| # taz.de -- Die Wahrheit: Normschöne Dominanz disruptiv zerstört | |
| > Wahrheit exklusiv: Hier kommen die Frühjahrsbeautytrends für alle! | |
| > Mitmachen können selbst Uglies, Normalos und Nichtbesondere … | |
| Der Frühling ist die Zeit des Erwachens. Manipuliert von volkstümlich | |
| auftretenden Modemilliardären wie Hennes, Mauritz, Peek und Cloppenburg | |
| schubst das Volk die hochnäsigen Eliten vom Laufsteg. Pünktlich zum | |
| einkehrenden Lenz ist das nicht weniger als die Jahreszeitenwende: | |
| Disruption rules! | |
| In die Modewelt drängt es nun Leute wie dich und mich, graue Mäuse, die | |
| nach nichts Besonderem aussehen, unterstützt von Influencern aus allen drei | |
| Ecken des Beauty-Spektrums. Die schönsten Trends zum Nachshoppen haben wir | |
| schon mal vorgeshoppt, dabei wurden keine Kosten gescheut außer für | |
| Fanta-Schampus. | |
| Zum Ersten: Alles, was an unsere geliebte Kindheit erinnert, hat bei uns | |
| von vornherein einen Stein im Brett. Zu den beliebtesten Frühjahrsoutfits | |
| zählen jetzt Wickeljäckchen, Strampler oder Windeln, alle in peinlichen | |
| Retromustern – es kann nicht tief genug in die persönliche Vergangenheit | |
| gehen. Wer im Babyschlafsack aufkreuzt, wenn um festliche Garderobe gebeten | |
| wird, hat den (schrägen) Vogel abgeschossen und kriegt eventuell eine | |
| Rassel oder einen Schnulli! | |
| Zu dieser Gewandung trägt man Accessoires in Gestalt und nach dem Rezept | |
| von Retro-Süßigkeiten. Sie nähren die Sehnsucht nach der guten alten Zeit | |
| und verzaubern auch jenseits der Spielplätze alle Generationen, zum | |
| Beispiel mit prickelndem Knisterpulver, Gummibärchen oder Nappos. Rührend | |
| auch, wenn man das Naschwerk im Club um den Hals, an den Handgelenken und | |
| Knöcheln präsentieren und sofort verzehren kann. Vor allem: süüüüß! | |
| Apropos Stein im Brett: Für richtig ungesunde und unangenehme Nächte sorgt | |
| bei immer mehr Fashionistas der Stein im Bett! Dieser Weg durch die | |
| nächtliche Dunkelheit ist für die meisten Fahionistas ein steiniger. Er tut | |
| weh, strapaziert den Rücken und plagt, bis der Notarzt kommt. | |
| Kassenpatienten müssen leider selber zahlen. Von Kiesel- bis Wacker- und | |
| Nierenstein: Ächzen und Stöhnen bis zum Morgengrauen ist jedenfalls Pflicht | |
| und zudem der letzte Schrei – vor Schmerz. | |
| Angesichts der vielfältigen Bedrohungen unserer liberalen Gesellschaft sind | |
| Privatsphäre und Freiräume begehrter denn je. Hochgewichtige Personen | |
| wollen sich aber nicht länger zu Hause verstecken! Zur nötigen Luft um den | |
| Körper verhelfen Maler-Overalls in XXL, Jogginganzüge aus Ballonseide und | |
| voluminöse Ponchos in großzügigen Schnitten. Belegt man diese zum zweiten | |
| Frühstück mit ein paar Scheiben Prosciutto crudo, Emmentaler und | |
| Gewürzgürkchen, ist auch für das leibliche Wohl gesorgt – Bodyshaming ade, | |
| nun aber endgültig! | |
| Viele Couturiers ziehen ihre Inspiration diese Saison allerdings aus der | |
| stürmischen Seefahrt. Über den Catwalk paddeln Models in Matrosenleibchen, | |
| Wathosen und Südwestern: Aus der Ferne tönt ein Lied, das nach Sehnsucht | |
| und Salzwasser schmeckt. Dazu wird eine Buddel voll Rum gereicht, Piraten | |
| erobern die Welt im Wirbelsturm und plündern uns bis auf die Knochen aus. | |
| Statt Sonnenbrillen trägt man deshalb zwei Augenklappen, statt Budapestern | |
| Holzbeine. Alles in allem ein Look, der hängen bleibt – dank Enterhaken! | |
| Die Jugend in ihrem Leichtsinn gibt sich weiterhin unberechenbar und | |
| ironisch wie eh und je. Sie erkundet sorgsam die Grenzen der Eighties, um | |
| sie genüßlich auszudehnen. Händeringend kämpft sie mit Farben, die bei | |
| allen bisherigen Revivals mit Bedacht ausgelassen wurden: Rosé- und | |
| Bleutöne beherrschen die Jugendtreffs, ergänzt um Kopftücher und Broschen | |
| in Chinakohlgrün, Blassgelb und Zartviolett. | |
| ## La-lü-la-lü! La-lü-la-lü! | |
| Auch auf der anderen Seite ändert sich der Frontverlauf: Die Ü50-Modeopfer | |
| treten immer greller und grotesker auf, greifen auch bei Karohemden und | |
| Blousons ausschließlich zu Neon- und Signalfarben, damit man ihnen beherzt | |
| aus dem Weg gehen kann. Mutige setzen sich ein Blaulicht auf den Kopf und | |
| betätigen ihr Martinshorn. Auf geht’s: La-lü-la-lü! La-lü-la-lü! | |
| Verkehrte Welt also, wo man auch hinschaut: Verkehrte Modewelt nämlich. | |
| Business-Mode wird deshalb in dieser Saison neu definiert, und zwar als | |
| Freizeitmode. In den Einkaufszonen lungern die Talahons in ihrem steifen | |
| Dreiteilern herum, wedeln mit ihren Aktentaschen und fühlen sich steif und | |
| unbehaglich. Umgekehrt geht’s natürlich auch: Jetzt wird in Shorts, Bikini | |
| und Badeschlappen in die Vorstandsetage spaziert. Jeder Tag ist Casual | |
| Friday, auch in Banken und Versicherungen. Alle Verbindlichkeit schwindet | |
| dahin. Schön ist anders – aber anders ist schön! | |
| Der Befreiungsschlag gegen linksextreme Verkopftheit und abgehobene | |
| Utopien: Modeskizzen und Schnittmuster werden gesetzlich verboten, | |
| Änderungsschneidereien vorläufig geschlossen. Ab jetzt wird aus dem Bauch | |
| heraus genäht. Grundsätzlich gilt jedoch: Grün hat auf lange Sicht gesiegt. | |
| Die Kollektionen werden sanfter, ökologischer, denken auch mal an morgen. | |
| Dazu werden Putzlumpen aus dem Küchenschrank geholt und in den begehbaren | |
| Wandschrank zurückgehängt. Nachhaltigkeit fetzt! Klamotten aus Tissue, | |
| Küchen- und Toilettenpapier wandern daher nach dem Tragen nicht in die | |
| Waschmaschine, sondern gleich ins Klo. | |
| ## Hippietrend à la Woodstock | |
| Überhaupt: In Vorbereitung auf den Sommer greift ein Hippietrend à la | |
| Woodstock. Die Klamotten kommen komplett runter, nicht nur in den | |
| Ostseebädern: Die High Society wirft sich ins Adam-und-Eva-Kostüm, der | |
| Kaiser ist nackt. Im Herbst heißt es deshalb: warm anziehen! Lassen wir uns | |
| überraschen, was danach überhaupt noch kommen kann – vielleicht | |
| Unsichtbarkeitsumhänge und Tarnkappen? Statement Piece des Jahres sind | |
| indes Wendejacken, in den USA selbstverständlich Zwangsjacken. | |
| Doch bei aller Disruption, eines kommt nie aus der Mode: gesundes und | |
| gepflegtes Haar! Immer attraktiver werden über das Restjahr hinweg Frisuren | |
| in den verschiedenen Schattierungen von Grau – zwischen Mehlgrau und Light | |
| Anthracite liegen unendlich viele Nuancen. Dafür bürgen allein schon | |
| Demoskopie und natürliche Verfallsprozesse. Bei besonders Wagemutigen wird | |
| freilich noch ein Gang zugelegt. Die einen reißen sich ihre Haare einzeln | |
| aus und lassen sie von anderen tragen, die anderen zurren ihre Haare mit | |
| aller Gewalt zu Zöpfen und Pferdeschwänzen – spannend. Vor allem für die | |
| Kopfhaut! | |
| 15 Mar 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Mark-Stefan Tietze | |
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