person“, hält sie einer Welt | |
| entgegen, die ihrer Meinung immer individualistischer wird. Und genau | |
| dieser Welt täte es ganz gut, sich öfter mal Lena Stoehrfaktors Songs | |
| anzuhören. Vor allem jenseits des Untergrunds. | |
| 18 Jan 2025 | |
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| Juliane Streich | |
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