# taz.de -- Neonazi-Prozess in Berlin: Wegen Brandstiftungen verurteilt | |
> Fast sieben Jahre nach zwei Brandstiftungen fällt im Neuköllner | |
> Neonazi-Prozess endlich das Urteil. Die Angeklagten sind schuldig. | |
Bild: Der Berliner Linken-Politiker und Nebenkläger Ferat Kocak am Donnerstag … | |
Berlin taz | Ob das Gericht „noch mehr an Geständnissen“ brauche, fragte | |
Lukas Theune, Anwalt des Nebenklägers Ferat Koçak, in seinem | |
Abschlussplädoyer am Donnerstag beim [1][Neuköllner Neonazi-Prozess vor dem | |
Landgericht]. Zuvor hatte er ein halbes Dutzend Äußerungen der Angeklagten | |
Tilo P. und Sebastian T. vorgetragen, in denen sie sich innerhalb der | |
vergangenen Jahre gegenüber Polizisten, Partnerinnen, Mithäftlingen oder | |
untereinander zu den Brandstiftungen an den Autos des Linken-Politikers | |
Koçak und des Buchhändlers Heinz Ostermann bekennen. | |
Theune verwies auf eine abgehörte Aussage, in der P. zu T. gesagt habe, es | |
gebe wohl Zeugen, die gesehen haben „als du dit Auto angezündet hast“. | |
Exemplarisch war bereits die Staatsanwaltschaft auf eine spontane Aussage | |
von Tilo P. gegenüber einem Ermittler eingegangen: „Wir wissen doch alle, | |
wer die Autos anzündet. Ich weiß es, du weißt es, jeder weiß es. Aber man | |
kann es T. einfach nicht nachweisen.“ Er selbst habe, so erzählte P. es | |
einem Kameraden bei anderer Gelegenheit, „nur Schmiere“ gestanden. | |
Für Theune stand fest: „So kompliziert, wie es immer dargestellt wird, ist | |
die Beweislage nicht.“ Im Gegenteil: Es gebe keine andere Erklärung, als | |
dass jene Nazis, die sich ein Jahr lang mit Koçak beschäftigten, zwei | |
Wochen vor dem Anschlag dessen Kfz-Zeichen und Wohnanschrift ausspioniert | |
hatten, eine Woche später dann die Adresse bei Google Maps unter die Lupe | |
nahmen, schlussendlich auch die Tat begangen; in derselben Nacht, in der | |
sie auch das Auto von Ostermann angesteckt hatten. | |
Die Prophezeiung von Tilo P. aber bewahrheitete sich nicht. Die Vorsitzende | |
Richterin in dem Berufungsprozess verwarf den Urteilsspruch des | |
Amtsgerichts, das in der ersten Instanz keine ausreichenden Beweise für die | |
beiden Brandstiftungen erkennen konnte. Stattdessen verurteilte das Gericht | |
nun die beiden Neonazis für beide Brandstiftungen, [2][auch ohne | |
ultimativen Beweis, wie einen Fingerabdruck oder einer DNA-Spur]. | |
Die beiden Neonazis wurden außerdem wegen gemeinsam begangener | |
Sachbeschädigungen und Propagandadelikten verurteilt, T. auch wegen | |
Coronabetrug. Für T. verhängte das Gericht eine Gesamtstrafe von 3 Jahren | |
und 6 Monaten. P. erhielt eine Gefängnisstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten. | |
In ihrer Begründung sagte die Richterin, sie habe „keinerlei Zweifel“, dass | |
die „beiden Angeklagten die Taten so begangen“ haben. Als strafmildernd | |
wertete sie, dass sie inzwischen fast sieben Jahre zurückliegen. | |
Haftbefehle wurden nicht erlassen. P. habe einen Teil der Strafe bereits | |
verbüßt. Eine Revision gegen das Urteil ist möglich. | |
## Kocak: Anschlag bestimmt sein Leben | |
Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem fast dreistündigen Plädoyer dafür | |
argumentiert, die Angeklagten wegen der Brandstiftungen zu verurteilen und | |
Haftstrafen von 4 Jahren sowie 3 Jahren und 7 Monaten gefordert. Die | |
Täterschaft eines anderen, dritten Täters sei eine „rein theoretische | |
Möglichkeit“, so die Oberstaatsanwältin. Dagegen hatten die 3 Verteidiger | |
von T. und P. einen umfassenden Freispruch gefordert. Das Ausspähen allein | |
sei kein Beweis für die Begehung der Tat, so die Argumentation. | |
Fast 7 Jahre nach der Tat trat auch Koçak noch einmal vor Gericht auf. | |
[3][Die damalige Nacht bestimme sein Leben bis heute], sagte Koçak unter | |
Tränen. „Wäre ich einige Minuten später aufgewacht, hätten es meine Eltern | |
nicht aus dem Haus geschafft, sie wären gestorben, wie die Gastarbeiter in | |
Mölln oder Solingen“, so Koçak, der aus einer kurdisch-alevitischen Familie | |
stammt. Für immer habe er Angst um seine Eltern. Der Anschlagsserie werden | |
mehr als 70 Straftaten, darunter 23 Brandstiftungen zugerechnet. | |
Vor dem Gerichtsgebäude in Moabit wartete eine antifaschistische Kundgebung | |
auf das Urteil. Dort sprach auch der Buchhändler Heinz Ostermann, der sich | |
bestürzt über die aggressive Verteidigungsstrategie der Anwälte der | |
Neonazis zeigte, die während der Beweisaufnahme auch ihn und Koçak in die | |
Mangel genommen hatten. Er kritisierte, dass die Mehrheit der Anschläge | |
unaufgeklärt und ungesühnt bleibe. | |
Lukas Theune verwies hier noch einmal auf die Verdachtsfälle von | |
Verwicklungen der Sicherheitsbehörden mit den Neonazis, etwa einem | |
ehemaligen Oberstaatsanwalt, der in der Zeugenbefragung eines Angeklagten | |
angedeutet haben soll, [4][der AfD nahezustehen]. Positiv sei hingegen, | |
dass die Anschlagsserie zu Ende gegangen sei. Dies sei alleiniger Verdienst | |
von engagierten Antifaschist:innen. | |
12 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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