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# taz.de -- Debatte Gewalt in Sportvereinen: Gegen die Kultur des Wegsehens
> Es ist höchste Zeit, etwas gegen die Sexualverbrechen in Sportvereinen zu
> unternehmen. Deren System macht es Tätern noch einfacher als die Kirche.
Bild: Auch der Sport könnte von seinem hohen Ross stürzen
Wird die Bedeutungsgröße des Sports verhandelt, dann besteigen dessen
oberste Priester gern die Kanzel. Sie predigen von Fairness und
Gerechtigkeit, von Respekt und Demut, von der integrativen Kraft und
Weltoffenheit, von Freundschaft zwischen Menschen und Völkern, von der
Verbindung körperlicher und seelischer Gesundheit. Allein diesen hehren
Zielen, verkünden sie, dient der Sport.
Nach den zahlreichen ans Licht gekommenen sexuellen Missbrauchsfällen in
der katholischen Kirche beschleicht jedoch viele die Ahnung, auch der Sport
könne von seinem hohen Ross stürzen. Beispielhaft hat der [1][Skandal bei
den US-Turnerinnen gezeigt], wie viele jahrelang vergrabene Verbrechen
aufgedeckt werden können, wenn sich die Erste findet, die über diese
intimsten Verletzungen berichtet.
Im englischen Fußball hat sich wiederum offenbart, wie schnell ein
Einzelfall eine Lawine unterschiedlichster Leidensgeschichten ins Rollen
bringt, die in diesem Fall auf viele Urheber zurückzuführen sind. Nachdem
der [2][ehemalige Fußballprofi Andy Woodward vom Missbrauch] durch seinen
Jugendtrainer berichtete, meldeten sich in der Zeit danach etwa 800 Opfer
bei der britischen Polizei, denen knapp 300 Täter gegenüberstehen.
Auch aufgrund dieser Ereignisse sind in der deutschen Sportfamilie einige
mehr wachgerüttelt worden. Prävention wird jetzt groß geschrieben auf den
Empfehlungsbroschüren und Konzeptpapieren, die mehr oder meist weniger
erfolgreich nach unten an die Vereine herangetragen werden. Ein gutes
Engagement, doch es mangelt ihm an Fundament. Es fehlt der Blick zurück,
der Wille zur Aufarbeitung und Anerkennung von Leid, das so nur der Sport
hat möglich werden lassen.
## Sportvereine sind ähnlich wie Kirchen
Es ist höchste Zeit, sich endlich um die Opfer sexueller Vergehen im Sport
zu kümmern. So wie die katholische Kirche gerade eine Studie vorgelegt hat,
die sich mit ihren Opfern sexuellen Missbrauchs in den letzten 60 Jahren
und den systemischen Voraussetzungen für diese Verbrechen beschäftigt, muss
auch der Sport systematisch hinterfragen, welche spezifischen Bedingungen
ihn vermutlich zu einer attraktiven Plattform für Pädophile machen.
Denn viele Indizien legen nahe, dass der organisierte Sport nach der Kirche
die nächste große Institution ist, die aufgrund ihrer etablierten Kultur
des Wegsehens einen bedrohlichen Glaubwürdigkeitsverlust erleiden wird.
[3][Ähnlich wie in den Kirchen profitieren die Täter] auch in den Vereinen
davon, dass sie als Vertreter des Sports für das Gute stehen. Nur ist der
Weg dorthin noch einfacher. Meist sind es Ehrenamtler, die ein üppiges Maß
an Unangreifbarkeit und sehr viel Macht genießen – zumal sie sich oft den
Rang der Unersetzbarkeit erarbeiten.
Sie wachen über die Kinderträume von großen Karrieren. Sie können strafen
und belohnen, Einzeltraining, Einzelgespräche und besondere Zuwendungen wie
Massagen anordnen. Sie haben Zugang zu den Umkleidekabinen und Duschen. Sie
verbringen ausreichend Zeit mit den Kindern, um beim Ausschau nach
geeigneten Opfern strategisch vorgehen zu können. Abhängigkeitsverhältnisse
entstehen mit all ihren bösen Fallstricken. Und es geht per se immer um
Körperlichkeit.
## Anlässe zur Aufarbeitung gibt es genug
Sollen jetzt alle Ehrenamtler unter Generalverdacht gestellt werden? Dieser
Einwand wird gewiss erhoben werden. Wenn jedoch die große Mehrheit der
engagierten und rechtschaffenen Mitarbeiter vor einer vergifteten
Atmosphäre des Misstrauens geschützt werden sollen, muss man handeln. Es
braucht entsprechende Kanäle, damit der Sport von seiner dunklen
Vergangenheit nicht erdrückt wird.
Der Deutsche Fußball-Bund hat unterdessen schon Mühe, einen Nationalspieler
als Botschafter gegen sexuelle Gewalt zu berufen. Eine entsprechende nun
schon fast zwei Jahre alte Anfrage von [4][Johannes-Wilhelm Rörig, dem
Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung], ist bis heute nicht
beantwortet worden.
Anlässe zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Sport gibt es genug.
Gern wird dann auf die Autonomie der Verbände verwiesen. Verantwortung kann
so ideal verschoben werden. Es bedarf einer zentral gesteuerten Initiative.
Zumal, wie bereits erwähnt, das Sichtbarwerden von Opfern häufig große
Folgen hat. Dadurch würde auch die Gefahr abgewendet werden, Verbrechen im
deutschen Sport wie bislang als Einzelfälle abzuwerten. Als
gesellschaftliches Problem, vor dem auch der Sport nicht gefeit ist und dem
sich staatliche Institutionen widmen sollten.
## Schweigen hilft nicht
Nahezu wöchentlich kann man auch in Deutschland von solchen Einzelfällen im
Sport lesen. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Wenn wieder ein
Missbrauchsfall zutage tritt, wird gern beschwichtigt, man habe damit
nichts mehr zu tun. Die Geschichte sei nun in den Händen der Justiz. Dabei
braucht jeder einzelne Fall die Aufmerksamkeit des Sports.
Der vermeintliche Imageschaden ist größer, wenn weggeschaut wird. Bei
sexualisierter Gewalt hilft kein Schweigen. [5][Im Fall von Cristiano
Ronaldo] ist es derzeit geradezu gespenstisch. Eine Vorverurteilung ist
natürlich abzulehnen. Genauso aber auch die voreiligen Freisprüche und die
Huldigungen, die er weiter aus der Sportfamilie trotz des schweren Vorwurfs
erfährt.
Die Familie, das ist auch in der katholischen Kirche trotz der in Auftrag
gegebenen Studie bis heute so, [6][hält so lange wie nur möglich zusammen],
damit möglichst wenig Rufschädigendes nach außen dringt. Gut hat ihr das
nicht getan. Auch der organisierte Sport versteht sich seit jeher als
Familie und hat den fast schon manischen Anspruch, Probleme intern zu
lösen.
Von diesem engen Denken muss er sich verabschieden. Die systematische
Aufarbeitung der Vergangenheit ist nur mit Hilfe von außen möglich. Und wie
in der Kirche kann dies nur der Anfang sein.
20 Nov 2018
## LINKS
[1] /Sexueller-Missbrauch-bei-US-Turnern/!5474696
[2] /Sexuelle-Gewalt-im-britischen-Fussball/!5363001
[3] /40-Jahre-taz-Kirche-und-sexuelle-Gewalt/!5536145
[4] /Schule-gegen-sexuelle-Gewalt/!5536389
[5] /Vergewaltigungsvorwurf-gegen-Ronaldo/!5538006
[6] /Debatte-Katholische-Kirche/!5536311
## AUTOREN
Johannes Kopp
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Sexualisierte Gewalt
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