# taz.de -- St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin: Der Zen-Kult der Wohlstandsbürger | |
> Die Sanierung der St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin wurde nach Jahren | |
> abgeschlossen. Das Ergebnis ist ein schönes, weißes, alles | |
> verschluckendes Nichts. | |
Bild: Johannes Calvin wäre begeistert gewesen von dem Raum, wie er jetzt umges… | |
Das hat Seltenheitswert: In der neu gestalteten Berliner St. | |
Hedwigs-Kathedrale, die am Sonntag mit großem Festgottesdienst übergeben | |
wurde, gibt es kein großes Kreuz. Nur kleinste Kreuzchen mit Apostelnamen | |
zwischen den Sälen und ein Vortragekreuz für den Erzbischof. Nicht einmal | |
auf dem Altar steht dies wichtigste Symbol des Christentums – der sei, | |
heißt es, ja selbst schon ein Zeichen des Opfertods Christi. | |
Nicht nur mit dieser Entscheidung verabschieden sich das Erzbistum und | |
seine Gremien, die in einem Wettbewerb ausgesuchten Architekten Sichau & | |
Walter und der Kirchenkünstler Leo Zogmayer radikal von der kirchlichen | |
Tradition. Richtungslos steht der runde Altar im Zentrum eines strikt | |
kreisrund organisierten Grundrisses, über ihm wölbt sich die Decke als | |
abstrakte Halbkugel. Eigens um das zu erreichen, wurde unter das steiler | |
gewölbte Kuppeldach der 1950er Jahre eine zweite Kuppelschale eingefügt. | |
Das ästhetische Vorbild ist das Pantheon in Rom, jener antike Tempel aller | |
Götter, der seit 609 als Märtyrerkirche dient. | |
Beherrscht wird der Raum von Weißtönen, die selbst das Silber der neu | |
gestalteten Orgel und das mattbläulich durch die neuen Fenster einfallende | |
Licht überstrahlen. Angeblich sollen die Punkte im Glas den Himmel Berlins | |
im Jahr null der christlichen Zeitrechnung zeigen. Nach welchem Kalender, | |
fragt man sich angesichts dieser irrationalen Esoterik. | |
Aus den freundlich gerundeten, konischen Säulen des Nachkriegswiederaufbaus | |
nach Plänen von Hans Schwippert wurden straffe weiße Rundpfeiler, der | |
vielfarbig schimmernde Marmorboden wich einheitlich matten | |
Kalksteinplatten. Nur zwei spätgotische Skulpturen – ein Heiliger Petrus | |
und eine wirklich phänomenale Marienstatue – sowie das von Hubertus Förster | |
und Fritz Schwerdt aus Aachen 1963 geschaffene goldene Tabernakel für die | |
Hostien sind winzige Farbtupfer. Der von einem bilderfeindlichen, | |
antikatholischen Furor getriebene Reformator Johannes Calvin wäre | |
begeistert von diesem Raum gewesen. | |
## Kardinal Woelkis eigene Erinnerungsarbeit | |
Radikale Umgestaltungen von Kirchenräumen waren historisch nicht selten, so | |
manche mittelalterliche Kirche erhielt im 18. Jahrhundert eine vollständig | |
neue barocke Fassung. Aber besonders seit der Katastrophe der Nazizeit | |
entstand auch ein neues Bewusstsein für die gesellschaftliche Bedeutung | |
materiell fassbarer Erinnerung. In der Berliner St. Hedwigs-Kathedrale aber | |
wurde die eigene Geschichte jetzt radikal abgelehnt, verworfen, zerstört. | |
Obwohl dieser Innenraum ja nicht durch Brand oder Krieg beschädigt war, | |
sondern 2013, als unter dem damaligen Berliner [1][Erzbischof Kardinal | |
Woelki] die Planungen begannen, eine Sanierung, vielleicht Anpassung der in | |
die Jahre gekommenen Ausstattung völlig ausgereicht hätte. | |
Im Jahr 1747 ließ Friedrich II. die erste katholische Kirche in Berlin seit | |
der Reformation bauen, um den katholischen [2][Adel des ruchlos eroberten | |
Schlesiens zu befrieden]. Diese oft umgebaute Kirche fiel am 1. März 1943 | |
den Bomben zum Opfer. 1952 begann der Wiederaufbau nach den Plänen des | |
rheinischen Architekten Hans Schwippert, der kurz vorher in Bonn das | |
„Bundeshaus“ für den westdeutschen Bundestag entworfen hatte. Bischof | |
Wilhelm Weskamm, seit 1951 in Berlin amtierend, bestritt mit der Wahl | |
gerade dieses Architekten auch den nationalen Herrschaftsanspruch der | |
damals sehr stalinistischen SED. 1963 wurde der neue Innenraum übergeben. | |
Der Bau wurde zu einem deutsch-deutschen Gesamtprojekt. Mit dem für den | |
rheinischen Katholizismus der Zeit charakteristisch frischen Blau und | |
Grünblau, heiter schimmernd eingelegten Wanddekors, sattroten oder | |
schillernd grauen Steinen, mattweißen und goldenen Ausstattungen. Das | |
Altarkreuz kam von Schwerdt und Förster aus Aachen, Kurt Schwippert schuf | |
das Kruzifixus darauf, [3][Bauhäuslerin] Margaretha Reichardt aus Erfurt | |
Wandteppiche. | |
Aus Bonn kam in den 1970ern die postmodern dekorative Orgel der Firma | |
Klais, das Kreuz auf der Kuppel und die Gitter im Inneren der Oberkirche | |
entwarf der wohl bedeutendste Metallbildhauer der DDR, Fritz Kühn. Breit | |
öffnete sich im Zentrum des Raums die Treppe zwischen ihr, in der der | |
katholischen Märtyrer in der Nazizeit gedacht wurde, und der Oberkirche. | |
Dieser Innenraum war das wichtige Kunstdenkmal eines widerständigen, | |
selbstbewussten Katholizismus nicht „im Sozialismus“, wie viele | |
evangelische Landeskirchen, sondern neben dem und sogar gegen den | |
Sozialismus. | |
Trotzdem hatte Schwipperts Raumgestaltung auch Kritiker. Vor allem die | |
schlüsselförmige Bodenöffnung sorgte für Ärger: Organisten und Chor müsst… | |
in ein dunkles Loch hineinsingen. Und das Erzbistum war unter Erzbischof | |
Kardinal Woelki um 2010 der Meinung: Man brauche eine | |
„Haupstadt-Kathedrale“. Dazu kam die Notwendigkeit, den Bau und seine | |
veraltete Ausstattung zu sanieren. Deswegen und dank des Einsatzes der | |
damaligen Kulturstaatsministerin Monika Grütters trugen der Bund zwölf | |
Millionen Euro und Berlin acht Millionen Euro zu der Neugestaltung bei, | |
zehn Millionen kamen von den deutschen Bistümern. | |
## Eine regelrechte Widerstandsbewegung in der Gemeinde | |
Aber das 44-Millionen-Projekt des Erzbistums stieß nach dem Wettbewerbssieg | |
von Sichau & Walter 2014 auf erbitterten Widerstand. Sämtliche | |
Denkmalpflegegremien in Berlin, Architektur- und Kirchenhistoriker | |
verwarfen das Projekt. Auch in der Gemeinde entstand eine regelrechte | |
Widerstandsbewegung, die daran erinnerte, dass diese Kirche nicht nur dem | |
Bistum, sondern auch den Gläubigen gehöre. Dennoch gab zuletzt sogar | |
Kultursenator Klaus Lederer die Genehmigung, wagte wohl nicht den Prozess | |
gegen ein Erzbistum, das von Beginn der Planungen an keinerlei Kompromisse | |
suchte. Es ist eine Niederlage der Berliner Denkmalpflege. | |
Und so ist nicht einmal die neapolitanische Weihnachtskrippe aus dem 18. | |
Jahrhundert dem Neugestaltungsfuror entgangen: Ihre hinreißend kitschigen | |
Figürchen stehen nun in einer kargen Vitrine wie ein abstraktes | |
Ballett-Modell, vor grauer Wand und auf grauem Boden. | |
Das Ziel des Erzbistums, eine neue Kathedrale nach aktueller Mode zu | |
erhalten, ist erreicht worden. Denn diese hochästhetisierende Kargheit | |
erinnert doch sehr an den Zen-Kult von Wohlstandsbürgern um 2000. Aber | |
diese Gestaltung zeigt eben auch eine Idee von Katholizismus, der sich von | |
seiner Geschichte befreien will, von der Erinnerung an die anhaltende | |
Diskriminierung von Frauen und sexuell definierten Minderheiten, an seine | |
trübe Rolle im Kolonialismus und [4][in der Nazizeit], an Gewalt [5][und | |
Missbrauch]. | |
Dabei ist, da muss man dem gewesenen Kardinal Ratzinger und Papst Benedict | |
XVI. mal recht geben, gerade das Bewusstsein für die eigene historische | |
Bedingtheit ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal des modernen Katholizismus | |
zu seinen evangelischen und evangelikalen Konkurrenten. Hier aber wird über | |
den Umweg Ästhetisierung behauptet, als gäbe es keine Last, die nicht in | |
der Krypta zu verstauen wäre. | |
29 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Nikolaus Bernau | |
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