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# taz.de -- Missbrauch im Sport: Sicher schwimmen
> Eine Untersuchung stellt dem Deutschen Schwimm-Verband ein miserables
> Zeugnis im Umgang mit sexualisierter Gewalt aus. Neue Regeln sollen es
> nun richten.
Bild: Angstfrei vom Startblock: Der DSV positioniert sich gegen interpersonale …
Berlin taz | Die Geschichte des Wasserspringers Jan Hempel gehört zu den
dunkelsten Kapiteln der jüngeren deutschen Sportgeschichte. In den 1980er
und 1990er Jahren wurde zweifache Medaillengewinner bei Olympischen Spielen
von seinem mittlerweile verstorbenen Trainer in einer verstörenden Frequenz
gedemütigt, sexuell angegangen und vergewaltigt. In der ARD-Dokumentation
„Missbraucht – Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport“ [1][machte
Hempel seine Erfahrungen 2022 öffentlich].
Nachdem Hempel angekündigt hatte, den Deutschen Schwimm-Verband auf
Schadensersatz und Schmerzensgeld zu verklagen, kam es zu einer
außergerichtlichen Einigung, in der der Verband sich zur Zahlung von
600.000 Euro verpflichtete. Zudem richtete der DSV eine „Unabhängige
Aufarbeitungskommission zu Sachverhaltskomplexen interpersonaler Gewalt im
Deutschen Schwimmsport“ ein. Die hat nun ihren Abschlussbericht vorgelegt,
in dem sie auch Handlungsempfehlungen für den Schwimmsport formulierte.
Der DSV hat den 120 Seiten umfassenden Bericht entgegengenommen und fühlt
sich verpflichtet, die Handlungsempfehlungen der Sportrechtlerinnen
Caroline Bechtel und Martin Nolte sowie der Sportsoziologinnen Fabienne
Bartsch und Bettina Rulofs, allesamt von der Sporthochschule Köln,
umzusetzen. „Allen im DSV Organisierten steht ein Recht auf sicheren
Schwimmsport zu“, lässt sich DSV-Präsident David Profit in einer
Pressemitteilung zum Eingang des Berichts zitieren.
Das hätte ein DSV-Präsident gewiss auch zu der Zeit gesagt, als Jan Hempel
unter seinem Trainer zu leiden hatte. Nun soll am 30. November auf der
DSV-Mitgliederversammlung ein Leitantrag mit dem Titel „Recht auf sicheren
Schwimmsport“ verabschiedet werden. Wichtiger als dieses Bekenntnis ist
gewiss die Umsetzung geeigneter Maßnahmen zur Prävention. Es gilt ein
Umfeld zu schaffen, das Missbrauch, sexualisierte Gewalt und übergriffiges
Verhalten in Wort und Tat zu verhindern hilft.
## Systemisches Problem
Ein solches gibt es bislang im DSV nicht. Das gehört zu den zentralen
Erkenntnissen des Berichts, der [2][in einer 19-seitigen Kurzform] auch der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Den Vorwürfen aus der
ARD-Dokumentation wurde noch einmal intensiv nachgegangen, zum allergrößten
Teil wurden sie bestätigt. Dass Hempels Trainer sich so lange an seinem
Vorzeigeathleten vergehen konnte, obwohl „die damalige Bundestrainerin im
Wasserspringen ab einem bestimmten Zeitpunkt von den Vorfällen wusste“, ist
einer der zahlreichen erschütternden Sätze aus dem Bericht, die für ein
systemisches Versagen im deutschen Schwimmsport sprechen.
Das reicht bis in die jüngste Vergangenheit. So habe der Verband im Fall
des Vorwurfs sexualisierter Belästigung während der Olympischen Spiele 2021
in Tokio bei der Kommunikation mit den Betroffenen versagt.
Ob der organisierte Sport nun einer der zentralen Feststellungen des
Berichts folgen möchte, wird sich zeigen. Denn darin geht es um die Frage,
inwieweit ein menschenfreundlicher Leistungssport überhaupt möglich ist.
„Der Erfolg eines Sportverbands zeigt sich nicht nur in Medaillen, sondern
in seiner Fähigkeit, Athlet*innen vor Gewalt und Machtmissbrauch zu
bewahren und eine Kultur des Respekts zu fördern,“ wird Fabienne Bartsch,
eine der Autorinnen des Berichts, auf der Website des DSV zitiert.
Und in dem Bericht selbst heißt es: „Eine primäre Ausrichtung auf den
sportlichen Erfolg trägt nach Ansicht der Kommission dazu bei, dass
Athlet:innen ihre Bedürfnisse und ihr Wohlbefinden den sportlichen
Zielen und Siegen unterordnen.“ So entstünden „Strukturen, Abhängigkeiten
und Hierarchien, die die Ausübung und Verdeckung von sexualisierter Gewalt
ermöglichen.“ Der Schwimmsport ist wegen der „körperlichen Nähe beim
Training, bei Umkleide- und Duschsituationen sowie dem hohen Grad an
Nacktheit“ hier besonders anfällig.
## Recht auf Abstand
Hier soll die Präventionsarbeit ansetzen. Eltern, Athleten und Trainer
sollten über sexualisierte Gewalt und deren Definition aufgeklärt werden,
es sollen Regeln formuliert, gegebenenfalls ein „Recht auf Abstand“
definiert werden. Und es sollen Orte geschaffen werden, an die sich
Betroffene wenden können. Darüber hinaus soll es härtere
Sanktionierungsmaßnahmen für die Täter geben, eine „Null-Toleranz-Politik
gegenüber Sexualstraftäter*innen im Schwimmsport“, wie das der DSV
in seiner Mitteilung für sich übersetzt.
Die Verbands- und Vereinssatzungen sollten so formuliert werden, dass auch
Strafen für Taten ausgesprochen werden können, die unterhalb der
strafrechtlichen Relevanz liegen. Nur wenn es die Satzungen hergeben,
können etwa auch verbale Entgleisungen zu Hallenverweisen oder
Klubausschlüssen führen. Hauptamtliche Klubangestellte sollen dem Regelwerk
genauso unterliegen wie ehrenamtliche Trainer.
Vieles, was in dem Bericht vorgeschlagen wird, soll demnächst für alle im
Deutschen Olympischen Sportbund organisierten Verbände gelten. Mitte
Oktober hatte der DOSB den „Safe Sport Code“ vorgestellt, ein
„Muster-Regelwerk gegen interpersonale Gewalt“. Darüber soll auf der
Mitgliederversammlung des Dachverbands am 7. Dezember abgestimmt werden.
Dann wären alle Verbände verpflichtet, die darin formulierten Regeln bis
2028 in ihrem Zuständigkeitsbereich zu implementieren.
Eine zentrale Rolle spielen darin die Anlaufstellen für Betroffene
sexualisierter Gewalt. An dieser Stelle gibt es Kritik von der unabhängigen
Interessenvertretung Athleten Deutschland. Sie fordert, dass Sportlerinnen
grundsätzlich das Recht haben sollten, sich im Zweifel an eine
verbandsunabhängige Stelle wenden zu können. Das sei [3][in der
Musterfassung, die der DOSB veröffentlicht ha]t, so nicht vorgesehen. Die
Geschichte des Dopings in Deutschland habe gezeigt, dass sich etliche
Verbände im Zweifel für das Verbandswohl und gegen den Kampf gegen Doping
entschieden hätten.
Um solche Selbstschutzmechanismen des Sports erst gar nicht in Gang zu
setzen, wurde vor zwei Jahren das [4][Zentrum Safe Sport] als Anlaufstelle
für „Betroffene sexualisierter, psychischer und physischer Gewalt im Sport“
gegründet.
1 Nov 2024
## LINKS
[1] /Missbrauch-im-Schwimmsport/!5874554
[2] https://www.dsv.de/fileadmin/dsv/documents/Pressemitteilungen/Kurzfassung_z…
[3] https://cdn.dosb.de/user_upload/SafeSport/Dateien/Muster_Safe_Sport_Code_fu…
[4] https://ansprechstelle-safe-sport.de/
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Sexualisierte Gewalt
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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