# taz.de -- Sozialwissenschaftlerin Ilona Otto: „Klimaneutralität würde uns… | |
> Mit Klima ließe sich Wahlkampf machen, sagt die österreichische | |
> Forscherin Ilona Otto. Dafür müsste die Politik die Chancen | |
> thematisieren. | |
Bild: Diese Art der Freiheit verträgt sich nicht so gut mit Klimaschutz: Priva… | |
taz: Frau Otto, bislang dringt die Klimabewegung im Bundestagswahlkampf | |
kaum durch. Was macht sie falsch? | |
Ilona Otto: Ich würde nicht sagen, dass sie was falsch macht. Es ist | |
derzeit sehr schwierig, mit anderen Themen wie den Kriegen in der | |
[1][Ukraine] und in Gaza zu konkurrieren, und auch innerhalb Deutschlands | |
gibt es viele Spannungen. | |
taz: Heißt das, es besteht keine Chance, dass Klimaschutz noch zum | |
Wahlkampfthema wird? | |
Otto: Es gibt schon Klimathemen, mit denen man die Wähler*innen abholen | |
könnte. [2][Ein Beispiel ist das Klimageld]. Wenn man vermitteln würde, | |
dass jede*r Bürger*in pro Jahr 300 Euro mehr auf dem Konto hätte, wäre | |
das sehr attraktiv. Oder das Klimaticket … | |
taz: … das in Deutschland „[3][Deutschlandticket]“ heißt … | |
Otto: Genau, das ist ein ganz anderes Framing. Ich verstehe, dass sich | |
viele Bürger*innen darüber aufregen, dass Benzin teurer wird. Aber wenn | |
die Parteien sagen würden: „Dafür gibt es jetzt ein günstiges Klimaticket�… | |
wäre das ein echtes Angebot. In Österreich kostet das Klimaticket 1.000 | |
Euro im Jahr und man kann auch Schnellzüge nutzen. Klar, Österreich ist | |
kleiner. Aber in Deutschland geht der Trend in die falsche Richtung, das | |
Ticket gilt ja nur für Regionalzüge und wird immer teurer. | |
taz: Warum trauen sich die Parteien im Wahlkampf nicht an Klimathemen | |
heran? | |
Otto: Weil wir zu sehr in negativen Narrativen verhaftet sind. „Klima“ | |
bedeutet meistens schlimme Folgen oder Verzicht. Wenn ich | |
„Klimakatastrophe“ sage, kann man sich darunter etwas vorstellen. Wenn ich | |
Sie frage, ob Sie sich eine klimaneutrale Welt vorstellen können, wird es | |
schwieriger. | |
taz: Warum wissen wir so wenig über positive Szenarien? | |
Otto: Das ist auch ein Fehler der Wissenschaften. Viele sehen den Weg zur | |
Klimaneutralität bei Technologien, die es noch nicht gibt. Ein | |
Wunderversprechen: Dann müssten wir unser Verhalten nicht ändern. Ich habe | |
gerade einen Forschungsantrag zu Klimakommunikation, sozialem Wandel und | |
Narrativen bei einem Exzellenzcluster eingereicht, aber er wurde abgelehnt. | |
Es ging um zehn Jahre Forschung, ein großes Projekt. Das Geld hat ein | |
Projekt der Ingenieurswissenschaft bekommen, das eine technologische | |
Wunderlösung versprochen hat. | |
taz: Unterschätzt die Gesellschaft die Relevanz von Klimakommunikation? | |
Otto: Ja. Aber wenn man sich mit positiven Klimadiskursen beschäftigt, | |
merkt man, wie die Gesellschaft profitieren würde. Klimaneutrale | |
Lebensentwürfe würden uns mehr Zeit geben, mehr Freiheiten und mehr | |
Kontrolle. Wenn ich meinen eigenen Strom produziere, bin ich unabhängig von | |
Konzernen. Ich hätte weniger Druck, Geld zu verdienen. Ich hätte auch | |
bessere Beziehungen zu den Nachbar*innen. Politik und Wissenschaften müssen | |
sich mehr mit der Frage beschäftigen, wie solche Szenarien aussehen könnten | |
und was wir für ein gutes Leben bräuchten. | |
taz: Stattdessen gilt Wirtschaftswachstum als Voraussetzung für das gute | |
Leben. | |
Otto: Von Wirtschaftswachstum profitieren hauptsächlich diejenigen, die | |
schon sehr reich sind. Statistiken zeigen, wie die Ungleichheit wächst und | |
sich Eigentum immer stärker konzentriert – nicht nur global, auch innerhalb | |
der EU. Große Konzerne und sehr wohlhabende Personen zahlen ihre Steuern | |
da, wo sie niedrig sind. Aber wenn es um von ihnen verursachte Schäden | |
geht, erwarten sie, dass die Steuerzahler*innen dafür aufkommen. | |
taz: Also müsste auch ein gerechteres Steuersystem zur Klimapolitik | |
gehören. | |
Otto: Wer in hoher Position im fossilen Sektor arbeitet, verdient sehr gut. | |
Da ist es nur gerecht, dass man auch zahlt, wenn es zum Schaden kommt. Aber | |
wir können das nicht auf nationaler, vielleicht auch nicht auf EU-Ebene | |
klären. Wohlhabende Menschen sind sehr mobil und haben Eigentum auf | |
verschiedenen Kontinenten. Wir brauchen neue internationale Kooperationen, | |
um Reiche und Großkonzerne zu Zahlungen zu verpflichten. | |
taz: [4][Fridays for Future hat in der vergangenen Woche die Parteien | |
aufgefordert, sich für Steuern für fossile Unternehmen und Superreiche | |
einzusetzen] – neben einem Gasausstieg und Klimaneutralität bis 2035. Sind | |
das die Forderungen der Stunde? | |
Otto: Es ist wirklich gravierend, wie stark superreiche Menschen und | |
Konzerne mit ihren Emissionen zur Klimazerstörung beitragen. Und irgendwo | |
muss das Geld für ein Klimaticket, das Klimageld oder den Ausbau | |
klimaneutraler Infrastruktur herkommen. Deshalb sind Themen wie | |
Gerechtigkeit gerade besonders wichtig. Wir müssen mehr darüber reden, was | |
wir voneinander erwarten. Das ist sehr komplex und es gibt bisher wenig | |
Experimente dazu. | |
taz: Sie meinen zum Beispiel Bürgerräte. | |
Otto: Ja, unter anderem. Der Bürgerrat zum Klima in Österreich im Jahr 2022 | |
hat sehr erfolgreich gearbeitet und gute Empfehlungen an die Regierung | |
gegeben. Leider wurden sie nicht implementiert. Man müsste die | |
Politiker*innen verpflichten, solche Empfehlungen umzusetzen. Wir | |
brauchen mehr Brücken zwischen Bürger*innen und Politik, wo sich | |
Menschen über längere Zeit mit einem Thema beschäftigen. | |
taz: Trotz solcher Erfolge wendet sich die Gesellschaft in Österreich | |
jedoch von der progressiven Stimmung ab – [5][jetzt wird es sogar eine | |
rechtsextreme Regierung geben.] Haben Sie eine Erklärung für diesen | |
Gegensatz? | |
Otto: Viele Bürger*innen waren sehr enttäuscht, dass die Empfehlungen | |
des Bürgerrats nicht umgesetzt wurden. Forschungsergebnisse zeigen auch, | |
dass viele Menschen nicht verstehen, woher das Klimageld kommt und warum es | |
so heißt. Die Kommunikation der Klimapolitik muss auch in Österreich | |
verbessert werden. Trotz der aktuellen Schwierigkeiten auf der nationalen | |
Ebene gibt es Fortschritte auf den lokalen Ebenen. In Graz etwa ist die | |
lokale Regierung aus [6][KPÖ], Grünen und SPÖ sehr umwelt- und | |
klimaorientiert. Es gibt zum Beispiel Förderungsprogramme für | |
Bürger*innen, die beim Klimaschutz aktiv werden möchten. | |
taz: Sind Klimastreiks und Großdemonstrationen noch zeitgemäß? | |
Otto: Sie sind nach wie vor sehr wichtig, um Aufmerksamkeit zu schaffen. | |
Außerdem ist eine wichtige Funktion der Demos, dass Menschen dort | |
zusammenkommen. Gleichzeitig brauchen wir auch andere Strategien der | |
Vernetzung. Für junge Menschen ist es zum Beispiel wichtig, zu erfahren, wo | |
sie eine zukunftsträchtige Ausbildung in einem nachhaltigen Bereich finden | |
und welche Jobs es dort gibt. | |
taz: Hat der Bedeutungsverlust von Greta Thunberg durch ihre Haltung im | |
Nahostkonflikt der Bewegung geschadet? | |
Otto: Es war eine schöne Vorstellung, dass es eine Heldin gibt, die uns | |
alle retten wird. Diese Hoffnung konnte sie natürlich nicht erfüllen, denn | |
sie ist einfach eine junge Frau, die das Recht hat, verschiedene Meinungen | |
zu verschiedenen Themen zu vertreten. Greta Thunberg hatte eine wichtige | |
Rolle und hat viel für die Bewegung und uns alle getan, aber man kann nicht | |
erwarten, dass sie immer in dieser zentralen Position bleibt. | |
14 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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