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# taz.de -- Jugendbuchautor über Missbrauch im Sport: „Bitte keinen Verein a…
> Schwer fiel es dem Jugendbuchautor Martin Schäuble, einen Roman über
> sexuellen Missbrauch im Sport zu schreiben. Er kritisiert eine
> problematische Vereinskultur.
Bild: Gemeinsam stark: Fußball von seiner schönen Seite
taz: Herr Schäuble, wie kamen Sie auf die Idee, über sexuellen Missbrauch
im Sport einen Roman zu schreiben?
Martin Schäuble: Der Verlag ist schon vor Jahren auf mich zugekommen. Das
Thema wäre wichtig, auch als Jugendbuch. Fokus sollte der Leistungssport
sein. Mich hat das zuerst nicht so gereizt, es vergingen die Jahre. Über
meine Kinder, die auch in Sportvereine gingen, hat mich das zunehmend
interessiert. Wir haben dann aber beschlossen, dass wir uns dem
Breitensport widmen, weil es einfach alle betrifft. Eine Zahl hat mich zu
Beginn meiner Recherchen wirklich umgehauen. [1][Zwanzig Prozent erleben
laut einer Studie im Breitensport sexualisierte Gewalt mit Körperkontakt.]
taz: Sie sind ein erfahrener Jugendbuchautor, haben schon einige
gesellschaftlich relevante Themen in Romanform verarbeitet. Was war dieses
Mal anders als sonst?
Schäuble: Ich hatte mit Betroffenen gesprochen, die Missbrauch erlebt haben
und noch sehr dran waren an dem, was geschah. Bevor die Gespräche
losgingen, habe ich mich von einer Psychologin schulen lassen, wie ich am
besten in solche Gespräche gehe, ohne zu retraumatisieren. Bei meinen
bisherigen Arbeiten war es nicht so, dass ich den Menschen so nahe gekommen
bin. Und ich musste sehr bei der Anonymisierung aufpassen. Es ist zwar ein
Roman, aber die Geschichte ist aus vielen wahren Einzelschicksalen
entstanden. Einzelne Szenen sind so wirklich geschehen und ich musste
aufpassen, weil es teils noch laufende Verfahren gibt.
taz: Berichte von Betroffenen haben eine unmittelbare, heftige Wucht. Mit
der Übersetzung ins Fiktionale kann diese dosiert werden?
Schäuble: Ja. In meinem Roman war mir eine zweite Perspektive wichtig.
Deswegen habe ich mit Tim einen Jungen eingeführt, der einen immer wieder
aus der Geschichte von Lena, der Jugendfußballerin und Protagonistin,
herausnimmt, und der anders drauf schaut. Die Fiktionalisierung ist
grundsätzlich auch eine Chance, mehr Menschen zu erreichen. Jugendliche
greifen in der Regel nicht zu Sachbüchern. Und einen Roman kann man gut
enden lassen. In der Realität enden neun von zehn Fällen nicht gut. Da
findet weder ein Therapie statt, noch wird Anzeige erstattet. Meist
[2][wird der Missbrauch erst Jahrzehnte später als solcher erkannt.] Das
ist die Chance des Romans, ein positives Bild zu zeigen. Man ist nicht
verloren, das Leben kann auch positiv weitergehen.
taz: Wie kommt das Buch zu den Jugendlichen? Unter Erwachsenen ist die
Scheu groß, ihre Kinder mit dem Thema zu konfrontieren.
Schäuble: Man braucht bei Büchern, die schwierige Themen berühren, einen
langen Atem. Das ist keine Stapelware. Der Roman kann eine
Gesprächsgrundlage für Eltern und Jugendliche sein, gemeinsam über diese
Geschichte nachzudenken, was das eventuell mit der eigenen Lebenswelt zu
tun hat. Es kann Anlass sein, ein Thema zu besprechen, bei dem die Kinder
vielleicht ansonsten eher abblocken würden.
taz: Sie haben im Nachwort geschrieben, dass Sie bei der Recherche auf
einige [3][Widerstände bei den Vereinen] gestoßen sind.
Schäuble: Meine Anfragen an die Vorstände der Vereine, es waren vielleicht
10 bis 15, sind erst einmal im Sande verlaufen. Einige Trainerinnen haben
dann gesagt, komm doch vorbei. Sie haben sich gegen die Entscheidung ihrer
männlichen Vorstände gestellt. Bei den Vereinen will man mit dem Thema
nicht in Verbindung gebracht werden. Allein, wenn einer da ist und Fragen
stellt, könnte das ja schon Verdacht erregen.
taz: Sie waren der Unruhestifter?
Schäuble: Ja. Der klassische Breitensportverein auf dem Land oder in der
Kleinstadt wird von Männern geführt, die ein gewisses Alter haben. Wie ich
mitbekommen habe, nehmen diese die nun gewünschten Schutzkonzepte häufig
als Belastung wahr. Es ist für sie etwas, das gemacht werden muss, um
weiter Fördergelder zu bekommen, aber nicht etwas, das sie an sich für
wichtig halten. Das hat Auswirkungen auf die Qualität dieser Maßnahmen. Mit
Workshops für Trainer und aufgehängten Plakaten ist es ja nicht getan. Die
Kultur und die Strukturen müssen sich auch verändern. Das ist eine riesige
Herausforderung. Bei dem häufig formulierten Satz „Der Verein sollte wie
eine Familie sein“ bekomme ich immer wieder eine Gänsehaut.
taz: Weshalb?
Schäuble: Seit meinen Recherchen weiß ich, dass ein Verein das genau nicht
sein sollte. Denn es geht nicht darum, sich nah zu sein und sich
beizustehen, sondern einfach gemeinsam Sport zu machen. Entsprechend muss
sich die Atmosphäre kulturell und strukturell verändern.
taz: Inwiefern hat sich Ihr eigenes Bild vom Sport und Sportvereinen
verändert?
Schäuble: Also zunächst mal schaue ich jetzt selbst genauer hin, bei meinen
Kindern oder wenn ich unterwegs zufällig an einem Sportplatz vorbeikomme.
Wie ist die Stimmung da? Es ist etwas, was Spaß macht. Gibt es Druck, ist
dieser überhaupt notwendig? Welche Hierarchien entstehen daraus? Zugleich
weiß ich, dass Sport total wichtig ist, er vielen total gut tut. Von einem
getrübten Blick zu sprechen, wäre vielleicht zu hart. Es ist ein
ernüchterter Blick.
18 Dec 2024
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## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
Gewalt im Sport
Sexualisierte Gewalt
Missbrauch
Lesestück Recherche und Reportage
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