# taz.de -- Vergewaltigungsskandal in Frankreich: Er bat bloß um „Pardon“ | |
> Ein Vergewaltigungsskandal erschüttert den französischen Eiskunstlauf. | |
> Die frühere Weltklasse-Paarläuferin Sarah Abitbol erhebt schwere | |
> Vorwürfe. | |
Bild: Sarah Abitbol Ende Januar in Paris | |
Mit ihrem Buch „Un si long silence“ („Ein so langes Schweigen“) hat die | |
frühere französische Eiskunstläuferin Sarah Abitbol einen Skandal | |
ausgelöst, der nicht nur die Sportwelt erschüttert. Erst die weltweite | |
#MeToo-Kampagne hat es der heute in den USA lebenden Ex-Paarläuferin | |
erlaubt, an die Öffentlichkeit zu gehen. In ihrem Ende Januar erschienenen | |
[1][Buch] beschuldigt die heute 54-Jährige ihren früheren Trainer Gilles | |
Beyer, sie vergewaltigt zu haben, als sie 15 Jahre alt war. | |
Er war damals 35, und sie war eines der ganz großen Talente des | |
französischen Eiskunstlaufs. Unter Beyers Leitung war sie in einem | |
mehrwöchigen Trainingslager in Roche-sur-Yon. „Er hatte die Angewohnheit, | |
mit der Taschenlampe zu kommen, um zu schauen, ob die Mädchen auf ihrem | |
Stockwerk und die Jungs auf ihrem waren“, berichtet sie. „Eines Tages | |
weckte mich der Trainer mit seiner Lampe und setzte sich auf mein Bett. Er | |
näherte sich langsam und begann, mich zu küssen.“ Sie fühlte sich außer | |
Stande, sich zu wehren, es waren „schreckliche Dinge“. | |
Sie waren nur der Anfang. In ein geheimes Tagebuch, das sie 30 Jahre später | |
wieder hervorholte, hatte sie mit Kürzeln notiert, was Beyer ihr zwischen | |
1990 und 1992 angetan hatte: P für „pelotée“ (betatscht), C für „couch… | |
(Beischlaf). Beyer, der das Vertrauen von Abitbols Eltern, des Klubs und | |
des Verbands besaß, sagte ihr: „Das ist unser Geheimnis.“ Sie litt an ihrer | |
Angst, ihre sportliche Laufbahn ging vorzeitig zu Ende. „Ich wog noch 42 | |
Kilo, ich schwankte auf dem Eis.“ Eine Tour bei „Holiyday on Ice“ musste | |
sie abbrechen. | |
Ihren Eltern, die für ihre Karriere große Opfer gebracht hatten, konnte sie | |
erst 2004 gestehen, was Beyer ihr angetan hatte. Selbst damals traute sie | |
sich nicht, ihn anzuzeigen. Als Beyer im Beisein von Sarahs Eltern mit den | |
Vorwürfen konfrontiert wurde, stritt er sie gar nicht ab. Er bat bloß um | |
„Pardon“. | |
Das ist auch jetzt, wo das Buch für Schlagzeilen sorgt, seine Reaktion: Er | |
bittet bloß um Verzeihung für „ungehörige intime Beziehungen“. Eine | |
Verurteilung braucht er nicht zu fürchten, die Taten sind verjährt. Und | |
andere berufliche Sanktionen? Auf Weisung des Sportministeriums ist er | |
schon seit Jahren nicht mehr als Trainer tätig, gehörte aber nach | |
Informationen des Magazins [2][Nouvel Obs] noch Anfang 2020 zur Leitung des | |
Klubs Français Volants, dem auch Abitbol angehört hatte. | |
## „Wir haben ein Dossier, können aber nichts machen“ | |
Der ehemalige Olympiasieger im Säbelfechten Jean-François Lamoureux, der | |
von 2002 bis 2007 Sportminister war, teilte Sarah Abitbol lakonisch mit: | |
„Ja, wir haben über Beyer ein Dossier, aber wenn du ihn nicht anzeigst, | |
können wir nichts machen.“ Einer anderen Eisläuferin, Laetitia Hubert, die | |
sich vorher schon bei Lamoureux wegen sexueller Belästigung durch Beyer | |
beklagt hatte, soll der Minister gesagt haben: „Es ist normal, sich in | |
diesem Alter in den Trainer zu verlieben.“ | |
Hélène Godard war sogar erst 13 und lebte in einem Sportinternat, als sich | |
Beyer zum ersten Mal an ihr verging. Aus Scham wagte sie es nicht, etwas zu | |
sagen, sie wechselte jedoch den Trainer. Doch der neue, Beyers Freund | |
Jean-Pierre Raclé, habe sie während zwei Jahren mehrmals vergewaltigt, | |
berichtet sie nun in Nouvel Obs. Raclé streitet ab, vor ihrem 18. | |
Lebensjahr Sex mit ihr gehabt zu haben, und behauptet, sie sei | |
einverstanden gewesen. | |
Wie Sarah Abitbol schildert auch Godard, dass nicht nur ihre sportliche | |
Karriere, sondern ihre gesamte Existenz an den Folgen dieser Gewalttaten | |
scheiterte: Depressionen, Anorexie, sexuelle Blockierung. Mit 35 versuchte | |
sie, sich das Leben zu nehmen. | |
Mutiger war Anne-Line Rollande. Sie war 15, als sie 1995 eine Strafanzeige | |
wegen Vergewaltigung gegen ihren Trainer Pascal Delorme einreichte. Sechs | |
andere Eisläuferinnen taten es ihr gleich, und Delorme wurde zu zehn Jahren | |
Haft verurteilt. In der französischen Eiskunstlauf-Familie aber wurde das | |
unter den Teppich gekehrt, und Rollande galt als diejenige, die einen | |
Trainer ins Gefängnis gebracht hatte. Ihr Bruder Vivien Rollande, | |
Ex-Champion im Paarlaufen, sagt: „Im Eislaufen werden ungesunde | |
Wertvorstellungen von Generation zu Generation weitergereicht; am Ende | |
haben wir einen ganzen Stammbaum zerbrochener Kinder.“ | |
Wird aufgrund des Wirbels um Sarah Abitbols Buch nun aufgeräumt? Am Montag | |
hat Sportministerin Roxana Maracineanu den Chef des Eissportverbands, | |
Didier Gailhaguet, zu sich bestellt und danach seinen Rücktritt verlangt, | |
weil der passiv zugeschaut hatte. Gailhaguet weigert sich jedoch, | |
Konsequenzen zu ziehen. | |
5 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.lemonde.fr/sport/article/2020/02/01/le-si-long-silence-de-sarah… | |
[2] https://www.nouvelobs.com/droits-des-femmes/20200203.OBS24330/sarah-abitbol… | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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