| # taz.de -- Wissenschaftler über Kinderleistungssport: „Kinder wollen etwas … | |
| > Leistungssport im Kindesalter bedeutet hartes Training. Der | |
| > Sportwissenschaftler Alfred Richartz betont aber auch die Sicht der | |
| > Eltern und die Rolle der Übungsleiter. | |
| Bild: Ist das Erleben des Kindes im Leistungssport nicht auch abhängig vom Erl… | |
| taz: Herr Richartz, haben Sie Kinder? | |
| Alfred Richartz: Nein, leider nicht. | |
| Würden Sie Eltern raten, Kinder in den Leistungssport zu schicken? | |
| Wenn das Kind keinen Spaß am Training hat, dann würde ich natürlich nicht | |
| empfehlen, das Kind dahin zu zwingen. | |
| Welche Gründe sprechen dafür? | |
| Kindern macht es richtig Spaß, irgendetwas zu können, auch etwas mit ihrem | |
| Körper zu können: „Guck mal, Mama, Papa, was ich gerade gemacht habe.“ Das | |
| ist einer der wichtigsten Motoren für Kinder, sich mit Leistung | |
| auseinanderzusetzen. Die eigene Kompetenz zu erleben, ist ein menschliches | |
| Grundbedürfnis. | |
| Kinder wollen sich vergleichen und auch besser sein als andere. | |
| Ja, einerseits ist es der Vergleich mit anderen. Auf der anderen Seite | |
| wollen sie auch etwas können, was sie als Herausforderung empfinden. Wenn | |
| Kinder auf dem Spielplatz das Klettergerüst sehen, dann fragen sie nicht: | |
| Mama, heb mich da hoch. Sie wollen selber rauf. Das muss also nicht immer | |
| ein sportlicher Wettbewerb sein. In bestimmten Sportarten wie dem Turnen | |
| oder der Rhythmischen Sportgymnastik gibt es ja einen sehr frühen | |
| Leistungssporteinstieg. Da gibt es sehr viele Bewegungen, die Kinder sagen | |
| lassen: Wow, das sieht toll aus, das möchte ich auch können. | |
| Aber gerade in diesen Sportarten gibt es auch sehr früh hohe Belastungen | |
| und Drill. | |
| Das kommt aufs Training an. Es gibt Trainerinnen und Trainer im | |
| Leistungssport, die das pädagogisch exzellent machen – auch wenn man das | |
| vielleicht nicht erwartet. Es gibt aber, wie in jeder pädagogischen | |
| Profession, auch Trainerinnen und Trainer, die es weniger gut oder sogar | |
| schlecht machen. Die ganze Bandbreite gibt es im Leistungs- wie im | |
| Breitensport – es kommt also darauf an, zu unterscheiden und nicht alles in | |
| einen Topf zu werfen. | |
| Das hängt also jeweils ab von der individuellen Kompetenz? | |
| Ja. | |
| Welche Erfahrungen haben Sie in Ihren Untersuchungen gemacht? | |
| Wir haben geschaut, wie belastet sind Kinder und Jugendliche im | |
| Leistungssport unter dem Gesichtspunkt von chronischem Stress. Eine hohe | |
| zeitliche Trainingsbelastung führt im Kindesalter in der Tendenz nicht zu | |
| erhöhtem chronischen Stress. Das sind natürlich Durchschnittsangaben. Man | |
| muss trotzdem immer fragen: Wie geht es jedem einzelnen Kind? Ich empfehle | |
| den Eltern: Achten Sie auf Ihr Kind! Wie erlebt es den Sport? Welche | |
| Signale sendet es? | |
| Ist das Erleben des Kindes im Leistungssport aber nicht oft auch abhängig | |
| vom Erleben der Eltern? | |
| Wir haben die Kinder gefragt. Zum Beispiel: Meine Eltern möchten, dass ich | |
| besser bin im Sport. Oder: Ich glaube, meine Eltern sind mit meinen | |
| sportlichen Leistungen nicht zufrieden. | |
| Und? | |
| Auch in leistungsorientierten Gruppen, in Talentschulen des Deutschen | |
| Turner-Bunds, bejahen das nur fünf Prozent der Kinder. | |
| Nur fünf Prozent, die elterngesteuert sind? | |
| Diese Interpretation geht mir zu weit. Das sind Kinder, die das Gefühl | |
| haben, ihre Eltern erwarten von ihnen, dass sie die Leistung verbessern. | |
| Und 95 Prozent folgen ihrem freien Spieltrieb? | |
| Hm, frei und Spiel, so einfach funktioniert das im Leistungssport nicht | |
| mehr, da geht es schon um andere Ziele. Man kann sich aber dennoch frei | |
| fühlen, wenn man mit den Zielen des Leistungssports übereinstimmt und sagt: | |
| Ja, ich möchte so gut abschneiden in diesem Wettkampf, wie ich es irgend | |
| kann. Wenn ich dafür diese extreme Beweglichkeit haben muss, dann nehme ich | |
| das auf mich, auch wenn’s wehtut. | |
| Ist es nicht zu früh, wenn Sechsjährige, etwa im Turnen oder der | |
| Sportakrobatik, fast schon auf Leistungssportniveau trainieren? | |
| Auch im Wasserspringen oder der Sportgymnastik ist ein Einstiegsalter von | |
| fünf Jahren nicht unüblich. Wenn die Kinder freiwillig dahin gehen, wenn | |
| sie Spaß daran haben, wenn die Trainer auf die Kinder eingehen und ein | |
| gutes Verhältnis, eine vertrauensvolle Beziehung zu ihnen haben, wenn das | |
| Training in unterstützendem, positivem Ton vor sich geht, wenn die | |
| Trainerinnen und Trainer eine gute Wahrnehmung für die Gefühle der Kinder | |
| haben und darauf angemessen reagieren können, wenn Training ohne | |
| Einschüchterung, Lautstärke und Strafen abläuft, dann wüsste ich nicht, was | |
| dagegen einzuwenden wäre. Ich bin allerdings kein Mediziner. Unter welchen | |
| Umständen welche Trainingsbelastungen zu orthopädischen Folgeschäden | |
| führen, das festzustellen ist Aufgabe anderer Wissenschaftsdisziplinen. Ich | |
| bin Sozialwissenschaftler. | |
| Reicht denn nicht Breitensport für Kinder völlig aus? Muss es überhaupt | |
| Leistungssport sein? | |
| Eltern und Kinder sind frei darin, sich zu entscheiden, welcher Sport für | |
| sie richtig ist. Ich wüsste nicht, warum man Leistungssport für Kinder | |
| verbieten sollte. Die Kinder, die das machen, haben auch sehr intensive | |
| positive Erlebnisse. Und das Interesse der Eltern bedeutet ja nicht immer, | |
| dass sie nur Druck machen. Es ist auch ein Zeichen der Zuwendung, wenn sie | |
| bei jedem Training dabei sind und das Kind viermal die Woche zum Training | |
| fahren. | |
| Hat sich die Rolle der Eltern in den letzten zwei, drei Jahrzehnten | |
| verändert? | |
| Die Rolle der Eltern insgesamt in der Gesellschaft hat sich geändert. Es | |
| gibt eine viel größere emotionale Nähe und einen kleineren hierarchischen | |
| Abstand, überdies eine starke Abnahme von Gewalt im Austragen von | |
| Konflikten. Diese veränderte Beziehung finden wir natürlich auch im Sport. | |
| Es gibt im jugendlichen Leistungssport sexuelle Übergriffe, vereinzelt | |
| Medikamentenmissbrauch. Müsste man nicht sagen: Liebe Eltern, Finger weg | |
| vom Leistungssport? | |
| Nein, das halte für eine völlig falsche Herangehensweise. Die Risiken | |
| existieren. Wir wissen, dass sexuelle Übergriffe praktisch überall | |
| passieren können, wo Kinder in Obhut sind. Die Konsequenz kann nur sein, | |
| von allen Institutionen zu verlangen, dass sie ihren Fürsorgepflichten | |
| gerecht werden und Präventionsmaßnahmen implementieren. Die Deutsche | |
| Sportjugend hat hervorragende Materialien zur Prävention von sexuellem | |
| Missbrauch erstellt. Ob die Vereine das immer praktisch umsetzen, ist eine | |
| andere Frage. | |
| 14 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Markus Völker | |
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