| # taz.de -- Sexuelle Gewalt im Sport: Kampf ohne Ende | |
| > Michael Müller erzählt, wie er als Minderjähriger in einem Sportverein | |
| > sexuell missbraucht wurde und warum er bis heute den Täter schützt. | |
| Bild: Begehrt: Der Sport bietet Pädophilen den besten Zugang zu potentiellen O… | |
| Sehr viel Zeit ist seither vergangen, mehr als ein Vierteljahrhundert. Sehr | |
| weit entfernt ist es passiert. Mehr als sieben Flugstunden von seinem | |
| heutigen Wohnsitz. Und Michael Müller bevorzugt es, auf einer weiteren | |
| Ebene Distanz aufzubauen, wenn er über den sexuellen Missbrauch spricht, | |
| den er als Kind in einer deutschen Großstadt in einem Schwimmverein erlebt | |
| hat: Er lässt das Geschehene lieber in der Sprache seiner Wahlheimat als in | |
| deutschen Worten wieder lebendig werden. „Es gäbe eine größere Barriere f�… | |
| mich, es in meiner Muttersprache zu erzählen“, sagt er. Wenn Müller im | |
| Deutschen seine peinigenden Erfahrungen schildert, schrumpft die Distanz | |
| zum Geschehenen rasant, stockt zuweilen die Stimme, verselbstständigen sich | |
| im Extremfall die Emotionen. | |
| Über Distanz hat Michael Müller sehr viel ausgehalten in seinem Leben. Weit | |
| weg von dem Wohnort seiner Kindheit hat er sich im Alter von 21 Jahren ein | |
| neues, erfolgreiches Leben aufgebaut. Via Skype ist sein Büro zu sehen. | |
| Hier hat alles seine Ordnung. Müller, Mitte vierzig, sitzt hinter einem | |
| aufgeräumten Schreibtisch vor einem gut bestückten Bücherregal, ein | |
| verbindliches Lächeln hellt sein Gesicht auf. | |
| Distanz ist für Müller einerseits überlebenswichtig. Andererseits weiß er: | |
| Seiner Geschichte kann er nicht entfliehen. „Sie wird mich immer | |
| begleiten“, stellt er fest. Diese Geschichte hat einen Anfang, aber kein | |
| Ende. Solange Michael Müller lebt, wird sie eine Kraft ausüben, die sich | |
| nicht einfach steuern lässt. | |
| Die Geschichte handelt von einem Verbrechen, das auch im deutschen Sport | |
| vermutlich tausendfach passiert. Sie handelt von einem äußerst | |
| charismatischen, allseits beliebten Menschen, der den Missbrauch begang, | |
| sich wie viele andere Täter aber nie verantworten musste und heute noch in | |
| derselben Stadt, im selben Sportklub arbeitet – verantwortlich für | |
| Kindersport, wie die Vereinshomepage aufweist. Sein Beruf: Lehrer. Eine | |
| Frau und mehrere Kinder hat er mittlerweile. Die Geschichte handelt davon, | |
| wie das Schweigen, Stillhalten, diese unfreiwillige Komplizenschaft | |
| entstehen. Und sie handelt von dem großen Dilemma des einstigen Opfers, | |
| möglichen weiteren aktuellen Opfern helfen zu wollen, ohne dabei die eigene | |
| mühsam erreichte Stabilität aufs Spiel zu setzen. | |
| ## Perfides Zwangsbündnis | |
| Vor zehn Jahren quälten Michael Müller noch Suizidgedanken. Eine | |
| Konfrontation oder Begegnung mit dem Täter könnte vieles wieder ins Wanken | |
| bringen. Müller weiß, wie aufwühlend sich das anfühlt, wenn er mit seiner | |
| Familie beim alljährlichen Deutschlandbesuch ein paar Tage am Wohnort | |
| seines Vaters verbringt. Denn im benachbarten Stadtteil ist nach wie vor | |
| auch noch Felix Dorfer zu Hause. Immer wieder mal glaubt er, ihn dann in | |
| den Straßen zu sehen. „Der Puls steigt, das Herz rast bis zu dem Moment, da | |
| ich erkenne: Er ist es doch nicht. Ich habe große Angst, auf ihn zu | |
| treffen.“ | |
| Die Namen der Protagonisten seiner Geschichte, Täter und Opfer, möchte | |
| Müller geheim halten. Auch um seines über 80-jährigen Vaters willen: „Felix | |
| soll nicht noch einen Menschen, den ich liebe, verletzen. Ich möchte, dass | |
| mein Vater ohne diesen dunklen Schatten leben kann.“ Deshalb heißt Müller | |
| in Wirklichkeit eben auch nicht Müller, und der Name von Felix Dorfer ist | |
| ebenso frei erfunden wie die Leidenschaft fürs Schwimmen. Wenn Opfer wie in | |
| diesem Fall ihren existenziell notwendigen Schutz aufbauen, schützen sie | |
| die Täter mit. | |
| Ein perfides Zwangsbündnis, das jedoch auch beispielhaft dafür ist, warum | |
| unzählige Geschichten im Dunkeln bleiben. Aber Müller möchte auch Licht ins | |
| Düstere bringen, dafür sensibilisieren, wie sexueller Missbrauch im Sport | |
| geschehen kann. Er will verbergen und aufdecken zugleich. Ein belastender | |
| Widerstreit der Gefühle. „Ich werde manchmal schon auch wütend, dass ich | |
| mir diese Gedanken um mögliche Opfer auch noch machen muss. Dass das alles | |
| an mir hängen bleibt. Ich frage mich dann, welche Gedanken sich eigentlich | |
| Felix macht, der für all das die Verantwortung trägt.“ | |
| Angefangen hat alles im Alter von sechs Jahren mit dem Eintritt von Michael | |
| Müller in die Schwimmabteilung eines großen renommierten Vereins. Schon die | |
| Mutter hatte in dem Großklub einen Teamsport betrieben. Felix Dorfer, | |
| Student, leitete damals die Schwimmabteilung. Seine Familie war eine | |
| Institution im Verein und Felix wurde allseits geschätzt. Ein erfolgreicher | |
| Schwimmer, herzlich, zuvorkommend. „Ein Typ, den Leute einfach mögen“, sagt | |
| Müller. | |
| ## Die ersten Fesseln | |
| Dorfer habe schon früh angefangen, sich um ihn zu kümmern, ein | |
| Vertrauensverhältnis aufzubauen. Es dauert nicht lang, da bietet Dorfer an, | |
| Michael doch an der Bushaltestelle abzuholen und mit dem Auto ins Training | |
| zu fahren, anfangs noch in Begleitung von zwei anderen Jungs. Er | |
| investierte Zeit und Aufmerksamkeit. An Geburtstag, Ostern und Weihnachten | |
| gibt es die ersten Geschenke. Wertschätzungen jeglicher Art von dem Mann, | |
| den alle so mögen. Sie begründen den Beginn einer exklusiven Bindung. Die | |
| ersten Fesseln sind gelegt. Müller erinnert sich: „Als ich in der | |
| Grundschule war, das war vielleicht in der dritten Klasse, sollten wir über | |
| unsere Helden schreiben. Ich habe über Felix und seinen muskulösen Körper | |
| geschrieben, und wie toll ich ihn fand.“ | |
| Als Michael Müller im Alter von zehn Jahren die Scheidung seiner Eltern | |
| erlebt und mehr denn je für Aufmerksamkeit und Zuwendung empfänglich ist, | |
| beginnt ein neuer Abschnitt. Felix Dorfer verbringt mit ihm immer mehr | |
| Zeit. In den Semesterferien sind sie ganze Tage und Nächte zusammen. Im | |
| Haus der Dorfers, in dem Felix und die Schwester jeweils ein eigenes | |
| Apartment bewohnen, wird ferngesehen, Billard und Minigolf gespielt. „Noch | |
| und nöcher“, erzählt Müller. Sie besuchen gemeinsam Sportveranstaltungen. | |
| In der Schwimmhalle häufen sich die Extraeinheiten. Gern auch | |
| Einzelschichten. | |
| Geschenke gibt es jetzt auch jenseits der großen Feste. Teure Sportschuhe | |
| und Klamotten zum Beispiel. Von wem er sie hat, verschweigt Müller lieber | |
| vor seinen Sportfreunden. Auch bei ihm zu Hause hat Dorfer freie Hand. Der | |
| Trainer übernachtet sogar im Zimmer seines Schützlings. Die Mutter findet | |
| offenbar nichts Besonderes daran, ist möglicherweise gar froh darüber, dass | |
| sich da jemand so intensiv um den Sohn kümmert. Das trägt mit dazu bei, | |
| dass Michael Müller all das normal findet. Es kommt zu den ersten sexuellen | |
| Übergriffen, die anhalten, bis er 15 Jahre alt ist. | |
| Ein Grauschleier hat sich bei Müller über diese Zeit gelegt. Nur spärliche | |
| Erinnerungen sind ihm zugänglich. Schlaglichtartige Szenen, Eckdaten, | |
| dazwischen gespenstisch große Leere. Da ist etwas, das ihm den Zugriff auf | |
| sein Gedächtnis nur sehr eingeschränkt erlaubt. Eine Art innerer Webmaster | |
| ist hier schützend im Spiel, der die extreme Belastung des Systems | |
| irgendwie zu regeln versucht, die düstersten Datensätze nicht aufploppen | |
| lässt. Ein Phänomen, das die Psychologen immer wieder bei schwer | |
| traumatisierten Menschen beobachten. Das System wird nur noch im | |
| Sicherheitsmodus hochgefahren. Gelebt wird lediglich Stand-by. | |
| ## Perverser Wunsch | |
| So sind die Erinnerungen an die ersten sexuellen Kontakte bei Müller nur | |
| indirekter Art. Sein Gedächtnis hat keinen Zugriff mehr auf das Erleben des | |
| ersten Samenergusses, den ihm Felix Dorfer beschert hat. Genau kann er sich | |
| jedoch an das schöne Gefühl erinnern, als er später bei der Masturbation | |
| erstmals einen Samenerguss selbst erlebte. „Oh toll“, dachte ich, „jetzt | |
| kann ich auch allein dahin kommen.“ Die Übergänge vom körperlichen zum | |
| sexuellen Kontakt zwischen Trainer und Schützling sind fließend. Für | |
| Pädophile hält der Sport geradezu paradiesische Angebote bereit. „Wir haben | |
| zusammen geduscht und bei Felix zu Hause im Keller sauniert. Dann fing er | |
| an, mich zu massieren.“ | |
| Der Missbrauch baut auf Einvernehmlichkeit auf. „Er hat mir keine Gewalt | |
| angetan, mich zu nichts gezwungen, mir keine Ultimaten gestellt.“ Trotz | |
| dieses seltsamen Grauschleiers ist sich Müller in diesem Punkt sicher. „Ich | |
| habe in der Quantität, aber nicht in der Qualität verdrängt.“ Müller | |
| bereitet diese Einvernehmlichkeit im Nachhinein große Probleme. „Wir haben | |
| uns gegenseitig zum Orgasmus gebracht. Und das war in dem Moment schön, | |
| fühlte sich gut an“, erzählt Müller. | |
| In der Rückschau ist dieses Gefühl für ihn nur schwer erträglich. „Es ist | |
| vielleicht pervers, aber heute wünsche ich mir manchmal, er hätte mir | |
| körperliche Gewalt angetan. Dann könnte ich das anderen Leuten sagen, die | |
| Geschichte erklärbarer machen.“ Müller hat damit zu kämpfen, dass er als | |
| Zehnjähriger nicht Nein gesagt hat. Es erfüllt ihn mit Scham, dass er sich | |
| benutzen ließ und dabei noch positive Empfindungen hatte. | |
| Wunschbrüder haben sie sich genannt. Nur 13 Jahre liegen zwischen ihnen. | |
| Und bei aller Selbstverständlichkeit des intimen Miteinanders ist eines | |
| unausgesprochen klar. Sie haben ein gemeinsames Geheimnis, das nicht nach | |
| außen dringen darf. „Ein stillschweigendes Abkommen, dessen | |
| Vertragsgrundlagen Müller heute noch schwer begreiflich sind. „Mir war | |
| nicht bewusst, dass da etwas Ungehöriges passierte, was ich keinem erzählen | |
| sollte, aber ich habe es dennoch niemandem erzählt. Er hat es sehr gut | |
| verstanden, mich zu isolieren. Ich weiß aber nicht, wie das genau | |
| funktioniert hat.“ | |
| ## Zerstörtes Grundvertrauen | |
| Spuren, die auf den Missbrauch hinweisen, gibt es indes genug. Es ist nur | |
| keiner da, der sie lesen kann oder will. Michael Müller fragt sich: „Was | |
| ist denn im Kopf meiner Mutter vorgegangen? Wer lässt denn einen | |
| Erwachsenen regelmäßig im Kinderzimmer übernachten? Im besten Fall war sie | |
| naiv, im schlimmsten hat sie das mitgesteuert.“ Die Mutter kann Müller | |
| nicht mehr fragen, sie starb früh an Krebs. Und sie, möglicherweise selbst | |
| Opfer eines sexuellen Missbrauchs, litt vermutlich an einer bipolaren | |
| Persönlichkeitsstörung. Dieses Bild ergibt sich, wenn Müller mit seinen | |
| Geschwistern die Puzzleteile aus der Vergangenheit zusammensetzt. Aber das | |
| ist eine andere Geschichte. | |
| „Das größte Trauma für mich ist, dass die Menschen, die ich am meisten | |
| geliebt habe, mich missbraucht, manipuliert oder nicht beschützt haben. Das | |
| hat mir mein Grundvertrauen in mich selbst und in die Menschen genommen. | |
| Damit habe ich heute noch zu tun.“ | |
| Auch der Vater stellt keine Fragen, wenn der Sohn aus dem Urlaub | |
| zehnseitige Briefe an Felix Dorfer schreibt. Im Verein will niemand wissen, | |
| wo denn der Trainer mit Michael nach dem Schwimmen hinfuhr, weshalb er so | |
| viele Einzeltrainingseinheiten mit ihm macht. | |
| Es entsteht ein dichtes, verschlungenes Geflecht emotionaler | |
| Abhängigkeiten, aus dem sich Müller nur im Zeitlupentempo lösen kann. Die | |
| zarten Anfänge seiner Emanzipation beginnen etwa mit 14 Jahren. Die | |
| Stagnation im Schwimmbecken gibt ihm Anlass, wütend auf den Trainer zu | |
| sein, sich lauthals einen besseren zu wünschen. Mit 15 Jahren, erinnert | |
| sich Müller, kommt es zu einer Schlüsselszene. „Bei der Begrüßung an der | |
| Haustür beugt sich Felix zum üblichen Kuss vor, und ich ziehe zurück. | |
| Danach hatten wir keinen sexuellen Kontakt mehr.“ Gesprochen wurde nicht | |
| darüber. Die Freundschaft wird jenseits des sexuellen Miteinanders | |
| fortgeführt, als wäre nichts passiert. Wieder so ein stillschweigendes | |
| Abkommen. | |
| ## Loslösung von der Überfigur | |
| Eine schwere Schulterverletzung und die Weigerung eines Arztes, ihn | |
| möglichst schnell wieder leistungssporttauglich zu machen, geben Michael | |
| Müller die Gelegenheit, ein weiteres dickes Tau zu kappen, das ihn mit | |
| Felix Dorfer verbindet: Er beendet seine Schwimmkarriere. Die „pervertierte | |
| Freundschaft“, wie sie Müller bezeichnet, hält jedoch weiter an. „Diese | |
| fünf, sechs Jahre danach“, erklärt er, „machen mir mehr Probleme als die | |
| Zeitspanne, in der der sexuelle Missbrauch stattfand.“ Trotz allen | |
| Unbehagens, trotz der ersten Gespräche über den Missbrauch mit seiner | |
| ersten Freundin, gelingt es ihm lange Zeit nicht, die Überfigur Felix | |
| Dorfer vom Sockel zu stoßen. Sich von dem Menschen zu lösen, der über viele | |
| Jahre alles für ihn war: Bruder, Vater, bester Freund. | |
| Und Dorfer macht weiterhin alles für ihn. Müller, der mittlerweile | |
| innerhalb des Vereins zu einem anderen Sport gewechselt ist, profitiert | |
| davon, dass sein ehemaliger Trainer im Klub in höchste | |
| Verantwortungsposition aufgerückt ist. Gibt es Probleme, braucht er nur | |
| seine Beziehung spielen zu lassen. Dass er davon Gebrauch gemacht hat, | |
| berührt Müller heute noch unangenehm. | |
| Der endgültige Bruch gelingt ihm erst Anfang zwanzig. Der letzte Kontakt, | |
| eine sehr besondere Szene. Sie könnte in einem Film spielen. Müller | |
| arrangierte ein letztes Treffen in der Stadt vor einem Geschäft. Er hat die | |
| Übergabe von ein paar persönlichen Dingen verlangt. „Er hat mir die Sachen | |
| gegeben, und ich habe ihm gesagt, dass ich mit ihm nie mehr etwas zu tun | |
| haben möchte“, erzählt Müller. Felix Dorfer hat das so hingenommen. Fragen | |
| hatte er keine. | |
| Seither hat sich Michael Müller intensiv mit sexuellem Missbrauch | |
| beschäftigt. Er hat viel darüber gelesen. Er weiß um die Skandale in Kirche | |
| und Internaten, die in Deutschland unterdessen eine gewisse Sensibilität | |
| für das Thema geweckt haben. Der Sport aber hat sich bislang eine gewisse | |
| Unbescholtenheit in der Öffentlichkeit bewahren können. „Wir sind dem Sport | |
| gegenüber viel zu unkritisch eingestellt“, findet Müller. „Dabei bietet er | |
| Pädophilen viel bessere Zugangsmöglichkeiten zu ihren potenziellen Opfern.“ | |
| ## Macht des Trainers | |
| Der Körper ist das Objekt der Ausbildung. Ob in der Schule oder im Verein, | |
| Körperkontakt gehört zum Sport dazu. Hilfestellungen, Haltungskorrekturen, | |
| Massagen und vieles mehr dienen der Verbesserung körperlicher Leistung. Die | |
| nackte Begegnung ist normal. Wer schwitzt, muss duschen. | |
| Hinzu kommt die große Macht, die Trainer haben. „Felix hatte die Macht, mir | |
| oder jemand anders die Schuhe zu geben, mir oder jemand anderes den | |
| Startplatz in der Staffel zu reservieren“, sagt Müller. Gerade im Sport | |
| funktioniere vieles über absoluten Gehorsam. „Wenn der Trainer sagt: | |
| ‚Spring!‘, dann springst du.“ | |
| Felix Dorfer konnte unter einer großen Zahl von Kindern genau Ausschau | |
| halten, wer ihm gefällt, wer zuwendungsbedürftig ist, wer zu Hause in | |
| emotional instabilen Verhältnissen lebt. Michael Müller hat einiges getan, | |
| um auf die Gefahr aufmerksam zu machen, die von Dorfer ausgeht. Er glaubt, | |
| dass „es eigentlich eher unwahrscheinlich ist, dass ich der Einzige bin, | |
| den er missbraucht hat“. So hat er anonyme Briefe an die Polizei, den | |
| Sportverein und die Schule, für die Dorfer arbeitet, geschrieben. Er hat | |
| sich mit einem Vorstandsmitglied des Klubs getroffen, um von seiner | |
| Geschichte zu erzählen. Er hat ihm bekannte Eltern gewarnt und zwei, drei | |
| alte Vereinskameraden danach gefragt, ob sie ähnliche Erlebnisse hatten. | |
| Hatten sie nicht, sagten sie. | |
| Seine Offensiven blieben folgenlos. Und viele wollten Müller nicht glauben. | |
| Der nette Felix soll so etwas getan haben? Unmöglich. Michael Müller ist an | |
| seine persönlichen Grenzen gestoßen, das Unglaubliche glaubhaft zu machen. | |
| Weiter möchte und kann er momentan nicht gehen. Er hat auch im Zuge der | |
| Gespräche mit der taz noch einmal darüber nachgedacht, ob er nicht doch | |
| einen investigativen Auftrag erteilen soll, nach weiteren Opfern aus der | |
| Zeit zu suchen. Drei mögliche Namen von damaligen Jungen gingen ihm durch | |
| den Kopf, die man kontaktieren, fragen könnte. „Aber was ist“, fragt | |
| Müller, „wenn wir tatsächlich ein weiteres Opfer finden. Welche | |
| Konsequenzen hat das für denjenigen? Der sagt dann vielleicht: ‚Da ruft ein | |
| Fremder an und bringt mein Leben völlig durcheinander, ohne dass ich danach | |
| gefragt habe.‘ Wie werden wir damit umgehen, wenn sich einer dieser Männer | |
| später das Leben nimmt?“ Michael Müller plagen so oder so weiter | |
| Gewissenbisse. | |
| Er sagt: „Damit werde ich mein Leben lang zu kämpfen haben.“ | |
| 1 Jan 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Johannes Kopp | |
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