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# taz.de -- Sexueller Missbrauch im Boxsport: #CoachDontTouchMe
> Der Deutsche Box-Verband ist dabei, etwas gegen sexualisierte Gewalt zu
> tun. Bisher hat man davon noch nicht viel gemerkt.
Bild: Sie kämpt nicht nur im Ring: Sarah Scheurich, 25, führt eine Kampagne g…
Es war eine Begegnung der besonderen Art. An der Ostsee in Warnemünde am 8.
September bei den Deutschen Meisterschaften. Die Beteiligten: die
Mittelgewichtsboxerin Sarah Scheurich und der Boxtrainer Christian Morales.
Er war der Grund, warum aus Scheurich eine prominente Aktivistin im Kampf
gegen sexualisierte Gewalt im Sport wurde, warum sie mit der Faustkämpferin
Joelle Seydou im Januar in den sozialen Netzwerken die Kampagne
#CoachDontTouchMe ins Leben gerufen hatte. Und nun präsentierte sich
Morales der 25-Jährigen auf dem Weg in den Ring zu ihrem Titelkampf mit
einer ganz speziellen Oberbekleidung. Mit dem Rücken zu ihr hatte er sich
aufgestellt. „#CoachDontTouchMe“ stand auf der Hinterseite des schwarzen
T-Shirts in weißen Lettern.
„Das war vermutlich der Versuch, mich zu verunsichern“, sagt Scheurich, die
von dieser Begegnung vor ihrem Titelgewinn berichtet.
Morales sagt nichts. Eine Anfrage der taz ignoriert er. Unbestritten ist,
dass er mit der minderjährigen Athletin auf einem Lehrgang in Polen ein
Hotelzimmer geteilt hat.
Allein dieser Umstand wirft jede Mengen Fragen auf. Wie kann so etwas im
Deutschen Boxsport-Verband (DBV) möglich sein? Warum haben andere Trainer
und Mitwisser geschwiegen? Welche Konsequenzen wurden gezogen? Und es
stellt sich die Frage, wie kann sich Morales so unangreifbar unter den
Boxern bei den Deutschen Meisterschaften fühlen, dass er vor so einem
Auftritt nicht zurückschreckt?
## Reine Alibipolitik
Sarah Scheurich beklagte schon Ende Mai, es habe sich nichts getan. Nicht
den Hauch der Unterstützung habe man für die Kampagne #CoachDontTouchMe
erhalten. Von den Männern des DBV sei lediglich die Verbandsärztin auch zur
Frauenbeauftragten bestimmt worden. Die Sportlerinnen seien bei der
Entscheidung nicht miteinbezogen worden. Scheurich sprach generell von
„reiner Alibipolitik“ und trat von ihrem Amt als Aktivensprecherin zurück.
Gut zwei Monate später teilte der DBV über seine Homepage mit, Nadine Apetz
sei zur Nachfolgerin von Scheurich gewählt worden. Gewählt? Die
Verbandsfunktionäre hätten sie gefragt, ob sie das Amt nicht übernehmen
wolle, räumt Apetz ein. Dann habe sie wiederum in der WhatsApp-Gruppe des
Nationalkaders und der Nachwuchssportlerinnen gefragt, ob sich die Aktiven
das auch vorstellen könnten.
Apetz ist sehr um Ausgleich bemüht. Einerseits hält sie fest, im Verband
sei in der Vergangenheit des Öfteren über die Köpfe der Sportlerinnen
hinweg entschieden worden, andererseits, gibt sie zu bedenken, trügen auch
die Boxerinnen Verantwortung dafür, dass die Kommunikation besser wird.
Scheurich sei etwas „blauäugig“ an die Sache herangegangen. „Man kann
Satzungen und Regelwerke nicht einfach so schnell umschreiben. Wir sind
schon auf einem guten Weg. Die Satzung wurde gerade auf dem letzten
Kongress des DBV Anfang Oktober verändert.“ Alle Trainer müssten künftig
einen sogenannten Ehrenkodex unterschreiben. Bei Verstößen kann die Lizenz
entzogen werden. Das Vorlegen eines erweiterten Führungszeugnisses ist für
Trainer obligatorisch.
Die Frauenbeauftragte Angelika Fischer sagt, man habe sich bei allen
vorgenommenen Schritten an die Handlungsempfehlungen der Deutschen
Sport-Jugend (DSJ) gehalten. Sie weist darauf hin, dass auch die Jungs vor
sexualisierter Gewalt geschützt werden müssen. Ein wichtiger Hinweis,
gerade in einem so männerlastigen Verband. Von den gut 82.000 Mitgliedern
sind lediglich etwa 21.500 Frauen. Man ist offensichtlich bemüht, alles
richtig zu machen, und arbeitet die Empfehlungen des DSJ gewissenhaft ab.
Das ist auch deshalb ratsam, weil der Dachverband, der Deutsche Olympische
Sportbund (DOSB), im Zuge seiner Spitzensportreform die Verteilung von
Fördergeldern an die einzelnen Verbände mit Schutzmaßnahmen gegen
sexualisierte Gewalt verknüpft hat.
Scheurich sagt, vieles von dem, was nun doch noch vollzogen wurde, habe sie
bereits in den ersten Monaten des Jahres vorgeschlagen. Die Empfehlungen
des DSJ habe sie einer Mail, die nie beantwortet wurde, angehängt. „Im
Verband werde ich nicht ernst genommen. Für die bin ich das kleine Mädchen,
das boxt.“
Mehrmals ist Scheurich von den Verbandsverantwortlichen ermahnt worden,
ihre Kritik doch erst einmal intern zu äußern und ihre Anliegen nicht über
die sozialen Netzwerke voranzutreiben. Es scheint so, als ob sich der DBV
im Umgang mit sexualisierter Gewalt möglichst geräuschlos unangreifbar
machen möchte.
Entsprechend abweisend reagiert DBV-Präsident Jürgen Kyas auf eine Anfrage
der taz, sich über die Kritik von Scheurich und die jüngsten Entwicklungen
im Verband zu unterhalten: „Ich kann zwischen uns keinen Gesprächsbedarf
erkennen und lehne jegliches Gespräch mit Ihnen ab. Bitte unterlassen Sie
es zukünftig, mit mir Gesprächsversuche zu starten.“
Elena Lamby, die bei der Deutschen Sportjugend für die Prävention
sexualisierter Gewalt zuständig ist, sagt, sie fände es schade, wenn sich
Verbandsfunktionäre solchen Gesprächen verschließen würden. Offenbar
fürchtet Kyas, sein Verband könne durch die Medien in großen Misskredit
gebracht werden. Ein wohl bekanntes Reaktionsmuster. Die Funktionäre sehen
sich in solchen Fällen gern als Opfer. Den wirklichen Opfern können sie
aber so kaum helfen.
## Fehlendes Bewusstsein
Sarah Scheurich dagegen will sich nicht zum Leisetreten verpflichten
lassen. Sie sucht die Bühne, sie möchte so viel Öffentlichkeit wie möglich,
um für das Problem der sexualisierten Gewalt zu sensibilisieren.
Insbesondere für die besondere Situation der Boxerinnen, die beim DBV in
den seltensten Fällen Trainerinnen haben und zu ihren Trainern von klein
auf in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen. „Ich bin weiter gegen
sexualisierte Gewalt aktiv. Und ich muss jetzt nicht auf die anderen Mädels
hören und mit dem Verband reden. Das kann ich jetzt tausendmal besser als
vorher.“ Ihren Boxkolleginnen wirft sie fehlendes politisches Bewusstsein
vor.
Aktiv ist Scheurich auch nach dem Bekanntwerden eines Missbrauchsfalls in
Salzgitter geworden. Sie hat Kontakt mit dem 13-jährigen Mädchen
aufgenommen und ihre Hilfe angeboten. Wie das [1][Online-Portal
regionalHeute.de] berichtete, hatte der Trainer „einvernehmlichen
sexuellen Kontakt“ mit dem Kind eingeräumt. Ein vielsagendes Geständnis.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat im Mai Anklage gegen ihn erhoben.
Im Schreiben der Staatsanwaltschaft ist nun gar von „schwerem sexuellen
Missbrauch von Kindern in sechs Fällen, sowie in acht Fällen von
Misshandlung von Schutzbefohlenen“ die Rede.
Gudrun Heinz, die vom DBV bestellte Vertrauensperson für Opfer
sexualisierter Gewalt, sagt, sie habe von dem Fall lediglich gehört. Weil
sich bereits die Justiz eingeschaltet habe, sei sie nicht mehr zuständig,
würde aber natürlich zu helfen versuchen, wenn sich das Mädchen bei ihr
noch melden sollte. In solchen Fällen, bestätigt Elena Lamby von der
Deutschen Sportjugend, würden in der Regel die Landessportbünde Kontakt mit
den Vereinen und Betroffenen aufnehmen.
Die meist ehrenamtlich arbeitenden Verbandsmitarbeiter haben auch begrenzte
Zeit- und Energieressourcen. Gudrun Heinz, im Hauptberuf Sportärztin,
spricht hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen gegen sexualisierte
Gewalt von einer „komplexen Umsetzung“, die noch einige Zeit in Anspruch
nehmen werde.
Vermutlich könnte man an so einem Fallbeispiel wie in Salzgitter viel für
die Prävention lernen. Wie genau hat der Trainer das
Abhängigkeitsverhältnis der Sportlerinnen ausgenutzt? An welchen äußeren
Zeichen hätte man das bereits viel früher merken können? Warum haben
mögliche Mitwisser geschwiegen? Welche Vereinsstrukturen hätten im
konkreten Fall das Verbrechen verhindern können?
Den Mangel an fundierter Aufarbeitung kann man nicht nur dem Deutschen
Boxsport-Verband anlasten. Elena Lamby räumt ein, dass dies ein allgemeines
Problem im organisierten deutschen Sport ist, und attestiert etwas verblümt
einen Nachholbedarf: „Im Bereich der Prävention sind wir schon gut
vorangekommen. Was die Aufarbeitung von sexuellen Missbrauchsfällen angeht,
ist zunächst festzuhalten, dass wir keine Ermittlungsbehörde sind. Was über
die juristische Bewertung hinaus nach einem Fall passieren kann, um
Betroffene zu unterstützen, ist sicher ein Feld, das noch weiterentwickelt
werden kann.“
Dies darf nicht in Verbandshinterzimmern geschehen, sondern sollte möglich
offen und transparent gemacht werden. Es wäre auch ein Stück Anerkennung
von geschehenem Leid. Dass dies erst vielen weiteren Opfern den Mut gibt,
mit ihren Schicksalen an die Öffentlichkeit zu gehen, kann man bei der
Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche beobachten.
Wie viel Leid im Sport begraben liegt, hat die Studie „Safe Sport“
offengelegt. 37 Prozent der Befragten gaben an, sexualisierte Gewalt im
Kontext des Sports erlebt zu haben. Von körperlicher sexualisierter Gewalt
waren 11 Prozent betroffen.
Anm. der Redaktion: Dieser Text wurde aufgrund einer rechtlichen
Auseinandersetzung geändert/gekürzt.
21 Oct 2018
## LINKS
[1] https://regionalsalzgitter.de/kind-vergewaltigt-ex-boxtrainer-in-mehreren-f…
## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
Boxen
Sexuelle Gewalt
sexueller Missbrauch
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Sexualisierte Gewalt
Sexuelle Übergriffe
Sexualisierte Gewalt
sexueller Missbrauch
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