# taz.de -- Klimaziel für 2024: Erfolgreich erschummelt | |
> Deutschland hat 2024 mehr CO₂ eingespart, als es sich vorgenommen hat. | |
> Diesen Erfolg hat sich die Bundesregierung aber selbst hergebastelt. | |
Bild: Auch die Hochöfen in Deutschland sollen bald CO₂-neutral dampfen | |
Berlin taz | Deutschland hat sein selbst gestecktes Klimaziel für 2024 | |
erreicht: Im vergangenen Jahr wurden 18 Millionen Tonnen CO₂ weniger | |
ausgestoßen als im Vorjahr. Das ist ein Rückgang von drei Prozent und der | |
dritte Rückgang in Folge, wenn auch mit niedrigerem Tempo als in den | |
Vorjahren. Das meldet die Denkfabrik Agora Energiewende. Verglichen mit | |
1990 halbierte sich der CO₂-Ausstoß. | |
Dass Deutschland sein Klimaziel erfüllt hat, kann die Bundesregierung nur | |
behaupten, weil sie die verpflichtenden Jahresziele für einzelne Sektoren | |
in ihrem neuen Klimaschutzgesetz vergangenen Sommer abgeschafft hat. Denn | |
während der Stromsektor für 80 Prozent des Rückgangs der Emissionen | |
verantwortlich ist, wurden in den Sektoren Verkehr und Gebäude sowie in der | |
Industrie keine Fortschritte gemacht. Unter dem alten Klimaschutzgesetz | |
hätten die zuständigen Ministerien jetzt Sofortprogramme zur CO₂-Reduktion | |
vorlegen müssen. Das neue Gesetz [1][sieht das nicht mehr vor]. | |
Die CO₂-Einsparungen im Stromsektor lassen sich Agora Energiewende zufolge | |
vor allem darauf zurückführen, dass 2024 Kohlekraftwerke mit einer Leistung | |
von 6,1 Gigawatt stillgelegt wurden, etwa ein Sechstel der | |
Kohlestromkapazität. Ausgeglichen wurde das durch eine Rekorderzeugung der | |
Erneuerbaren, [2][die 55 Prozent des deutschen Bruttostromverbrauchs | |
lieferten], sowie durch gestiegene Stromimporte. Auch diese bestanden zur | |
Hälfte aus Ökostrom, ein Viertel war zudem CO₂-armer Atomstrom. | |
Agora-Chef Simon Müller lobt die Politik: Im Stromsektor zeigten die | |
Klimaschutzmaßnahmen der vergangenen Jahre immer stärker ihre Wirkung. | |
„Deutschland bereitet mit einem deutlichen Plus bei den erneuerbaren | |
Energien und der positiven Entwicklung beim Netzausbau den Weg für eine | |
erfolgreiche Transformation in allen Sektoren.“ Dabei profitiere die | |
Bundesrepublik zunehmend von günstigeren Börsenstrompreisen. | |
## Viele Rekorde im Stromsektor | |
Der Ausbau der erneuerbaren Energien läuft Agora Energiewende zufolge gut. | |
Der Ausbaurekord für Solarkraftwerke von 2023 wurde im vergangenen Jahr | |
[3][erneut übertroffen]. Zwar seien zu wenig neue Windräder aufgestellt | |
worden, dafür wurden 2024 aber neue Onshore-Windkraftanlagen mit einer | |
Leistung von 13 Gigawatt genehmigt. Das ist ein neuer Rekord und dreimal so | |
viel wie noch vor zwei Jahren. | |
Laut Simon Müller trübt sich das positive Bild vor allem in den Sektoren | |
Gebäude, Verkehr und Industrie: „Ein zentraler Grund für den Mangel an | |
strukturellem Klimaschutz in diesen Sektoren ist die Verunsicherung bei | |
Haushalten und Unternehmen. Diese führte zu einer allgemeinen | |
Investitionszurückhaltung – trotz 2024 insgesamt rückläufiger Stromkosten.… | |
Zum Beispiel wurde dem Agora-Bericht zufolge 2024 nur noch halb so viel in | |
Wärmepumpen investiert wie im Jahr zuvor, auch die Investitionen in die | |
energetische Sanierung von Häusern sei auf einem historischen Tiefstand. Im | |
Verkehrssektor gingen die Emissionen nur leicht zurück, vor allem wegen | |
weniger Lkw-Verkehr aufgrund der schlechten Wirtschaftslage. Der | |
Pkw-Verkehr nahm sogar noch leicht zu. | |
Während die Bundesregierung die jährlichen Ziele für Gebäude und Verkehr | |
abgeschafft hat, gibt es sie auf EU-Ebene noch. Agora Energiewende zufolge | |
verfehlt Deutschland diese Ziele um 12 Millionen Tonnen CO₂. | |
## Die Klimaziele zu verfehlen wird teuer | |
Bleibt Deutschland bis 2030 auf dem aktuellen Kurs, müsste der Bund einer | |
Studie des Umweltverbands Transport & Environment zufolge rund 16 | |
Milliarden Euro bezahlen. Denn wenn ein Land [4][nicht genug Treibhausgas | |
einspart], muss es Zertifikate von anderen EU-Staaten zukaufen. | |
Agora Energiewende fordert deshalb viel höhere Investitionen in Sanierungen | |
und klimaneutrales Heizen wie Wärmepumpen und erneuerbar erzeugte | |
Fernwärme. Im Verkehrssektor sollten Autos mit hohem CO₂-Verbrauch stärker | |
besteuert werden. Zudem fehle der Bundesregierung eine Strategie, wie der | |
ÖPNV ausgebaut, finanziert und preiswert gemacht werden kann. | |
Auffällig ist, dass die von Agora Energiewende berechneten CO₂-Emissionen | |
für 2024 wie schon öfter niedriger sind als vorausgesagt. Das | |
Umweltbundesamt hatte im März vergangenen Jahres 21 Millionen Tonnen CO₂ | |
mehr angenommen als nun tatsächlich ausgestoßen wurden. | |
Grund dafür ist laut Energiewirtschaftsexperten Manfred Fischedick vor | |
allem die schlechte Wirtschaftslage. In Deutschland „sind deutlich weniger | |
energie- und CO₂-intensive Grundstoffe wie Stahl, Zement und chemische | |
Grundstoffe produziert worden“. Darüber hinaus sei wegen der milden Winter | |
weniger geheizt worden. | |
7 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jonas Waack | |
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