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# taz.de -- Gewaltvorwürfe im Handball: Aufarbeitung, irgendwann, vielleicht
> Ein Gericht untersagt dem Deutschen Handballbund die externe Aufarbeitung
> der Vorwürfe von Spielerinnen gegen Trainer André Fuhr. Was bedeutet das?
Bild: Unklare Lage: Um den Schutz von Sportlerinnen und Sportlern vor Gewalt je…
„Einen vergleichbaren Fall kenne ich nicht“, sagt Angela Marquardt. Bei der
Aufarbeitung von sexueller Gewalt in der Kirche hätte es bekanntermaßen
Versuche gegeben, die Veröffentlichung von Abschlussberichten per Klage zu
verhindern, aber sie wüsste von keinem Beispiel, bei dem die Aufarbeitung
selbst juristisch gestoppt worden wäre.
So geschehen ist das gerade [1][im Zusammenhang mit den Vorwürfen], die
etwa 50 Handballspielerinnen gegen den Trainer André Fuhr erheben. Seit gut
zwei Jahren ist der Fall in der Öffentlichkeit. Vor allem von massiver
psychischer Gewalt ist die Rede. Das Landgericht Dortmund bestätigte am 15.
November die einstweilige Verfügung des Oberlandesgerichts Hamm vom Juli,
wonach die vom Deutschen Handballbund (DHB) eingesetzte unabhängige
Kommission zur Aufarbeitung und Prävention von Gewalt ihre Arbeit, die sie
im März 2023 aufnahm, beenden muss. Der DHB hatte Widerspruch eingelegt.
Es wäre „dramatisch“, sagt [2][Marquardt, die Mitglied dieser Kommission
ist,] sollte sich diese Rechtsprechung durchsetzen und Betroffenen damit
die Chance auf zeitnahe Aufarbeitung genommen werden. Der DHB muss sich nun
innerhalb einer vierwöchigen Frist entscheiden, ob er gegen das Urteil des
Dortmunder Landgerichts in Berufung geht. Gegenwärtig, erklärt der DHB,
wolle man sich zu dieser Angelegenheit nicht äußern.
Die Aufarbeitungskommission hat dagegen vergangenen Dienstag [3][mit einer
Presseerklärung] Alarm geschlagen. Der Wunsch an den DHB, das Urteil
anzufechten, wird darin ausdrücklich hinterlegt. Der Ernst der Lage wird so
beschrieben: „Nach diesem Urteil stehen zukünftige Aufarbeitungsprozesse im
Sport nun auf extrem wackeligen Beinen, auch wenn das Gericht von einer
Einzelfallentscheidung spricht.“
## Missverstandene Arbeit
Tatsächlich fällt die Begründung so allgemein aus, dass sich alle
Sportverbände angesprochen fühlen können. Die Satzung des DHB, erklärte das
Dortmunder Landesgericht, sehe die Einsetzung einer externen Kommission gar
nicht vor. Der DHB müsse erst ein internes satzungsgemäßes Verfahren nach
seiner Trainerordnung durchführen. Erst dann könnte eine
Aufarbeitungskommission zum Einsatz kommen. Im Gerichtsentscheid vom Juli
heißt es, Fuhr müsse es nicht hinnehmen, dass eine „unabhängige Kommission
im Verborgenen Ermittlungen gegen ihn führt“.
Diese fühlt sich in ihrer Arbeit vom Gericht gründlich missverstanden. Bei
der Aufarbeitung, heißt es in der Presseerklärung, gehe es um die
Identifizierung von Strukturen und Mechanismen, die Gewalt begünstigten. Es
kämen dabei auch Betroffene zu Wort, deren Geschichten aus
verbandsjuristischer Sicht längst verjährt seien. Im Handball liegt die
Frist bei vier Jahren.
Ein internes Verbandsverfahren habe dagegen nicht eine Fehleranalyse zum
Ziel, sondern sei auf eine mögliche Sanktionierung ausgerichtet. „Durch das
Urteil wird somit in der aktuellen Situation ein ganzheitlicher Prozess
verhindert, der dem Schutz vor Gewalt und Grenzverletzungen in
Sportverbänden und -vereinen gedient hätte.“
Beistand für diese Position gibt es auch von juristischer Seite. Jan F.
Orth, Professor für Strafrecht und Sportrecht an der Universität zu Köln,
hatte bereits nach dem Urteil des Oberlandesgerichts in Hamm der FAZ
gesagt: „Das Gericht hat sich meines Erachtens zu wenig mit dem
eigentlichen Auftrag von Aufarbeitungskommissionen und dieser konkreten
Aufarbeitungskommission auseinandergesetzt. Aufarbeitungskommissionen – wie
auch diese im Handball – haben eben keinen Sanktionsauftrag.“ Zudem
berechtige die Verbandsautonomie den DHB sehr wohl dazu, eine
Aufarbeitungskommission zu berufen.
## Paradoxe Situation
Marquardt, die seit 2020 dem Betroffenenrat der unabhängigen Beauftragten
für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) der Bundesregierung
angehört, beobachtet nun aufgrund des in Dortmund bestätigten Urteils eine
„Unruhe im gesamten Sport“ und sagt: „Ich könnte verstehen, wenn eine
Institution unter diese Umständen unsicher ist, eine
Aufarbeitungskommission einzusetzen.“
Es wirkt paradox. Seit Jahren stehen Sportverbände in der Kritik, weil sie
bei Gewaltvorwürfen in der [4][Angst um den eigenen Ruf] sich der
unparteilichen Draufschau von unabhängigen Akteuren verschließen. Nun
bricht der DHB einmal mit diesem Tabu und wird von einem Gericht dazu
verdonnert, das doch bitte erst einmal intern aufzuklären.
Um zu verhindern, dass unabhängige Aufarbeitung zum juristischen Spielball
wird, müssen die Sportverbände diesen in ihren Satzungen aufnehmen.
Marquardt fordert hierbei Tempo ein. „Das sollte auf der nächsten
DOSB-Mitgliederversammlung am 7. Dezember in Saarbrücken auf den Weg
gebracht werden. Das ist keine Bitte, sondern eine Erwartung.“
Seit Jahren schon, sagt Marquardt, sei das ein Bohren dicker Bretter. „Wir
sind an unsere Grenzen gekommen, dem Sport abzuringen, dass er etwas von
seiner Macht abgibt.“ Keine Institution sei in der Lage, selbst
aufzuarbeiten, wenn massive Vorwürfe im Raum stehen. Der Schutz der eigenen
Institution stehe immer im Vordergrund.
## Betroffene am Pranger
Wie zäh der Kampf trotz Fortschritten ist, veranschaulicht der „Safe Sport
Code“, den der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) auf [5][der bereits
erwähnten Mitgliederversammlung verankern will]. Es sind Verhaltensregeln
im Umgang mit physischer, psychischer oder sexualisierter Gewalt. Der
Wunsch der Interessenvertretung Athleten Deutschland, betroffenen
Sportlerinnen und Sportlern in diesem Rahmen die Möglichkeit zu geben, auch
unabhängige Instanzen wie das entstehende Zentrum Safe Sport einzubeziehen,
fand keine Berücksichtigung.
Um Grundsätzliches geht es nun eben auch in der Causa Fuhr. Dabei ist aus
Sicht von Angela Marquardt eine Verrohung der Sitten zu beobachten. Markus
Buchberger, der Anwalt von Fuhr, nahm sich jüngst in einem Interview mit
der Sport Bild Mia Zschocke vor. Die Handballnationalspielerin hatte
mit Amelie Berger als Erste über Psychoterror von Fuhr berichtet und
zuletzt auch ihre Enttäuschung über das Urteil von Dortmund kundgetan.
Buchberger bezeichnete Zschocke als „selbsternannte Chefanklägerin“. Sie
erwecke auf ihn den Eindruck, „André Fuhr etwas persönlich heimzahlen zu
wollen“.
Für Marquardt ist dieser Angriff auf eine Betroffene „ein No-Go“. „Es wi…
eine Einzelne öffentlich herausgepickt und ihre Geschichte für
unglaubwürdig erklärt. Was das mit Betroffenen macht, kann man sich
vorstellen.“
22 Nov 2024
## LINKS
[1] /Gewalt-im-deutschen-Frauenhandball/!5898793
[2] /Autobiografie-von-Angela-Marquardt/!5018616
[3] https://x.com/MV_AM/status/1859179213229576486
[4] /Debatte-Gewalt-in-Sportvereinen/!5548471
[5] /Missbrauch-im-Sport/!6044482
## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
Gewalt im Sport
Handball
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Sexualisierte Gewalt
Fußball
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