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# taz.de -- Die Wahrheit: Goldene, güldene und goldige Zeiten
> Ausgerechnet unter dem Kryptowährungsfan Donald Trump droht der Welt die
> Rückkehr zu edelmetallharten Epochen. Ein wahrer historischer Überblick.
Am Inaugurationstag versprach der frisch vereidigte US-Präsident seinem
Land nichts weniger, als dass sein Amtsantritt ein Goldenes Zeitalter
einläute. Doch was genau meinte Trump mit dieser glamourösen Anspielung?
Was eigentlich ist ein Goldenes Zeitalter? Wie unterscheidet es sich von
Zeitaltern aus Silber, Mangan oder Blei, und wie erkennt man billige
Fälschungen aus Milchschokolade oder Kaubonbon?
In der griechischen Mythologie, auf die sich der gewitzte Staatenlenker
beruft, gilt das Goldene Zeitalter als paradiesischer Urzustand, der schon
in uralten Schriften besungen wird. Mnemonit der Ältere beschreibt es in
einer seiner Chroniken anschaulich als „Zeit des allumfassenden Segens,
lange bevor das Sein die große kosmologische Rutsche hinabgleiten musste
und sich den Kopf anstieß“. In diesem Zustand, einem 1a-Top-Zustand
übrigens, jederzeit gerne wieder, meint der Chronist, befand sich die Welt
nach der Schöpfung durch Götterväter und -mütter sowie Titanen, die alles
gefällig und rundum wohl eingerichtet hatten. Doch diese frühzeitliche
Idylle, in der für die Ureinwohnerschaft des Planeten aufs Beste gesorgt
war, sollte nicht von Dauer bleiben.
Einige Heroen nämlich, Heldengestalten mit ausuferndem Ego, waren mit dem
ihnen zugewiesenen Platz nicht zufrieden. Sie migrierten rund um die Welt,
forderten Halbgötter heraus und legten sich mit den Ungetümen an, die ihnen
auf ihren verschlungenen Irrwegen im Wege standen. Andere, eher
Geisteshelden, dachten so intensiv über alles nach, dass sie dabei
versehentlich die Philosophie, die Kartografie und den Ziplock erfanden. Am
Ende standen jedenfalls die Zivilisation und das Steuerwesen. Der Abstieg
in jene Zeitalter begann, die nach minderwertigeren Metallen benannt zu
werden verdienten, zum Beispiel dem Warzenblech.
In diesen Spannen, die teils ganze Äonen umfassten, verfeinerte die
Erdbevölkerung ihre Sitten. Sie erfand den Webstuhl, entdeckte vier der
fünf Grundrechenarten, blickte stoisch Weltreichen beim Werden und Vergehen
zu. Hin und wieder flackerte noch die Schnapsidee von einem Goldenen
Zeitalter durch verwirrte Gemüter, doch langanhaltende Gemütlichkeit blieb
Trumpf. Als Motto stand über allem: Reisende soll man nicht aufhalten,
schon gar nicht, wenn sie in weite Ferne davonsegelten oder ihren letzten
Gang zum Scheiterhaufen antraten.
## Abenteuer Gewürz
Nach und nach kehrte der eine oder andere Abenteurer zurück, brachte
Pfeffer heim, Tomaten oder Gold, was letztlich die Sehnsucht nach dem
Edelmetall nährte und ein Comeback ankündigte. Die Chilischote machte
freilich der heimischen Gewürzindustrie zu schaffen, einzig das Maggikraut
konnte seine vormalige Stellung behaupten; Bohnenkraut, Kerbel und
Wacholderbeeren zogen sich zeitweise aus den Märkten zurück, vor allem
unter der Woche. Schließlich starb das Mittelalter aus und wurde ein paar
Generationen später zum neuen Hype unter rechtsgerichteten Raubrittern und
dunklen Magiern, die in späteren Zeiten Mittelaltermärkte und verrückte
Dorfturniere veran- und verunstalten sollten.
In der Renaissance dann, als weltweit die Universitäten gegründet wurden,
erlebte der Mythos vom Goldenen Zeitalter eine, äh – also eine
Wiederbelebung gewissermaßen. Nun stand es auf einmal für freie Liebe,
Polyamorie, Friends-with-benefits und Netflix-and-chill. Poeten und
Professoren schwärmten gemeinsam von den Vorzügen einer Rückkehr zur puren
Natur, Schafe hüten im Adam-und-Eva-Kostüm wurde das große Ding. Die
Menschheit, die sich gerade erst an Wäschewaschen und Bügeln gewöhnt hatte,
war bass erstaunt, dass sie die Kleidungsstücke gleich wieder ablegen und
frei drauflosficken sollte.
## Unappetitlicher Reichtum
Konjunkturell bedingt folgten züchtigere Zeiten. Allerorten wurden
plötzlich Krinolinen, Zylinder und Sportunterwäsche getragen. Im
Hintergrund wurden die ersten Fabriken gezimmert. Während in den Kolonien
Reichtümer eingesammelt wurden, nahm doch manch ein Kolonialherr ungesunde
Usancen aus seiner tropischen Umgebung mit nach Hause: zum Beispiel die
gewohnte Dienerschaft, suchterzeugenden Kaffee, der als „flüssiges Gold“
bekannt wurde, oder exotische Krankheiten. Mit dem Sklavenhandel schwappten
erste Wellen von Fremdenfeindlichkeit über die Weltmeere.
Trumps Hauptaugenmerk liegt allerdings woanders: In den Vereinigten Staaten
von Amerika bezeichnet der Begriff des Goldenen Zeitalters die Jahre
zwischen 1880 und dem Beginn des 20. Jahrhunderts – eine Ära, die,
Historikern einer bekannten Enzyklopädie zufolge, von „materialistischen
Exzessen und weit verbreiteter politischer Korruption gekennzeichnet“ war.
Die zweideutige Botschaft des Präsidenten lautet: Wer sich eine Rückkehr in
solche Zeiten nicht wünscht, hat nur nicht genug Geld!
All den Ansätzen zum Goldenen Zeitalter gemein ist nämlich, dass sie die
Zivilisation verdammen und den wildwüchsigen Naturzustand feiern. Nur auf
den ersten Blick widersprüchlich erscheint es, dass diejenigen, die sich in
eine rohe, ursprüngliche Welt voller Schlamm und Urbrühe zurückwünschen,
nicht einmal zum Brötchenholen das Haus verlassen können, ohne sich vorher
tüchtig aufgetakelt und einparfümiert zu haben. Das ist aber egal
beziehungsweise war ohnehin nicht so gemeint. Letztlich wollen die
Goldgräber einfach nur die Sau rauslassen können, ganz gleich, in welches
Kostüm sie sich geworfen und welchen Duft sie aufgelegt haben. Sie sind der
Ansicht, die Sau schon viel zu lange drinnen gelassen zu haben, in ihren
Seelen, Häusern und gepanzerten Vehikeln. Ihr höflicher Vorschlag zur Güte:
Das Recht des Stärkeren soll zum Gewohnheitsrecht werden.
Ob das alles tatsächlich in Klimakatastrophe, Weltkrieg und einer neuen,
verbesserten Rezeptur für Coca-Cola enden muss? Experten sagen ja, es muss.
Dieses Goldene Zeitalter darf keinen Rost ansetzen.
1 Feb 2025
## AUTOREN
Mark-Stefan Tietze
## TAGS
Gold
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