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# taz.de -- Missbrauchsfälle im US-Leistungsturnen: Luftige Versprechen
> Simone Biles beeindruckt bei den Turnmeisterschaften in den USA, während
> der Verband bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals versagt.
Bild: Simone Biles eine der erfolgreichsten US-Leistungsturnerinnen; auch sie i…
Es war ein triumphales Comeback. Simone Biles demonstrierte nach
zweijähriger Pause nicht nur, dass sie immer noch die beste Kunstturnerin
auf diesem Planeten ist. Sie zeigte am vergangenen Wochenende bei den
US-Meisterschaften in Boston, dass sie während ihrer Abwesenheit womöglich
noch besser geworden ist. Souverän gewann sie alle Einzelgeräte und im
Mehrkampf mit 6,55 Punkten Vorsprung. Dermaßen groß war der Abstand zur
Zweitplatzierten, dass sich Biles auch Stürze hätte leisten können.
Vor einem Monat bei den US Classics in Columbus, ihrem allerersten Auftritt
seit den Olympischen Spielen 2016, wo sie viermal Gold gewann, hatte sich
Biles noch ein paar kleinere Fehler geleistet. In Boston präsentierte sie
nahezu perfekte Übungen und holte zum fünften Mal den US-Mehrkampftitel –
das hatte bislang noch keine Turnerin geschafft. „Simone Biles schreibt
Geschichte. Schon wieder“, schrieb Sports Illustrated. Sie selbst sah
allerdings noch Luft nach oben und gab sich eine „Zwei plus“.
Noch wichtiger als die sportliche Dominanz aber war die Farbe des
Turnanzugs, den Biles während ihres Triumphzugs trug. Das helle
Smaragdgrün, in dem die 21-Jährige an die Geräte ging, wird in den USA auch
für Schleifen benutzt, mit denen die Aufmerksamkeit auf sexuellen
Missbrauch gelenkt werden soll. Die hautenge Trikotage war ein Statement:
Der Missbrauch im US-Turnverband darf nicht vergessen werden.
Erst im Januar hatte Biles öffentlich gemacht, dass auch sie zu den Opfern
von Larry Nassar gehört. [1][Nassar hatte in seiner Funktion als Teamarzt
der US-Turnerinnen und an der Michigan State University Hunderte von
Sportlerinnen sexuell missbraucht.] Dreihundert Athletinnen haben sich
bislang als Opfer geoutet, darunter alle fünf Turnerinnen der legendären
„Fierce Five“, die 2012 in London olympisches Gold gewann, und vier
Turnerinnen der ebenfalls mit Gold dekorierten Riege von Rio de Janeiro
2016.
## Ex-Teamarzt Nassar mittlerweile in Haft
Mittlerweile sitzt Nassar in einem Gefängnis in Oklahoma ein. Das
„Monster“, wie Aly Raisman, Kapitänin der beiden siegreichen
Olympia-Riegen, den ehemaligen Team-Doktor bezeichnete, wurde im Sommer
2017 zu 60 Jahren wegen des Besitzes von Kinderpornografie verurteilt. Im
Januar 2018 bekam er in einem weiteren Verfahren 40 bis 175 Jahre für
sieben sexuelle Angriffe auf Minderjährige, die er gestanden hatte, und
einen Monat später noch einmal 40 bis 125 Jahre für drei weitere Fälle.
Das in der Summe absurde Strafmaß, das der 55-jährige Nassar natürlich
niemals wird absitzen können, darf nicht verdecken, dass sich der
US-Turnverband schwertut mit der Aufarbeitung des Missbrauchs. Noch immer
mahnen Opfer an, dass auch mit der Verurteilung nicht jene Strukturen und
die Kultur des Wegsehens und Vertuschens aufgebrochen werden, die es erst
möglich gemacht haben, dass Nassar über Jahrzehnte sein Unwesen treiben
konnte.
Auch die neue Verbandspräsidentin Kerry Perry tauchte nach ihrer Wahl ab.
Erst bei den Meisterschaften in Boston, acht Monate nachdem sie das Amt
übernommen hatte, äußerte sie sich öffentlich. Doch während ihrer
22-minütigen Pressekonferenz blieb sie demonstrativ vage. Konkrete
Maßnahmen? Strukturveränderungen? Fehlanzeige. Stattdessen luftige
Ankündigungen, man werde künftig ganz im Sinne der Athletinnen handeln.
Diese sind allerdings nicht gefragt: Sowohl Raisman als auch Biles, die
beiden Aushängeschilder des US-Turnens, hatten sich im Vorfeld der
Meisterschaften verwundert gezeigt, dass sich die Verbandschefin bislang
nicht mit ihnen getroffen hatte.
Eher scheinen sich Perry und ihr Verband um die Finanzen zu sorgen. Die
Meisterschaften fanden vor halbleeren Rängen und nahezu werbefrei statt.
Durch den Skandal hat USA Gymnastics nahezu alle seinen Sponsoren verloren,
nicht nur Under Armour und Kellog’s haben die Zusammenarbeit beendet. Man
führe positive Gespräche, verkündete Perry, und hoffe, bald neue Sponsoren
präsentieren zu können.
Da kommt die Rückkehr von Biles natürlich gerade recht. Umso wichtiger,
dass die womöglich beste Turnerin aller Zeiten ihr Comeback dazu nutzt, auf
die immer noch schwelenden Probleme im Leistungsturnen aufmerksam zu
machen.
21 Aug 2018
## LINKS
[1] /Sexueller-Missbrauch-bei-US-Turnern/!5474696
## AUTOREN
Thomas Winkler
## TAGS
Turnen
US-Sport
Missbrauchsopfer
sexueller Missbrauch
Turnen
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Sexuelle Übergriffe
Leistungssport
Schwerpunkt Sport trotz Corona
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