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# taz.de -- Kommissionsvorsitzende über Missbrauch: „Wo sind die Opfer aus d…
> Die Kommission zur Aufarbeitung sexueller Gewalt wendet sich dem Sport
> zu. Die Vorsitzende Sabine Andresen erklärt, warum es höchste Zeit dafür
> ist.
Bild: Der Sport bietet Gelegenheiten: Umkleidekabinen sind Orte, wo sexuelle Ü…
taz: Frau Andresen, die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen
Kindesmissbrauchs will sich in den nächsten fünf Jahren schwerpunktmäßig
dem Sport zuwenden. Ist das ein alarmierendes Zeichen?
Sabine Andresen: Überall, wo Kinder und Jugendliche sind, findet sexueller
Missbrauch statt. Im Sport sind über sieben Millionen Kinder und
Jugendliche in Deutschland aktiv. Zudem kann man seit 2010 regelmäßig über
Fälle von sexuellem Missbrauch im Sport lesen. Beim Handball in Wiesbaden,
beim Fechten in Tauberbischofsheim, beim Boxen in Hamburg. Und eine
unabhängige Aufarbeitung ist in den Strukturen des Freizeit- und
Leistungssports bisher noch nicht vorgesehen.
Sie wollen möglichst viele Menschen, die sexuellen Missbrauch im Sport
erlebt haben, ermutigen, sich bei ihnen zu melden. Wie gehen sie dabei vor?
Wir haben an diesem Montag einen Aufruf gestartet und unseren Appell an die
Medien und in unsere Fachszene, an die Beratungsstellen etwa, geschickt.
Wir wollen ihn gern in alle Bereiche des Sports, auch über den Deutschen
Olympischen Sportbund, die Deutsche Sportjugend und Landessportverbände
verbreiten. Wir kommunizieren es über unsere sozialen Netzwerkkanäle und
haben ein Video für das U-Bahn-Fernsehen in größeren Städten produziert.
Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, Betroffene zu ermuntern, sich bei uns
zu melden.
Ihre Kommission hat in den vergangenen drei Jahren bereits Gespräche mit
fast 1.000 Menschen geführt, die sexuelle Gewalt erfahren haben. Waren
darunter viele aus dem Sport?
Nein, aber anders als jetzt haben wir uns bisher nicht ausdrücklich an
Betroffene aus dem Sport gewendet. Vor dem Hintergrund neuerer Studien zu
sexueller Gewalt im Sport, haben wir uns aber die ganze Zeit gefragt, wo
bleibt die zu erwartende hohe Anzahl von Menschen aus diesem Bereich.
Laut der Studie Safe Sport hat mehr als ein Drittel der befragten Sportler
sexualisierte Gewalt erlebt.
Wir müssen herausbekommen, ob es mit dem System Sport zu tun hat, dass sich
die Betroffenen eher zögerlich melden.
Haben sie eine These?
Ich bin ja Kindheits- und Familienforscherin. Mein Eindruck ist, dass auch
im Sport der Druck, nicht zu sprechen, sehr hoch ist, weil es fast
familienähnliche Bezüge gibt. Häufig sind auch ganze Familien in den
Vereinen verankert. Im Leistungssportbereich kommt die Not dazu, dass die
jungen Athletinnen und Athleten ihren Sport, in den sie so viel investiert
haben, nicht aufgeben wollen. Das dient den Tätern zugleich als
Druckmittel, ihre Opfer zum Schweigen zu bringen.
Vertreter des Sports sagen gern, sexuelle Gewalt gibt es im Sport genauso
wie sonst eben auch in der Gesellschaft.
Das haben Kirchenvertreter jüngst ähnlich formuliert. Für mich hört sich
das ausweichend an. Natürlich geht es um ein gesamtgesellschaftliches
Problem. Den Funktionären und Verantwortlichen aber, die sagen, da sind wir
nicht in besonderer Weise betroffen, müssen wir deutlich entgegenhalten, es
gibt Gelegenheitsstrukturen, die sind typisch für den Sport. Es gibt eine
besondere körperliche Nähe, Hilfestellungen etwa, die ausgenutzt werden
können.
Mein Eindruck ist, dass im organisierten Sport die Bereitschaft, sich mit
Präventionskonzepten zu beschäftigen, steigt, mit der Aufarbeitung tut man
sich dagegen schwer.
Da haben wir erneut eine Analogie zur Kirche. Es ist deutlich
herausfordernder, sich mit der Aufarbeitung zu beschäftigen, weil es dann
schwerer fällt, Versagen im Verein, das Schweigen und Wegsehen
auszublenden. Man kann dann auch nicht mehr so tun, als ob die Täter
monströse Außenseiter seien, die man lange verkannt habe. Bei der
Aufarbeitung kommt das systemische Versagen zum Vorschein, das dazu geführt
hat, dass Kinder und Jugendliche sexuelle Gewalt erlebt haben. Dadurch sind
viel mehr Beteiligte im Boot. Die Vermeidungshaltung ist nachvollziehbar,
aber sie sollte überwunden werden.
Also ist massiver Druck von außen nötig?
Die Aufgabe der Kommission, aber auch der Politik ist es, offensiv zu
fordern, dass auf allen Ebenen die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch
begonnen wird. Die Bundesregierung könnte dem Sport Bedingungen stellen.
Aber auch in der Politik ist die Vorstellung, dass die Aufarbeitung
sexueller Gewalt wirklich notwendig ist, nicht sehr weit verbreitet.
Was kann der Sport tun?
Es wäre schön, wenn unser [1][Aufruf] in der Sportszene als wichtig
erachtet wird und über alle Verbandsstrukturen kommuniziert wird. Ich sehe
da beim DOSB, bei den Spitzensportverbänden und den Landessportbünden eine
Verantwortung. Die Deutsche Sportjugend und der DOSB haben uns bereits um
Informationen zum Aufruf gebeten, um diese über ihre Kanäle zu verbreiten.
Sie sprechen die Strukturebenen des organisierten Sports in Deutschland an.
Deren Autonomie, erklären Sportfunktionäre gern, erschweren Direktiven von
oben.
Wenn es heißt, wir können nichts machen, weil alle autonom sind, würde ich
das als eine Ausrede, bezeichnen. Solche Ausflüchte dürfen wir nicht
hinnehmen. Natürlich kann auch in dezentralen Strukturen systematische
Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch ermöglicht werden. Dazu müssen
Schnittstellen identifiziert werden und gut sichtbare Personen als
Ansprechpartner installiert werden.
Bis 2024 ist ihre Arbeitsperiode angelegt. Was wäre für sie ein gutes
Ergebnis?
Wir wollen, dass die Stimmen der Betroffenen gehört, ihre Erlebnisse
gesehen werden. Das ist wichtig, denn in allen Bereichen dominiert die
Lesart der Täter und des Systems, das die Taten lange möglich gemacht hat.
Wir wollen einen systematischen Beitrag leisten, um die Strukturen im Sport
besser zu verstehen, um sagen zu können, was notwendig ist, damit Kinder im
Sport besser geschützt werden. Drittens müssen wir uns um die heute
erwachsenen Betroffenen kümmern. Welche Unterstützung brauchen sie, welchen
Beitrag müssen die Sportverbände dazu leisten?
Sie meinen die Folgekosten.
Genau. Die sind im Diskurs über sexuelle Gewalt im Sport bislang noch gar
nicht zum Thema gemacht worden. Dass viele Menschen im Erwachsenenalter
weiter mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, unter Einschränkungen
leben, Therapiekosten zu stemmen haben, eventuell erwerbsunfähig sind. Das
ist im Sportsystem überhaupt noch nicht im Bewusstsein. Und ein schöner
Effekt wäre, wenn sich auch etwas im gesamtgesellschaftlichen Bewusstsein
verändern würde.
Was wünschen Sie sich?
Dass sexualisierte Gewalt von den Vereinen, ihren Vorständen und
Mitgliedern nicht mehr tabuisiert wird. Dass sich Eltern offensiv
erkundigen, wo liegen die Gefährdungen für mein Kind und was tut der Verein
dagegen. Dann wäre schon viel gewonnen.
6 May 2019
## LINKS
[1] https://www.aufarbeitungskommission.de/sport/
## AUTOREN
Johannes Kopp
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