# taz.de -- Ein Jahr Correctiv-Recherche: Klagen, Kritik und ein bisschen Hoffn… | |
> Eine Correctiv-Recherche über ein Treffen von Rechtsextremen sorgte | |
> letztes Jahr für Massenproteste. Was ist davon übriggeblieben? | |
Bild: Correctiv will überall hin. Auch in Spätis in Berlin-Neukölln | |
Ein „Geheimplan gegen Deutschland“, dessen Enthüllung für bundesweit | |
anhaltende Proteste sorgte. Auch ein Jahr nach Veröffentlichung ist ein | |
Artikel des Medienunternehmens Correctiv vom 10. Januar 2024 noch präsent. | |
In der investigativen Recherche berichten Journalist*innen von einem | |
Treffen nahe Potsdam. Dabei sollen sich Vertreter der AfD, Neonazis, | |
CDU-Mitglieder und Mitglieder der Werteunion sowie finanzstarke | |
Unterstützer:innen der rechten Szene über „Remigration“ ausgetauscht | |
haben. Auch der rechtsextreme „Remigrations“-Stichwortgeber Martin Sellner | |
trat an dem Abend als Redner auf. Er soll davon gesprochen haben, dass | |
„Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und nicht assimilierte | |
Staatsbürger“ das Land verlassen sollen. | |
Für Rechtsextreme wurde „Remigration“ nach der Recherche verstärkt zum | |
Kampfbegriff. Ein Euphemismus für die Forderungen nach Massendeportationen. | |
Die AfD-Thüringen plakatierte im Wahlkampf etwa „Sommer, Sonne, | |
Remigration“. Für die rechtsextreme AfD-Jugendorganisation Junge | |
Alternative soll 2025 „Remigrationsjahr“ werden. Der bayerische | |
AfD-Landesverband beschloss im November eine „bayerische Resolution für | |
Remigration“. | |
In einem Video des rechtsextremen Magazins Compact äußerte Sellner im | |
November 2023 vor dem Treffen in Potsdam: „Remigration ist nicht nur | |
Abschiebung von Illegalen, sondern ein großes, umfassendes Konzept, das | |
sowohl Asylanten, also Asylbetrüger, Ausländer als auch nicht assimilierte | |
Staatsbürger im Fokus hat.“ [1][Neu waren die Erkenntnisse] der Recherche | |
also nicht. Das Neue waren vor allem die anhaltende Debatte und die | |
Öffentlichkeit für das Thema. | |
Noch am Tag der Veröffentlichung geht die Nachricht vom „Geheimplan gegen | |
Deutschland“ durch sämtliche Medien. Wenige Tage danach löste die Recherche | |
bundesweit Großproteste aus. Ende Januar fanden Demos mit mehr als 100.000 | |
Teilnehmenden statt. Anfang Februar demonstrierten in Berlin rund 200.000 | |
Menschen, auch in kleineren Gemeinden fanden Tausende Menschen zusammen. | |
## Diffamierungsversuche | |
Selbst die New York Times berichtete von den Protesten und titelte: „Die | |
Deutschen wehren sich, während der Einfluss der extremen Rechten wächst“. | |
Es sei die „größte Protestwelle in der Geschichte der Bundesrepublik“, | |
stellte das Berliner Institut für Protest- und Bewegungsforschung fest. | |
„Die Veröffentlichungen haben eine gewaltige gesellschaftliche Diskussion | |
und Empörung ausgelöst“, sagt Correctiv-Autor Marcus Bensmann der taz. | |
„Unsere Recherche hat vielen klargemacht, welche völkischen | |
Vertreibungspläne in diesem Umfeld diskutiert werden“, sagt Bensmann. „Das | |
Trugbild des homogenen Volkes geistert durch die sogenannte Neue Rechte.“ | |
Für Aufregung und Empörung sorgte der Bericht von Correctiv auch im rechten | |
und rechtsextremen Lager. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Alice Weidel sprach | |
kurz nach der Veröffentlichung von einem der „größten Medien- und | |
Politikskandale der Bundesrepublik Deutschland“ und „DDR-Methoden“. | |
Diffamierungsversuche kamen auch von der AfD-Abgeordneten Beatrix von | |
Storch, die Correctiv auf dem AfD-Landesparteitag im Oktober 2024 ein | |
„Dreckiges Lügen-Correctiv“ nannte. Sellner betitelte die | |
Correctiv-Recherche als „politmedialen Atombombenabwurf auf das rechte | |
Lager“. | |
Neben verbalen Attacken versuchten Teilnehmer des Potsdam-Treffens auch | |
juristisch gegen den Bericht vorzugehen. Der Jurist Ulrich Vosgerau, bis | |
2023 auch im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, erzielte | |
im Februar 2024 vor dem Hamburger Landgericht einen Teilerfolg gegen | |
Correctiv: Er bekam in einem von drei Punkten recht. Der Kern der Recherche | |
blieb davon unberührt. Im Januar dieses Jahres haben Teilnehmer des | |
Potsdam-Treffens nun für einen weiteren Schlag gegen die Recherche | |
ausgeholt. In einer Pressemitteilung der Kanzlei Höcker, die die Kläger | |
vertritt, heißt es, es ginge nun um die „Kernaussagen“ des Berichts. | |
## Diskussionen über die Recherche | |
„Die aktuelle Klage zielt darauf ab, Medienberichterstattung zu erzeugen“, | |
sagt [2][Rechtsanwalt Chan-jo Jun der taz]. In der Öffentlichkeit könne | |
dadurch der Eindruck entstehen, die Correctiv-Recherche sei grundlegend | |
falsch. „Es geht in der Klage vor allem um formal-juristische Aspekte, um | |
Details und Formulierungen“, so Jun weiter. An der Botschaft der Recherche | |
ändere das nichts, so Jun. | |
Nach Reaktionen von rechts folgte im Juli 2024 [3][Kritik von Autoren der | |
Plattform Übermedien]. Der Correctiv-Bericht sei „misslungen“ und erzeuge | |
eine „systematische Unsicherheit“ darüber, was die eigentliche Aussage des | |
Artikels sei, kritisierten die Autoren. Correctiv-Autor Bensmann dazu zur | |
taz: „Die Kritik von den Übermedien-Autoren kann ich nicht nachvollziehen. | |
Martin Sellner ist ein völkischer Ideologe und Rechtsextremer. Wenn das bei | |
den Übermedien-Autoren nicht angekommen ist, ist das deren Problem“, so | |
Bensmann. | |
Übermedien-Autor Andrej Reisin reagierte im August auf die Kritik aus den | |
eigenen Reihen mit einem weiteren Artikel. Man nenne zwar einige „valide | |
Punkte“, allerdings verliere die Kritik der Übermedien-Autoren „vor lauter | |
Bäumen den Wald aus dem Blick“. Zudem wolle sie „vom Wesen des | |
zeitgenössischen Rechtsextremismus nichts wissen“, so Reisin. | |
Rechtsextremismusexperte Axel Salheiser vom Institut für Demokratie und | |
Zivilgesellschaft Jena verweist mit Blick auf die Wahlergebnisse der | |
zurückliegenden Europa-, Kommunal- und Landtagswahlen darauf, dass die | |
Correctiv-Recherchen und die öffentliche Kritik an den „Remigrationsplänen�… | |
der AfD bei deren Wähler:innen nicht verfangen haben. „Daran haben auch | |
die Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus im ganzen Land | |
prinzipiell nichts geändert“, so Salheiser. | |
## Zivilgesellschaftlicher Protest abgeklungen | |
Corretiv-Autor Bensmann sieht das positiver. Das Medienunternehmen konnte | |
laut Bensmann nach der Veröffentlichung neue Spendeneinnahmen und | |
Unterstützer:innen gewinnen. Correctiv sei durch die Veröffentlichung | |
wesentlich bekannter geworden. Die Geschichte habe die Echokammern | |
verlassen und viele Debatten angestoßen. „Niemand kann mehr sagen, er hätte | |
nichts gewusst“, so Bensmann. | |
Nur selten erzeugt eine investigative Recherche so viel Wirbel. Eine | |
Debatte um ein AfD-Verbot hatte im Jahr 2024 Fahrt aufgenommen. Die | |
Massenproteste und die damit verbundene Hoffnung einer starken | |
zivilgesellschaftlichen Gegenwehr sind ein Jahr nach der Recherche | |
abgeklungen. Correctiv berichtet weiter über Treffen von Rechtsextremen. Im | |
Dezember etwa von einem Treffen von Neonazis und AfD-Funktionären in der | |
Schweiz. Unter ihnen waren auch Mitglieder des rechtsextremen Netzwerks | |
„Blood & Honour“. | |
10 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Nicolai Kary | |
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