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# taz.de -- Deutsche Turnerinnen beklagen Gewalt: Ende der trügerischen Stille
> Der Deutsche Turner-Bund sieht sich einer drohenden MeToo-Bewegung
> gegenüber. Es mehren sich die Berichte über physische und psychische
> Gewalt.
Bild: Scheinbare Harmonie: Bodyshaming durch Trainer ist keine Seltenheit im de…
Es war ein Statement der Hilflosigkeit. Man habe keine rechtlichen
Möglichkeiten, hieß es in einem Erklärung des Deutschen Turner-Bunds (DTB)
am Mittwoch, „eine Tätigkeit von Herrn Beltman für die TuS Chemnitz
Altendorf zu verhindern“. Der niederländischen Trainer Gerrit Beltman wurde
bereits 2013 in seiner Heimat von Turnerinnen beschuldigt, psychische und
physische Gewalt im Training an ihnen verübt zu haben.
Seiner Karriere hat das nicht geschadet. Von 2014 bis 2016 betreute er in
Chemnitz Leistungsturnerinnen. Und auch nachdem er vergangenen Juli
erstmals zumindest die Vorwürfe der psychischen Gewalt einräumte, konnte er
in Chemnitz im August wieder eine Stelle am Bundesstützpunkt antreten.
[1][Das legte diese Woche der Spiegel offen.]
Der DTB erklärte, davon gewusst und dieses Mal aufgrund der jüngsten
Bekenntnisse von Beltmann dessen Engagement offen abgelehnt zu haben. Keine
Bedenken hatte aber die Leitung des Bundesstützpunkts in Chemnitz, die
gegenüber dem Spiegel darauf hinwies, es hätte auch aus Sicht des
sächsischen Landesturnverbands, des Landessportbunds und des
Olympiastützpunkts keine Einwände gegeben.
Dieses organisierte Versagen und das Eingeständnis der Machtlosigkeit des
DTB passt so gar nicht in das Bild eines fürsorglichen und
verantwortungsvollen Verbands, das die Funktionäre gerade angesichts einer
drohenden MeToo-Bewegung drangsalierter Turnerinnen in Deutschland zeichnen
möchten. [2][Ende November hatte nämlich Weltmeisterin Pauline Schäfer] und
fünf Mitstreiterinnen dem Spiegel von Erniedrigungen und brutalen,
schmerzbilligenden Übungseinheiten bei der Chemnitzer Stützpunkttrainerin
Gabriele Frehse berichtet.
Größer werdender Aufklärungsbedarf
Die 60-Jährige, die alle Vorwürfe abstreitet, soll sich auch für die
Einstellung des Niederländers Beltman eingesetzt haben. Die Vorwürfe aus
Chemnitz, versicherte der DTB, [3][verstießen gegen die Werte des
Verbands], man werde sie „unverzüglich unabhängig aufklären lassen“.
Der Aufklärungsbedarf ist mittlerweile allerdings größer geworden. [4][Das
Geschwisterpaar Naomi und Ruby van Dijk folgten via Facebook] am 1.
Dezember dem Beispiel von Pauline Schäfer und berichteten ihrerseits von
Drangsalierungen durch einen Trainer am Stützpunkt Bergisch-Gladbach.
Bestätigt wurden diese Vorwürfe wiederum von anderen Turnerinnen.
Die ehemalige Kaderathletin Svenja Hickel etwa [5][berichtete ebenfalls via
Facebook] von massiven Wutattacken dieses Betreuers („Was isst du, dass du
so fett bist?!“), wenn beim täglichen Wiegen das Gewicht vom Vortag
übertroffen wurde. Irgendwann habe sie deshalb im Training selbst bei
höchsten Temperaturen aufs Trinken verzichtet.
Beim Wettkampf habe sie sich einmal den Fuß verletzt und sei zum
Weitermachen genötigt und wegen eines verpatzten Abgangs angeschrien
worden. Ein anderes Mal sei das absolute Sportverbot eines Arztes von ihrem
Trainer ignoriert worden. Auch der zuständige Rheinische Turnerbund (RTB)
hat nun Aufklärung im Fall Bergisch-Gladbach versprochen.
## Ombudsstelle für Gewaltprävention
Svenja Hickel warnt allerdings davor, sich in der Aufarbeitung der
Vorkommnisse nur auf einzelne Trainer:innen zu schauen. „Denn die Probleme
werden durch das System provoziert.“ Es sei ein System des Wegschauens. Der
Deutsche Turner-Bund wiederum hat kürzlich versichert: „Wir stehen für eine
Kultur des Hinsehens und des Handelns.“
Fraglos hat sich beim DTB zuletzt etwas bewegt. Infolge der Skandale im
US-Turnverband, wo sich sexualisierte Gewalt durch den Teamarzt Larry
Nassar mit einem rücksichtslosen Regime der Leistungssteigerung verband,
haben sich unter dem Hashtag #gymnastAlliance viele Turnerinnen mit ihren
Geschichten gemeldet. Die strukturellen Probleme des Turnens scheinen
universal, die Stille in Deutschland trügerisch zu sein.
Eine Ombudsstelle für Gewaltprävention physischer, psychischer oder
sexueller Gewallt hat der DTB 2019 eingerichtet. Betroffene können sich
dort auch anonym melden. In diesem Jahr wurde ein Präventions- und
Interventionskonzept gegen sexualisierte Gewalt eingeführt. Inwieweit diese
Maßnahmen nun, da das Schweigen gebrochen wurde, vertrauensbildend sind und
greifen können, hängt stark davon ab, wie transparent und nachhaltig der
DTB die Aufarbeitung vorantreibt, wie sehr man strukturelle Problem mit in
den Blick nimmt, wie unabhängig die vom DTB bezahlte Rechtsanwaltskanzlei
wirklich nachforschen kann.
Man wird bis in die eigenen höchsten Kreise ermitteln müssen. Die ehemalige
Leistungsturnerin Désirée Baumert, die wegen Magersucht klinisch behandelt
werden musste, erzählte dieser Tage [6][den Badischen Neuesten Nachrichten
] von demütigenden Zurechtweisungen durch Trainer Dieter Koch vor knapp
zehn Jahren im Rahmen von DTB-Lehrgängen. Im olympischen Trainingszentrum
in Kienbaum habe er vor dem versammelten Team gesagt: „Ihr dürft alle ein
Stück Schokolade essen, nur du nicht Desi, du bist dick genug.“ Der
ehemalige Chefbundestrainer ist der Ehemann der aktuellen DTB-Cheftrainerin
Ulla Koch.
18 Dec 2020
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/sport/turnen-trainer-gerrit-beltman-arbeitet-in-chem…
[2] /Turn-Weltmeisterin-Schaefer-ueber-Gewalt/!5728807
[3] https://www.dtb.de/weitere-nachrichten/nachrichten/artikel/zur-aktuellen-be…
[4] https://www.facebook.com/Naomi-und-Ruby-van-Dijk-Fanklub-197396888036/
[5] https://www.facebook.com/photo?fbid=10214829477085520&set=pcb.102148290…
[6] https://bnn.de/sport/kunststurnen-turnen-missstaende-druck-baumert-vorwuerf…
## AUTOREN
Johannes Kopp
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