# taz.de -- Captagon-Handel in Syrien: Wer übernimmt Assads Drogengeschäft? | |
> Mit dem Ende der Assad-Diktatur ist nicht nur ein politisches Machtvakuum | |
> entstanden. Auch das Captagonbusiness des Regimes ist zu Ende – | |
> vorläufig. | |
Bild: Damaskus, 12. Dezember: Nach Angaben syrischer Rebellen wurden in dem apf… | |
Der Fall des syrischen Diktators Baschar al-Assad bedeutet auch das | |
vorläufige Ende des Narco-Staats Syrien. Als Rebellen, geführt von dem | |
islamistischen HTS, am 8. Dezember das ba’athistische Regime in Damaskus | |
stürzten, entdeckten sie schnell die Fabriken, in denen jahrelang unzählige | |
kleine weiße Tabletten hergestellt wurden. | |
„Eine Schweinebande“, sagte einer der Rebellen, „das ist alles Gift“. D… | |
Pillen, gedruckt mit einem Logo bestehend aus zwei Halbmond-Gestalten, die | |
eine Art Wirbel formen, sind Captagon: ein billiges Aufputschmittel – | |
amphetamin-ähnlich und hochsüchtig machend. Eine kostet nicht mal zwei | |
Euro. | |
Es war ein lukratives, überlebensnotwendiges Geschäft für das angeschlagene | |
Regime: Ein blutiger, 13 Jahre langer Bürgerkrieg sowie empfindliche | |
westliche Sanktionen legten die syrische Wirtschaft lahm. Diktator Baschar | |
al-Assad setzte deshalb auf den [1][Captagon-Handel,] der seinen Krieg | |
querfinanzierte. | |
Es ging Schätzungen zufolge um ein Multimilliarden-Euro-Geschäft, gemanagt | |
von al-Assads Bruder höchstpersönlich, geschützt von der syrischen Armee. | |
Syrien war Exportweltmeister, soll für 80 Prozent der globalen Herstellung | |
verantwortlich gewesen sein. | |
## Captagon ist haram | |
Hundert Millionen von Tabletten wurden nach Jordanien, Saudi-Arabien, in | |
den Irak oder andere Golfstaaten geschmuggelt, wo sie von Lkw-Fahrern, | |
Schichtarbeitern, Studenten, aber auch Geschäftsmännern geschluckt werden, | |
um lange wach zu bleiben, um funktionieren zu können. Manche sprechen sogar | |
von einer [2][gesellschaftlichen Krise in der arabischen Welt], die alle | |
sozialen Schichten betrifft. | |
1961 wurde der [3][Wirkstoff Fenethyllin] in Deutschland erfunden, als | |
Medikament gegen Narkolepsie oder ADHS. Später wurde es im Sport als | |
illegales Dopingmittel benutzt. Bekannter ist Captagon jedoch inzwischen | |
als „Dschihad-Droge“. Mit einer großen Menge verliere man die Angst, die | |
Empathie, berichten viele Konsumenten. IS-Kämpfer sollen bereits ab 2015 | |
Captagon genommen haben. | |
2023 [4][beschlagnahmten israelische Behörden eine Captagon-Lieferung], | |
versteckt in Kühlschränken, auf dem Weg von der palästinensischen Westbank | |
in den Gazastreifen. Und beim von der Hamas geführten Angriff auf Israel am | |
7. Oktober 2023 [5][sollen] Captagon-Tabletten in den Hosentaschen der | |
islamistischen Terroristen gefunden worden sein, [6][so berichten mehrere | |
Medien,] die sich auf Quellen in der israelischen Armee (IDF) berufen. | |
Konkrete Beweise dafür lieferte die IDF bislang nicht. Aus israelischer | |
Sicht böten die weißen Pillen eine Erklärung für die enthemmte, sadistische | |
Gewalt gegen Kinder, Frauen, Senioren an diesem Tag. Die Hamas wiederum | |
hätte ein Interesse daran, das zu bestreiten. Denn Captagon ist haram und | |
untergräbt den Mythos der heldenhaften Kämpfer im heiligen Krieg gegen den | |
jüdischen Staat. | |
## Weitere Profiteure | |
Auch die Hisbollah verdient am Captagon-Handel mit – Geld, das wieder in | |
ihren Krieg gegen Israel fließt. Seit den 1990er Jahren wird die Droge in | |
der von der libanesischen Terrororganisation kontrollierten Bekaa-Ebene | |
hergestellt. Die Hisbollah unterstützte das Assad-Regime beim | |
Captagon-Vertrieb im Libanon, so sagte es ein Oberst der syrischen Armee, | |
der schon vor dem Sturz Assads übergelaufen war und nun mit der US-Armee | |
zusammenarbeitet. | |
So hinterlässt der Sturz al-Assads eine klaffende Lücke im globalen | |
Captagon-Markt, die aber zügig gefüllt werden dürfte. Wer daran künftig | |
verdienen wird, könnte die Machtverhältnisse im Nahen Osten und darüber | |
hinaus stark prägen. Für eine enthauptete Hisbollah im Libanon, deren | |
Führungsregie Israel seit September ausgeschaltet hat, könnte der | |
Captagon-Handel als wirtschaftliche Rettungsleine fungieren, wenn es ihr | |
gelingt, den Marktanteil von al-Assad zu übernehmen und die große Nachfrage | |
in der Region zu erfüllen. | |
Für die Gruppe Wagner, eine russische Söldnertruppe, die in Vergangenheit | |
die Droge von Syrien nach Libyen transportiert haben soll, könnte der | |
Captagon-Handel eine neue Finanzierungsquelle eröffnen, nachdem Chef | |
Jewgeni Prigoschin 2023 nach einem gescheiterten Marsch auf Moskau in | |
Missgunst des Kremls gefallen und kurze Zeit später bei einem dubiosen | |
Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war. | |
Auch Nordkorea hätte theoretisch sowohl das Interesse als auch die | |
Möglichkeit, dieses Marktsegment zu bespielen: Seit Jahren stellt das | |
autoritäre Regime Crystal Meth her und soll jährlich hunderte Millionen | |
Dollar daran verdient haben. 2004 wurden Mitarbeiter der nordkoreanischen | |
Botschaft in Bulgarien mit 500.000 Captagon-Tabletten erwischt. | |
Mit dem Assad-Regime mag der weltweit größte Hersteller von Captagon nun | |
Geschichte sein. Aber die Nachfrage bleibt stark. Captagon ist eine kleine | |
Pille mit großen geopolitischen Auswirkungen. | |
19 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Drogenschmuggel-aus-Syrien/!6003212 | |
[2] /Drogenkonsum-in-Syrien-und-Libanon/!5838700 | |
[3] /Umgang-mit-synthetischen-Drogen/!5961253 | |
[4] https://www.mena-watch.com/captagon-assads-drogenschmuggel-erreicht-israel/ | |
[5] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/terrordroge-captagon-auch-in… | |
[6] https://www.jpost.com/middle-east/article-824462 | |
## AUTOREN | |
Nicholas Potter | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Syrien | |
Drogen | |
Drogenhandel | |
Social-Auswahl | |
Annalena Baerbock | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Fake News | |
Libanon | |
Drogen | |
Schwerpunkt Syrien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Syrienkonferenz in Saudi-Arabien: Braucht es die Sanktionen noch? | |
Syrien ist international so stark sanktioniert wie kaum ein anderes Land. | |
Das soll sich jetzt ändern, sagen arabische und westliche Politiker in | |
Riad. | |
Foltergefängnis in Syrien: Der Ort, an dem Albträume beginnen | |
Aus dem syrischen Gefängnis von Sednaya kamen vor einer Woche Tausende | |
Inhaftierte frei. Angehörige suchen nun weiter nach Vermissten. | |
Demonstration in Damaskus: Zwischen Bewaffneten nach Freiheit rufend | |
Nach über 50 Jahren genießen viele Menschen in Syrien die Freiheit, zu | |
demonstrieren. Und nutzen ihr Recht: Für einen säkularen Staat, für | |
Pluralismus. | |
Reportage aus Syrien: Peinlicher Glaubwürdigkeitsverlust für CNN | |
Vor laufender Kamera befreite der US-Sender CNN einen Gefangenen in Syrien. | |
Doch der log über seine Identität, er soll Geheimdienstler sein. | |
Reaktionen aus dem Libanon: Und ewig droht die Hisbollah | |
Im Libanon fürchten sich die Menschen vor einem Krieg mit Israel. Sollte | |
die Hisbollah zum Player werden, hätte das dramatische Konsequenzen. | |
Umgang mit synthetischen Drogen: Jenseits von Fentanyl | |
Neue Opioide erobern den Markt. Die Gefahren müssen analysiert und ernst | |
genommen werden. Kriegsrhetorik allein reicht nicht. | |
Drogenkonsum in Syrien und Libanon: Pillen, um dem Leben zu entfliehen | |
Captagon-Pillen sind in Syrien und Libanon beliebt, um mit dem Alltag | |
umgehen zu können. Der Staat hilft kaum, NGOs springen ein. |