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# taz.de -- Reaktionen aus dem Libanon: Und ewig droht die Hisbollah
> Im Libanon fürchten sich die Menschen vor einem Krieg mit Israel. Sollte
> die Hisbollah zum Player werden, hätte das dramatische Konsequenzen.
Bild: Wer hat hier die Macht? Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah (rechts) neben Pa…
Beirut taz | Der Stau auf der einzigen Autobahn des Libanons, vom Süden bis
nach Beirut, ist kein gewöhnlicher: Es ist ein Autostau der Angst. Die
Menschen haben ihre Häuser im Südlibanon am Montagabend evakuiert, aus
Angst vor Angriffen aus Israel. Schulen in der Nähe der südlichen Grenze
des Libanons blieben am Dienstag geschlossen, aus Sorge um die Sicherheit
von Schüler*innen und Lehrkräfte.
Seit Sonntag gibt es [1][an der Grenze Kampfhandlungen]. Das Grenzgebiet
wird seit 1978 von der UN-Friedensmission UNIFIL bewacht. Die Mission sei
mit den involvierten Parteien entlang der blauen Linie in Kontakt, hieß es
in einer Pressemitteilung. Am Dienstag blieb es im Grenzgebiet ruhig.
Israel und der Libanon befinden sich offiziell im Kriegszustand. Bisher
hieß das: Ein Verhältnis ohne diplomatische Beziehungen und wiederkehrende
Scharmützel an der Grenze. Doch der aktuelle Krieg zwischen der Hamas und
Israel könnte aus diesem recht kalten Zustand einen aktiven Krieg machen.
Beide Seiten hätten die militärischen Möglichkeiten, ins jeweils
gegenseitige Landesinnere vorzudringen und Zivilist*innen zu töten.
Ob sich die Kriegsfront ausweitet, der Libanon mit Bombardierungen Israels
rechnen muss und die Hisbollah zivile Ziele in Israel angreifen wird, hängt
von den jeweiligen Entscheidungen der Gegenseite ab, inwieweit sie die
Situation eskalieren möchten oder sich dazu genötigt sehen.
## Die Hisbollah zahlt in Dollar
Die Hisbollah und der Iran hätten keine Rolle bei der Planung der
Hamas-Angriffe auf Israel gespielt, nur einige wenige Hamas-Anführer hätten
Bescheid gewusst, sagte ein ranghohes Mitglied der Hamas-Führung der
Nachrichtenagentur AP am Montag. Die Hisbollah, eine politische Partei im
Libanon, die mit rund 10 Prozent im Parlament vertreten ist und Verbündete
wie die schiitische Schwesterpartei Amal und christliche Parteien, ist auch
eine Miliz und kämpft in Syrien an der Seite Baschar al-Assads. Der Iran
unterstützt sie finanziell.
Ihre Anhänger*innen gewinnt sie durch das Narrativ,
Widerstandskämpferin gegen Israel und für die palästinensische
Freiheitsbewegung zu sein. Innenpolitisch stellt sie sich als Alternative
zu korrupten libanesischen Politikern dar, unterhält Krankenhäuser und
soziale Einrichtungen. Trotz Sanktionen der USA verdient die Hisbollah Geld
mit internationalem Waffen- und Drogenhandel. Durch Waffenlieferungen nach
Syrien oder Irak, Cannabisanbau, dem Export von in Syrien produziertem
Captagon oder Netzwerken im lateinamerikanischen Kokainhandel.
Die Reaktion der Hisbollah auf die Ereignisse ist zurückhaltend. In der
ersten Erklärung am Samstag hieß es, man verfolge die Entwicklungen vor Ort
„genau“ und stehe „in direktem Kontakt mit der Führung des
palästinensischen Widerstands im In- und Ausland“. Die Partei wollte sich
nicht äußern, ob sie sich an dem Kampf direkt beteiligen würde.
Am Sonntag dann erklärte der geschäftsführende Außenminister des Libanons,
Abdallah Bou Habib, die Hisbollah habe der Regierung versichert, dass sie
nicht in den Krieg im Gazastreifen eingreifen werde. „Es sei denn, Israel
provoziere den Libanon“, so Habib in der arabischen Zeitung Asharq
al-Awsat.
## Mehr als Grenzscharmützel?
Zunächst hatte die Hisbollah am Sonntag das von Israel besetzte Gebiet der
Schebaa-Farmen mit Raketen und Artillerie angegriffen. Israel beansprucht
die 15 Quadratkilometer der Agrarfläche seit 1967 für sich. Syrien und der
Libanon sehen das Gebiet als libanesisch. Der Angriff sei ein Signal der
Abschreckung gewesen: Falls Israel eine Bodenoffensive startet, steht die
Hisbollah militärisch bereit, um den Konflikt auszuweiten.
Nach einer Gegenoffensive Israels erlaubte die Hisbollah verbündeten
palästinensischen Gruppierungen, vom Südlibanon aus nach Israel zu
gelangen, um dort anzugreifen. Israelische Soldaten hatten die bewaffneten
Verdächtigen erschossen, die über die Grenze vorgedrungen waren. Am
Montagabend wurden drei Hisbollah-Kämpfer durch Beschuss aus israelischen
Kampfhubschraubern getötet. Daraufhin feuerte die Hisbollah in der Nacht
auf Dienstag mehrere Raketen auf Israel ab. Israels Armee reagierte mit
Artilleriefeuer. Berichte über Opfer gab es zunächst nicht.
Im Libanon fürchten sich viele Menschen vor einem Krieg wie 2006. Damals
weiteten sich anhaltende Konflikte der Hisbollah mit der israelischen Armee
aus. Die Hisbollah beschoss Israel mit Raketen, Israel setzte
Landstreitkräfte im Südlibanon ein, bombardierte die Hauptstadt Beirut und
Infrastruktur, wie Brücken und den Beiruter Flughafen. Damals verhielt sich
die libanesische Armee weitgehend passiv, eine UN-Resolution und ein
Friedensabkommen beendeten die Kämpfe.
Der Libanon ist politisch nicht handlungsfähig. Seit November 2022 gibt es
keinen Präsidenten, die derzeitige Regierung ist nur geschäftsführend im
Amt. Die politische Elite hat das Land durch Korruption in einen
Staatsbankrott gebracht, 2019 brach das Finanzsystem zusammen. Die Menschen
durchleben eine tiefe Wirtschaftskrise, sie haben ihre Ersparnisse
verloren.
## Die Libanesen sind der Katastrophen müde
Wer für die Hisbollah arbeitet, ist derweil im Vorteil: Kämpfer und
Angestellte bezahlt die Hisbollah in US-Dollar, während libanesische
Staatsbedienstete ihr Gehalt in instabiler libanesischer Währung erhalten
und umgerechnet unter 100 Euro monatlich verdienen. Während die Leute vor
kommerziellen Banken stundenlang anstehen, um etwas Geld im schlechten
Umrechnungskurs abzuheben, gibt eine als gemeinnützig anerkannte
Organisation der Hisbollah zinslose Kredite in Dollar aus. Damit können
Menschen Schulgebühren bezahlen, heiraten oder ein kleines Unternehmen
eröffnen. Es ist eines der Instrumente, das die Unterstützung durch die
schiitische Bevölkerung festigt.
Innenpolitisch ist die Hisbollah geschwächt. Der palästinensische
Freiheitskampf hatte zuletzt an Priorität bei der Bevölkerung verloren, die
von Covid und der Wirtschaftskrise müde und traumatisiert ist. Der
Hisbollah wird zudem die Verantwortung für die Explosion im Beiruter Hafen
2020 zugeschrieben. Damals wurden mindestens 207 Menschen getötet, Tausende
verletzt. Die [2][Hisbollah blockiert mit Gerichtsverfahren] gegen den
Untersuchungsrichter die Aufklärung.
Ihre Macht geht aber noch viel weiter. Die Hisbollah agiere als Staat im
Staat und entscheide, ob der Libanon in einen Krieg ziehe, sagte die
Parlamentarierin Paula Yacoubian am Sonntag bei X (ehemals Twitter). Sie
gehört zu einer Gruppe von 13 Abgeordneten, die sich der Opposition gegen
die korrupte Eliten zuordnen. Der Staat sei nur noch ein Skelett, die
Regierung nicht entscheidungsfähig, kritisiert sie.
## Hinter der Hisbollah stehen größere Kaliber
„Das ist Unsinn“, dementierte Außenminister Habib in der Zeitung Alsharq Al
Awsat: Das Abkommen zur Festlegung der Seegrenze zwischen Libanon und
Israel im Oktober 2022 beispielsweise sei „unter dieser Regierung
geschlossen“ worden. „Es stimmt, dass wir damals einen Präsidenten der
Republik hatten und jetzt nicht, aber wir werden früher oder später einen
wählen.“ Das Ministerkabinett will sich erst am Donnerstag besprechen. Bei
der sicherheitspolitischen Entscheidung hat Beirut nicht viel mitzureden.
Bisher sieht es zumindest nicht so aus, als würde die Hisbollah eine zweite
Kriegsfront gegen Israel eröffnen. Falls die Hisbollah als Akteur
einschreitet, hätte das große Konsequenzen für den Kriegsverlauf: Dann
wären auch die Verbündeten Iran, [3][Russland] und Syrien involviert. Das
könnte Israel abschrecken, seinerseits zu diesem Zeitpunk gegen die
Hisbollah zu kämpfen. Gleichzeitig hat die schiitische Miliz in den letzten
Jahren von einer direkten Einmischung in Kriege zwischen Israel und Gaza
abgesehen. Libanesische Analyst*innen glauben, dass die Hisbollah lieber
die Hamas in Gaza und in den palästinensischen Camps im Libanon stärkt,
anstatt einen offenen Krieg anzufangen.
Die Menschen im Libanon können nur abwarten, welche militärischen Ziele
sich die Führungen in Jerusalem und Teheran sowie die Hisbollah setzen und
wie weit sie die Eskalation vorantreiben. Die Szenen an einer Tankstelle in
dem Beiruter Vorort Baabda, beschrieben von Journalist*innen der
libanesischen Zeitung L’Orient-Le Jour, zeigen die Bewältigungsstrategien
der Libanes*innen mit der Unsicherheit. „Ich bin hier, weil alle, die
ich kenne, wegen der Situation tanken gehen. Also tue ich dasselbe“, sagte
ein Kunde in der Warteschlange.
„Ich glaube, die Leute haben eine posttraumatische Belastungsstörung
aufgrund der Geschichte. Dinge, in die Palästinenser verwickelt waren,
haben zu einem Bürgerkrieg geführt, deshalb fürchte ich das hier noch mehr
als einen Krieg mit Israel.“ Ein anderer Kunde kam ohne Besorgnis an die
Tankstelle. „Ich verstehe nicht, warum diese Leute Schlange stehen, ich bin
hier, weil mein Autotank leer ist. Für mich ist das nur eine kleine
Spannung, und es wird nichts Großes passieren.“
10 Oct 2023
## LINKS
[1] /-Hamas-Angriff-auf-Israel-/!5965659
[2] /Behinderte-Ermittlungen-in-Beirut/!5949081
[3] /Russische-Propaganda-im-Libanon/!5953434
## AUTOREN
Julia Neumann
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