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# taz.de -- MeToo-Debatte in Frankreich: Tatort Kommunalpolitik
> Ein Student nimmt sich das Leben. Auf Twitter hatte er zuvor behauptet,
> zwei Kommunalpolitiker der Kommunistischen Partei hätten ihn
> vergewaltigt.
Bild: Eines der Studentenwohnheime am Crous de Nanterre
Paris taz | Im Studentenwohnheim der Universität Nanterre im Westen von
Paris ist am Dienstag der 20-jährige Guillaume T. tot aufgefunden worden.
Laut Angaben der Polizei, die von einem Suizid ausgeht, hat sich der junge
Mann erhängt. Noch ist nicht bekannt, ob er eine Erklärung hinterlassen
hat.
Doch am 21. Januar hatte derselbe Guillaume T. auf Twitter enthüllt, dass
zwei bekannte Pariser Lokalpolitiker des Parti Communiste Français (PCF)
ihn im Oktober 2018 vergewaltigt hätten. Er nannte in seiner Anschuldigung
den Kommunalrat Maxime Cochard und dessen Partner Victor Laby beim Namen.
Beide reagierten sofort mit einem kategorischen Dementi („total falsche
Anschuldigung“) und mit einer Klage wegen Verleumdung: Der Sex mit dem
damals 18-Jährigen sei in keiner Weise erzwungen worden, es habe ein
„Einverständnis“ unter Erwachsenen bestanden.
Ohne dies angeblich wirklich beabsichtigt zu haben, löste Guillaume T., der
in Nanterre als Student der Verwaltungsökonomie eingeschrieben war, mit
seinem Zeugnis auf Twitter unter dem Pseudonym Prunille eine weitere
[1][Kampagne der öffentlichen Anprangerung von sexuellen Aggressionen] mit
dem Hashtag #MeTooGay, dieses Mal also ausdrücklich von Homosexuellen, aus.
Sie hat es inzwischen Hunderten von Opfern von sexuellen Aggressionen und
Vergewaltigungen in Frankreich ermöglicht, häufig viele Jahre später und
oft zum allerersten Mal öffentlich zu sagen, dass auch sie in der
Vergangenheit und in ihrer Jugend Ähnliches erlitten, bisher aber meistens
[2][verschwiegen] hätten. Der Schock in der Pariser Gay-Szene, aber auch in
der kommunalen Linken der Hauptstadt, ist gewaltig.
## Überwältigendes Echo
Das Echo der Reaktionen auf seinen persönlichen Twitter-Beitrag war für
Guillaume T. überraschend und überwältigend. Bereits am Tag nach der
Veröffentlichung seines Tweets hatte er gegenüber der Zeitung Le Monde
seine Anschuldigung bestätigt.
„Ich war damals 18 Jahre alt, im letzten Jahr der Mittelschule, ich war
verwundbar. Denn wegen Problemen mit der Familie hatte ich keine Wohnung
und wusste nicht, wo ich schlafen konnte. Ich habe mehrmals bei ihnen (beim
angeschuldigten Paar der PCF-Politiker, Anm. d. Red.) übernachtet. Sie
haben meine Jugendlichkeit und meine Naivität missbraucht, um
Geschlechtsbeziehungen mit mir zu haben. Ich habe mehr als zwei Jahre
gebraucht, um zu begreifen, dass ich dazu keine Zustimmung gegeben hatte,
und dass ‚Vergewaltigung‘ das richtige Wort dafür ist. Es war eben einfach,
so zu tun, als wäre nichts passiert.“
Wie der Medizinische Dienst der Universität, der nur ein paar Schritte vom
Wohnheim entfernt ist, der taz auf Anfrage mitteilte, habe sich sich
Guillaume T. dort weder in ärztlicher noch psychologischer Betreuung
befunden. Am Donnerstag haben seine Kommiliton:innen vor dem
Parteilokal des PCF in Paris demonstriert
Guillaume T. war laut Le Monde vor einem Jahr als Mitglied aus der PCF
ausgetreten. Sie hat jetzt den beschuldigten Maxime Cochard bis auf
Weiteres aller Funktionen enthoben. „Unseren Grundwerten getreu fordert die
PCF Wahrheit und Gerechtigkeit für Guillaume“, teilte die lokale
Parteileitung den Medien mit.
## Politische Konsequenzen
Die Affäre dürfte trotzdem politische Konsequenzen haben. Die
sozialistische Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, die in einer
Koalition mit Grünen und Kommunisten regiert, hat ihre Solidarität mit der
Twitter-Kampagne erklärt: „Mit seinem mutigen Zeugnis hat dieser engagierte
junge Student dazu beigetragen, dass sich in einer beispiellosen Welle die
Zungen lösen.“
Seitens der Grünen bedauerte Vize-Bürgermeister David Belliard, dass „die
Justiz ineffizient im Kampf gegen sexuelle Gewalt“ sei, aber auch, wie sehr
„in unserem LGBT-Milieu spezifische Beratungsstellen fehlen, um solche
Tragödien zu vermeiden.“ Den „politisch aktiven Organisationen“ (in dies…
Fall dem PCF) wirft Belliard vor, sie habe es „nicht verstanden,
diejenigen, die auspacken, zu schützen und zu begleiten“.
Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie
können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0 111
oder 08 00/111 0 222) oder www.telefonseelsorge.de besuchen.
11 Feb 2021
## LINKS
[1] /Missbrauchsdebatte-in-Frankreich/!5743771
[2] /Anschuldigungen-gegen-Roman-Polanski/!5639862
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Schwerpunkt #metoo
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