# taz.de -- DFB-Präsidiumsmitglied über Missbrauch: „Wir sind auf einem gut… | |
> Der Kinderschutzbeauftragte Stefan Osnabrügge sieht den DFB im Kampf | |
> gegen sexualisierte Gewalt besser aufgestellt als andere Institutionen. | |
Bild: „Wir sind nicht verantwortlich für das, was in 25.000 Vereinen passier… | |
taz: Herr Osnabrügge, eine Studie der Universität Ulm kommt zu der | |
Einschätzung, dass es im Sport etwa [1][doppelt so viele Fälle von | |
sexuellem Missbrauch] gibt wie in der katholischen Kirche. Dabei wird diese | |
viel mehr als Probleminstitution wahrgenommen als der Sport. Wie erklären | |
Sie sich das Missverhältnis? | |
Stephan Osnabrügge: Der Fußball ist eine Sportart von vielen. Bei der | |
Anzahl bekannter Missbrauchsfälle bestehen unter den Sportarten gravierende | |
Unterschiede. Der DFB jedenfalls beschäftigt sich schon seit 2010 mit der | |
Prävention sexualisierter Gewalt. Und auch das möchte ich zu Beginn unseres | |
Gesprächs festhalten: Der Bereich sexueller Missbrauch ist der harte, | |
strafbare Kern und lediglich ein kleiner Ausschnitt. | |
Wir gehen erheblich weiter und haben jegliches sexualisierte Verhalten, | |
jede Grenzverletzung im Blick. Priorität hat die Prävention. Seit 2013 sind | |
wir hierfür mit unseren Landesverbänden auf Basis eines Zehnpunkteplans in | |
einem engen Austausch. Beim DFB selbst haben wir eine Personalstelle für | |
den Kinderschutz geschaffen. Da sind wir schon erheblich weiter als andere. | |
Wir haben uns des Themas früher und intensiver angenommen. | |
War denn der Anstoß, sich 2010 damit zu befassen, nicht auch die Aufdeckung | |
des jahrzehntelangen systematischen sexuellen Missbrauchs im katholischen | |
Berliner Canisius-Kolleg, die eine große öffentliche Debatte nach sich zog? | |
Ich war 2010 noch nicht beim DFB im Amt, sondern Vizepräsident im | |
Landesverband Mittelrhein. Dort haben wir uns schon 2007 damit befasst, zu | |
einer Zeit also, als es noch keine große öffentliche Debatte gab. | |
Was war Ihre Motivation? | |
Mein Anstoß damals war ein Gespräch mit einem befreundeten Kriminalbeamten, | |
der mir berichtete, dass er in einem Verfahren wegen kinderpornografischen | |
Materials gegen einen Betreuer einer Jugendmannschaft außerhalb seiner | |
sportlichen Tätigkeit ermittle. Ich habe damals schon gesagt, das ist ja | |
völlig inakzeptabel. Wie kann es denn sein, dass ihr schon seit Jahren in | |
einer Angelegenheit ermittelt, die den Kinderschutz betrifft, und | |
gleichzeitig trainiert dieser Mann in einem Fußballverein eine | |
Jugendmannschaft? | |
Wie lautete die Antwort? | |
Wir dürfen euch ja nichts sagen. Das war damals für mich der Anlass, | |
innerhalb des Verbandes Strukturen aufzubauen, Anlaufstellen zu schaffen. | |
Sobald ein Verband eine Anlaufstelle eingerichtet hat, melden sich dort | |
auch Betroffene oder zumindest Menschen, die verunsichert sind, die um Rat | |
bitten. Pro Woche hatten wir damals an Mittelrhein ein bis zwei Anfragen. | |
Ein Grund, warum es eine Scheu gibt, solche Angebote zu schaffen? | |
Nein, der Grund ist die fürchterliche Angst in dem Moment, wo man etwas | |
macht, in den Verdacht zu geraten, dass man als Verein scheinbar ein | |
Problem hat. Wir als Verband machen seit Jahren nach außen klar, dass diese | |
Sichtweise verantwortungslos ist. Der Verband, der Verein, der Trainer, der | |
sich mit Kinderschutz befasst, bringt Qualität zum Ausdruck. Ein kluger | |
Kinderschutz inklusive fester Ansprechperson, des erweiterten polizeilichen | |
Führungszeugnisses und klarer Verhaltensregeln für Trainer ist das | |
Qualitätsmerkmal eines gut geführten Vereins. | |
Die Forschungsprojekt Safe Sport von der Sporthochschule Köln sieht die | |
Spitzenverbände im Vergleich zu den Landessportbünden nicht so gut | |
aufgestellt. | |
Nehmen Sie mich bitte nicht in Haftung für global ausgerichtete Studien, | |
die nicht auf einzelne Verbände schauen. Wir beschäftigen uns seit 2013 | |
äußerst intensiv mit dem Thema, haben einen Zehnpunkteplan entwickelt und | |
eine Broschüre am Markt, die sich mit dem Thema befasst. Wir führen zwei | |
Fachtagungen pro Jahr mit unseren Landesverbänden durch. Und beachten Sie | |
bitte, wir sind ein Dachverband. Wir sind nicht verantwortlich für das, was | |
in 25.000 Vereinen passiert. Der DFB hat doch kein Durchgriffsrecht auf den | |
einzelnen Fußballverein. | |
Es hätte aber in der Macht des DFB gelegen, der Bitte von Johannes Rörig, | |
dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, | |
zu entsprechen, einen Nationalspieler als Botschafter zu benennen, um für | |
das Thema zu sensibilisieren. Warum hat der DFB darauf vor über zwei Jahren | |
nicht reagiert? | |
Ich habe von Anfang an mit Herrn Rörig ein sehr gutes Verhältnis gehabt. Er | |
kam irgendwann auf die Idee, es wäre doch gut, wenn man Prominente sich mit | |
dem Thema Kinderschutz identifizieren lassen könnte, und hatte auch | |
konkrete Vorstellungen zur zeitlichen Belastung. | |
Zu hohe Vorstellungen? | |
Zunächst mal haben sich ja aktuelle Nationalspielerinnen und -spieler zu | |
diesem Thema engagiert. Aber oft gilt eben: Wenn Sie einem Nationalspieler, | |
der bei einem Champions-League-Klub spielt und auch sonst jedes Wochenende | |
zum Stamm gehört, sagen: Beteilige dich mal an der Kampagne, du hast fünf | |
Auftritte im Jahr und musst dazu irgendwo hinfahren – dann wird das | |
Management dieses Spielers Ihnen sagen: Erstens möchten wir nicht mit dem | |
Thema Kinderschutz in Verbindung gebracht werden, weil das gefährlich sein | |
könnte, und zweitens können wir dieses zeitliche Kontingent nicht anbieten. | |
Warum gefährlich sein könnte? | |
Das ist dasselbe, was Ihnen die Vereine rückmelden. In dem Moment, wo das | |
Thema sexuelle Gewalt mit dem Namen eines Vereins oder einer Person | |
assoziiert wird, gehen einige Medien hin und setzen dies so zusammen, dass | |
es interpretationsfähig ist. Und es gibt doch auch im alltäglichen Leben | |
diesen Gedankengang: Na, der engagiert sich, da hat er wohl selbst ein | |
Problem. Nicht alle gehen seriös mit dem Thema um. Herr Rörig hatte sich | |
überdies nicht nur an den DFB gewandt, sondern auch an den DOSB. Zwischen | |
beiden wurden Konzepte ausgetauscht. | |
Ist der DFB in dieser Frage selbst initiativ geworden? | |
Wir haben uns kürzlich dem Aufruf der Unabhängigen Beauftragten zur | |
[2][Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs] angeschlossen, dass sich Opfer | |
melden sollen. Mehrere unserer Nationalspielerinnen und Spieler haben via | |
Facebook Statements abgegeben und dafür geworben. | |
Sie sprechen unter anderem die Einspieler von Toni Kroos und Joshua Kimmich | |
an. Mein Eindruck ist, sie wurden weder medial noch in den sozialen | |
Netzwerken sonderlich wahrgenommen. | |
Es ist nicht an mir, Medienschelte zu betreiben. Ich glaube, dass leider zu | |
viele positive Projekte, die der DFB verantwortet, unter dem Radar laufen. | |
Möglicherweise deshalb, weil sich negative Schlagzeilen besser verkaufen. | |
Über unsere eigenen Social-Media-Kanäle mit mehr als 6 Millionen Abonnenten | |
haben wir jedenfalls viele Menschen erreicht und auch inhaltlich Zustimmung | |
erfahren. | |
Aber das ist doch nicht allein die Schuld der Medien. Der DFB könnte dem | |
Thema eine Bühne geben, eine Pressekonferenz mit Kroos und Kimmich | |
veranstalten. | |
Das könnten wir bestimmt, aber die Frage ist, ob ich mit einer | |
Pressekonferenz dem Thema Kinderschutz in irgendeiner Weise weiterhelfe. | |
Meiner Ansicht nach ist das nicht so. | |
Sie könnten eine Bewusstseinserweiterung für das Thema schaffen. Die Studie | |
Safe Sport hat festgestellt, in den Dachverbänden wird manches getan, an | |
der Basis dagegen ist das Bewusstsein für die Gefahren sexuellen | |
Missbrauchs gering ausgebildet. | |
Studien sind eine Sache, konkrete Erfahrungen manchmal eine andere. Wir | |
haben schon den Eindruck, dass sich Bewusstsein verändert. Der Verein auf | |
unserem Poster „Kinderschutz“, Victoria Hamburg, leistet beim Kinderschutz | |
eine hervorragende Arbeit. Strukturell sind wir als DFB nicht dafür | |
verantwortlich, [3][was in 25.000 Vereinen passiert]. Wir können nur | |
Angebote schaffen und dafür werben. | |
Wie könnte dem Kinderschutz beim DFB weitergeholfen werden? | |
Warum schafft es dieser Staat nicht, Positivbescheinigungen über die | |
Einwohnermeldeämter an die Vereine zu geben? Warum ruft der Staat nach | |
Kinderschutz, schafft es aber nicht, 25.000 Abnehmern an der Basis mit 7 | |
Millionen Menschen das Leben zu erleichtern. Warum schaffen wir es nicht, | |
in irgendeiner Weise einen Informationsaustausch hinzubekommen? | |
Was meinen Sie konkret? | |
Wie gehen wir mit dem Umstand um, dass Polizisten über lange Zeiträume | |
ermitteln? Ich kenne einen Fall, da wurde zwei Jahre ermittelt und da ging | |
es tatsächlich um sexuelle Nötigung und sexuellen Missbrauch. Wie kann es | |
denn sein, dass die zwei Jahre ermitteln und ein Trainer munter weiter in | |
seinem Verein E-Jugendliche trainiert, schlicht weil der Verein es nicht | |
weiß. Finden wir in diesem hochmodernen Staat keine Instrumente, mit denen | |
der Schutz der Kinder über den Persönlichkeitsschutz gestellt wird? | |
Einige im Sport sind aktiv in der Prävention geworden. Viel passiver ist | |
man aber bei der Aufarbeitung begangenen Unrechts. Dabei wäre das ein gutes | |
Fundament für gute Präventionskonzepte. | |
Wir fußen unsere Präventionskonzepte bewusst auf Gutachten wie das der | |
Sporthochschule Köln, auch auf Vorfälle, die wir aus den Verbänden kennen. | |
Wir unterstützen die Arbeit von Professorin Sabine Andresen, der | |
Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs. Unsere | |
Anlaufstellen haben wir von Anfang an nicht auf aktuelle Vorkommnisse | |
beschränkt. Über den Deutschen Kinderschutzbund, einen | |
DFB-Kooperationspartner, können sich alle melden, die Erlebnisse in der | |
Vergangenheit hatten, über die sie berichten möchten. | |
Der DFB hat diese Scheu nicht? | |
In einem Gespräch habe ich kürzlich Frau Andresen gebeten: Helfen sie uns, | |
wenn Sie der Meinung sind, dass unsere Aktivitäten nicht ausreichen, um | |
hinreichend zu motivieren, sich an uns zu wenden. Ich hatte nicht den | |
Eindruck, dass sie zu dieser Erkenntnis gekommen ist. Insofern bin ich | |
überzeugt davon, dass wir stark beraten und informieren. Die Frage, ob wir | |
noch mehr machen könnten, bin ich immer bereit neu zu besprechen. Aber wir | |
sind auf einem guten Weg. | |
15 Sep 2019 | |
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Johannes Kopp | |
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