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# taz.de -- Die Wahrheit: Tanz auf dem Vulkan, hicks!
> Im Strudel von Endzeit-Euphorie, Rausch und endgültigem Vergessen:
> Drogenumschlagplatz Nummer eins ist dieses Jahr der Weihnachtsmarkt.
Bild: Was riecht in der Vorweihnachtszeit stets nach Zimt, Gewürznelken und Kl…
Viele Standbetreiber spürten es bereits am ersten Tag. Als die
Weihnachtsmärkte zur Mitte des Wonnemonats November wiedereröffneten,
berichtet einer von ihnen, hätte da „so ein Gefühl“ vorgeherrscht, nach
langer Durstphase könnte dies möglicherweise ein überraschendes, vielleicht
sogar sensationelles Jahr für die Glühweinbranche werden.
Damit war freilich nicht zu rechnen; anfangs waren die Sorgen sehr groß.
Angesichts des Krisengeredes, der Inflation und der unvermeidlichen
Preissteigerungen auf durchschnittlich 4,50 Euro pro Tasse (plus Pfand)
hatten sich viele Marktleute auf sinkende Umsätze eingestellt oder von
vornherein ein katastrophales Verlustgeschäft befürchtet.
„Aber Pustebaumkuchen!“, freut sich zum Beispiel Standbetreiber Winnie
Pudelko aus Herne, der im siebten Jahr auf dem Essener Weihnachtsmarkt
Beschwipste ausnimmt. „Gleich ob Glühwein, Punsch, Glögg oder völlig
überteuerter Winzerglühwein in Rot, Rosé oder Weiß – die heiße Zuckerpl�…
wurde uns aus den steifen, kalten Händen gerissen und gierig in die Münder
und Hälse gekippt!“ Die Kundschaft habe zügig zugelangt und sich unentwegt
„einen nach dem anderen gegeben“, staunt Pudelko: „So wat hab ich nie zuv…
erlebt. Meine Kasse platzte. Die Blasen der Kundschaft ebenfalls!“
Auch an anderen Standorten wurde bald klar: Die Kunden schluckten,
stürzten, gurgelten ihre zucker- und alkoholhaltigen Heißgetränke mit dem
süßen Geruch von Zimt, Gewürznelken und Kloreiniger in einer Menge und
Geschwindigkeit runter, als gäbe es kein Morgen mehr. Das stimmte ja
verblüffenderweise auch, denn in den USA war Trump gerade wiedergewählt
worden und in Deutschland würde Merz im kommenden Frühjahr vermutlich
Regierungschef.
Je düsterer jedoch die Aussichten wurden, desto besser bekam das den Buden.
Jede neue Kabinettsnominierung eines Irren in Washington, jede neue
Wortmeldung von Kreaturen wie Jens Spahn oder Carsten Linnemann entfachte
weiteren Durst in den gepeinigten Seelen der Bundesbürger. Fast jede
klebrige Tasse, die über den Tresen ging, wurde inzwischen „mit Schuss“
geordert, also mit irgendeiner Spirituose versetzt.
## Grölend und torkelnd, ja ausgelassen die Stimmung
Und je gelöster, ja ausgelassener, grölender und torkelnder die Stimmung
schon am frühen Nachmittag sprudelte, desto mehr Weihnachtsmarktbesucher
wurden mitgerissen in den Strudel von Endzeit-Euphorie, Rausch und
endgültigem Vergessen. Vor allem der Pfandtassen!
Schnell und mächtig rollte die hochgesprittete Glühweinwelle deshalb durchs
gesamte Land. Ihr Motto lautete: „Tanz auf dem Vulkan, hicks!“ Vereinzelt
kam es zu Gewalttätigkeiten, nicht selten jedoch spien aufgepeitschte
Männerhorden und Kolleginnenkreise ihren hochprozentigen Verzehr direkt
hinter die Buden und zechten anschließend erbarmungslos weiter. Um den
Geruch von Erbrochenem zu vertreiben, versuchten manche Schausteller ihre
Weinzugabe zu drosseln und ihre allzu geistigen Getränke zu späterer Stunde
zu verdünnen.
Die enttäuschten Gäste zogen jedoch rauschlüstern weiter zu Ständen, die
ihre Gesöffe mit billigen Dessertweinen und Likören aus Lagerverkäufen
aufbrezelten und weiterhin für historisch zu nennende Rauschverläufe
bürgten.
Jetzt schlug die Stunde der Kreativen. „Allerorten wurde plötzlich
‚Glühwein Spezial‘ angeboten, mit einem Augenzwinkern zu bestellen“,
kichert Rene Viersson aus Braunschweig bekifft in sich hinein. Clevere
Standbesitzer würzten nämlich ihre ohnehin schon toxische Brühe auf einmal
mit Spezial-Ingredenzien, die wegen der leider nur temporären Hanffreigabe
demnächst wieder illegal würden. Für den Moment indes mit berauschendem
Erfolg! Die rotäugige Kundschaft dankte es den Anbietern der benachbarten
Imbisse mit Fressflashs allererster Kajüte und den Glühweinständen selber
mit einer wunderlichen Friedfertigkeit, die nur gelegentlich in leichte
Schläfrigkeit und plötzlichen Tiefschlaf umkippte.
Von diesem neuen Geschäft ermutigt, das die süchtige Kundschaft umso fester
an ihre Stände fesselte, versuchten es einige Halunken in den Folgetagen
mit allerlei anderen Stoffen. Von Stechapfel, Bilsenkraut und magischen
Pilzen bis hin zu synthetischen Opiaten reichte die Palette der
Wunderstoffe, die gegen einen satten Aufpreis in die Pfandtassen wanderten.
Binnen Tagen wurden Deutschlands Weihnachtsmärkte zu Europas größtem
Drogenumschlagplatz, ohne dass die Behörden etwas davon mitkriegten.
## Einfach zu große Gier
„Alles hätte so schön weitergehen können“, seufzt Bernhard Wickendiehl, …
auf dem Frankfurter Römer einen Stand und im Sommer Antiquitätenflohmärkte
betreibt. „Doch die Gier wurde einfach zu groß!“
Tatsächlich dämpfen äußerst beunruhigende Nachrichten die Laune der legalen
Alkoholdealer. „In Düsseldorf und München haben Standbesitzer offenbar ein
Zombie-Virus in ihre Glühweine gemischt, das im Darknet zufällig preiswert
zu erstehen war. An deren Ständen flogen die Fetzen, wenn Sie verstehen,
was ich meine“, sagt der Geschäftsmann empört. „Die Leute rissen sich
buchstäblich die Köpfe ab!“
Dass die grauenhaften Fälle nicht für mehr Aufsehen sorgten, hat nach
Meinung des Händlers damit zu tun, „dass den Leuten heute eigentlich alles
egal ist“. Wichtig ist nur, meint er, „dass es abwechselnd eine Gruppe von
Einheimischen und eine Gruppe von Zugewanderten erwischt, dann befehden
sich die Leute in gegenseitigen Shitstorms, und die Weihnachtsmärkte haben
bislang ihre Ruhe.“
Sein Tipp zum Schutz gegen Infektionen mit dem Zombie-Virus: „Achten Sie in
den kommenden Tagen darauf: Wenn neben Ihnen am Glühweinstand supereklige
Typen mit Mundgeruch wie Leichen stehen, die unverständliches Zeug
brabbeln, ist alles ganz normal. Wenn den Typen aber lauter Körperteile
abfallen, aus denen Glühwein sprudelt, während sie Sie zu beißen versuchen,
sollten Sie besser stiften gehen!“
17 Dec 2024
## AUTOREN
Mark-Stefan Tietze
## TAGS
Weihnachtsmärkte
Die Wahrheit
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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