# taz.de -- Kritik an Ameos-Klinikum Osnabrück: Entblößung bis in die Tiefe … | |
> Am Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie zeigt sich, dass | |
> die Auslagerung staatlicher Aufgaben an Private starke Nachteile haben | |
> kann. | |
Bild: Fixieren als permanente Drohung: Auf den Fluren hätten dafür Betten ber… | |
Osnabrück taz | Das Ameos-Klinikum Osnabrück braucht große Worte: | |
„Grundlage unseres Handelns ist die Unantastbarkeit der Würde des | |
Menschen“, schreibt das Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie | |
und Psychosomatik mit rund 850 Mitarbeitenden in seinem Leitbild. | |
Die Realität im ehemaligen öffentlich-rechtlichen Landeskrankenhaus, das | |
2007 an die private Ameos-Gruppe verkauft wurde, entspricht dem oft nicht. | |
Seit Längerem schon gibt es Vorwürfe, vor allem über Missstände in der | |
Gerontopsychiatrie. Sie sind so hart, dass die Osnabrücker | |
Landtagsabgeordneten Frank Henning (SPD) und Verena Kämmerling (CDU) jüngst | |
ihren Austritt aus dem Beirat des Klinikums erklärt haben. „Wir sind nicht | |
bereit“, schreiben sie in einer Erklärung, „durch unsere Mitgliedschaft | |
eine menschenunwürdige Unterbringung psychisch kranker Patientinnen und | |
Patienten indirekt zu dulden.“ | |
Dem Klinikum werden Mängel in Sauberkeit, Bau und Sanierung vorgeworfen, | |
zudem Überbelegung und Unterbesetzung, schlechte Zahlungsmoral gegenüber | |
Dienstleistern und Mitarbeitenden, Unterqualifizierung. Es komme zu | |
Vernachlässigung, zu Gewalt an und unter PatientInnen. | |
## Tagelang fixiert | |
Die ehemalige Ameos-Patientin Ulrike Leimkötter (Name geändert) hat diese | |
Gewalt am eigenen Leib erlebt. „Seit seiner Privatisierung ist das Klinikum | |
zu einem menschenverachtenden Ort geworden“, sagt sie der taz. „Ich war | |
mehrfach dort. Einmal kamen acht Männer, [1][fixierten mich], und so lag | |
ich dann eine Woche lang, ohne jede Bettwache, meine Hände wurden noch | |
nicht mal zum Essen losgebunden, und danach hatte ich Wunden an den Füßen, | |
durch die Fesselung. Das war schrecklich.“ Auf dem Flur hätten vorbereitete | |
Fixierbetten gestanden. „Wir haben das als Drohung aufgefasst“, sagt sie. | |
„Kooperiere, oder du kommst da rein!“ | |
Sie erzählt von schimmelbefallenen Räumen, widerlichem Essen, ignorierten | |
Fragen, abgewiesenen Besuchern. Ihre Aufenthalte bezeichnet sie als | |
„traumatisierend“. | |
„Die Vorwürfe überraschen in keiner Weise“, sagt Matthias Wiegmann, | |
Sprecher der Selbsthilfegruppe Psychiatrie-Erfahrene Osnabrück, der taz. | |
„Da muss sich bedeutend was ändern.“ Es gebe im Klinikum engagierte | |
MitarbeiterInnen, Unterschiede von Station zu Station. „Das ist kein | |
Schwarzweiß.“ Aber die Probleme seien vielfältig. | |
## Medikamente statt Interaktion | |
„Der Fokus liegt oft auf hochdosierter, sedierender [2][Medikation, statt | |
auf Interaktion] mit den Patienten. Der Ton ist oft respektlos. Man muss | |
sehr kämpfen, um Einsicht in die Patientenakte zu bekommen“, so Wiegmann. | |
„Es gibt, im Vergleich zu anderen Kliniken, nur wenige Therapietermine, | |
stattdessen viel Leerlauf. Persönliche Gegenstände verschwinden. Und seit | |
zehn Jahren mahnen wir den Einsatz von Genesungsbegleitern an, aber das | |
wird abgewehrt.“ | |
Nicht nur in der Gerontopsychiatrie sei das zu beobachten, auch in anderen | |
geschlossenen Abteilungen, etwa der Suchtkrankenhilfe. | |
Die Fachaufsicht über die nach dem Niedersächsischen [3][Gesetz über Hilfen | |
und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke] (NPsychKG) zur Unterbringung | |
gegen den Willen des Betroffenen berechtigten Kliniken liegt beim | |
Gesundheitsministerium. Die Kontrolle erfolgt durch Besuchskommissionen. | |
## Angekündigte Kontrollen | |
In den vergangenen fünf Jahren hat die Besuchskommission Weser-Ems Süd das | |
Klinikum Anfang 2019, Ende 2021, Mitte 2022, Ende 2023, und 2024 mehrfach | |
besucht, im Regelfall angekündigt. | |
„Mein Ministerium hat mit zwei fachaufsichtlichen Weisungen in 2024 auf | |
nachhaltige Verbesserungen der inakzeptablen Bedingungen gedrungen“, | |
schreibt Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) der taz. „So kam es | |
dann auch zu einem Verbot der Unterbringung von Personen nach dem NPsychKG | |
auf den geschlossenen gerontopsychiatrischen Stationen.“ | |
Es habe Verbesserungen beim Personalschlüssel und beim Therapieangebot | |
gegeben. „Wir sind aber noch nicht zufrieden. Daher werden wir den | |
Aufsichtsdruck noch einmal verschärfen.“ Auch er selbst werde „zeitnah“ … | |
Ort sein. | |
## Betreiberwechsel wäre Ultima Ratio | |
Aktuell schließe er „nichts aus“, schreibt Philippi. „Ein Betreiberwechs… | |
wäre aber die Ultima Ratio.“ Er setze auf Vernunft, Verantwortung und | |
Kontrolldruck. „Sollte das nicht wirken, müssen weitere Maßnahmen politisch | |
besprochen werden.“ Es dürfe nicht um Gewinnmargen und Rendite für ein | |
Hedgefonds-Unternehmen gehen: „Es geht um Menschen, die Hilfe benötigen.“ | |
„Es ist gut, dass das Land Ameos genau auf die Finger schaut“, sagt Nicolas | |
Breer der taz, Landtagsabgeordneter der Grünen, selber Psychotherapeut und | |
erst kürzlich mit einer Besuchskommission im Klinikum. Es bleibe „noch viel | |
Luft nach oben“ für Ameos Osnabrück. | |
Das Klinikum, von der taz zur Kommentierung aufgefordert, ignoriert | |
Detailfragen. Defizite seien „gezielt und konsequent“ behoben worden, teilt | |
es in einer allgemeinen Stellungnahme mit. Es gebe „positive Rückmeldungen | |
unserer Patienten hinsichtlich der hochwertigen therapeutischen | |
Versorgung“. | |
## Bis zu drei Fixierte pro Zimmer | |
„Die Phänomene sind deutlich“, sagt der ehemalige Ameos-Mitarbeiter L. | |
V.-G. (Name der Redaktion bekannt) der taz, Fachkrankenpfleger für | |
psychiatrische Pflege. „Das mündet in räumliche Verdichtung von Anspannung | |
und Chaos, absolute Entgrenzung jeglicher Privatheit auf geschützten | |
Stationen. Patienten verlieren als Objekte monetärer Begierden ihre Würde, | |
das höchste Gut, das sie besitzen.“ | |
L. V.-G. war lange als Trainer für Deeskalationsmanagement im Klinikum | |
tätig. „Für diese Trainings, die Basisseminare wie die Auffrischungen, gibt | |
es eine Teilnahmepflicht. Aber die wurde schlecht erfüllt, auf ärztlicher | |
Ebene nur sehr lückenhaft, weil die Betriebsabläufe es nicht zuließen.“ | |
Zuweilen lägen bis zu drei Fixierte in einem Zimmer. „So was entlastet | |
vielleicht die Firma, wirtschaftlich, aber gegenüber den Betroffenen ist | |
das nicht zu rechtfertigen. Das ist absolute Entblößung, bis in die Tiefe | |
der Seele hinein.“ | |
Dass ein Trägerwechsel etwas ändern würde, bezweifelt er: „Da wartet dann | |
schon der nächste Hai. Was sich ändern muss, ist das Konzept.“ Das Problem | |
sei die Privatisierung. Ameos Osnabrück sei kein Einzelfall: „Das ist die | |
allgemeine Entwicklung der Psychiatrie.“ | |
29 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Psychiatrie-Chefarzt-ueber-Kuendigung/!6054456 | |
[2] /Bundesverfassungsgericht/!6048403 | |
[3] https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/1160c766-2b60-3516-b3… | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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