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# taz.de -- Turntrainer Béla Károlyi ist tot: Schweigen über den Schinder
> Der US-Turnverband listet in Gedenken an Béla Károlyi nur Erfolge und
> seinen Platz in der Hall of Fame auf. Unrühmliches wird nicht
> angesprochen.
Bild: Hauptsache Gold: Béla Károlyi trägt die sich aufopfernde Kerri Strug b…
Schmucklos und ohne die übliche Ehrerbietung hat der US-Turnverband die
Nachricht vom Tod einer seiner größten Medaillenschmiede verbreitet. Béla
Károlyi, teilte USA Gymnastics am Wochenende mit, sei am Freitag im Alter
von 82 Jahren gestorben. Seine Erfolgszahlen aus seinem Heimatland Rumänien
und den USA sind aufgeführt: 9 Olympiasieger, 15 Weltmeister, 12
EM-Medaillengewinner.
Die rumänische Wunderturnerin [1][Nadia Comaneci] ist erwähnt, die unter
den Fittichen von Béla Károlyi und seiner Frau Marta Weltruhm erlangte. Von
deren Flucht 1981 von Rumänien in die USA wird berichtet, nach welcher das
Ehepaar etliche US-Turnerinnen in die Weltspitze brachte und diesen damit
einen Platz in der USA Gymnastics Hall of Fame ermöglichte. In dieser
Ruhmeshalle, heißt es, seien Béla und Marta Károlyi im Jahr 2000
aufgenommen worden.
Die nüchterne Aufzählung eingefahrener Erfolge kann jedoch das dröhnende
Schweigen über das Unrühmliche nicht übertönen. Der Respekt vor dem Toten,
würde vermutlich der Verband argumentieren, würde dies zu dem Zeitpunkt so
gebieten. Der Respekt vor den Lebenden, den Betroffenen des brutalen
osteuropäischen Drillsystems der Károlyis, fehlt allerdings bis heute. Dass
das Trainerpaar bis heute einen Ehrenplatz in der Gymnastics Hall of Fame
hat, spricht Bände.
[2][Das System physischer und psychischer Gewalt,] das die Károlyis in
völliger Abgeschiedenheit 110 Kilometer nördlich von Houston aufbauten, wo
die besten US-Turnerinnen für den Erfolg geradezu geknechtet wurden, geriet
nur aufgrund eines anderen exzessiven Verbrechens im Jahr 2016 in den
Blickpunkt einer größeren Öffentlichkeit. Der dort arbeitende Sportarzt
Larry Nasser missbrauchte über 250 Mädchen und Frauen. Die Geschichten, die
nach und nach bekannt wurden, fügten sich zu einer entsetzlichen, schier
endlosen Serie sexueller Gewalt. Nasser wurde zu 40 bis 175 Jahren Haft
verurteilt.
## Inszenierung als Opfer
Der für seine Kontrollsucht berüchtigte Béla Károlyi beteuerte damals in
einem NBC-Interview, von nichts gewusst zu haben, und inszenierte sich
selbst als Opfer: „Dieser miserable Mann hat alles zerstört, wofür ich
gearbeitet habe – meine Einrichtungen, meine Träume … und auch meine
Gesundheit.“ Dabei hätte die Aufarbeitung der Verbrechen von Nasser es
eigentlich erfordert, deren begünstigende Strukturen in den Blick zu
nehmen.
Berichte der Betroffenen dokumentieren, dass Nasser vom repressiven Regime
der Károlyis profitierte, mit Trost, Verständnis und Schokolade die
Turnerinnen erst einmal für sich gewann. Im Zuge der Ermittlungen gegen
Nasser wurde von einer Turnerin auch Klage gegen das Ehepaar Károlyi
eingereicht – jedoch ohne Erfolg. [3][Sexuelle Gewalt blieb das alles
überschattende Thema.] Die physische und psychische Gewalt, die dieser den
Weg geebnet hatte, bleibt bis heute unterbelichtet.
Dominique Moceanu, Goldmedailleingewinnerin in Atlanta 1996, berichtete im
Jahr 2008 von körperlichen Belastungen im Training, die zu Verletzungen an
Beinen, Handgelenken und Schultern geführt hätten. Trudi Kollar, die unter
dem Namen Emelia Eberle als Mitglied des rumänischen Turnteams 1980 eine
Silbermedaille gewann, erzählte ebenfalls 2008 von brutalen körperlichen
Züchtigungen. „Niemand ist perfekt, also haben wir offensichtlich Fehler
gemacht. Und wir haben von Béla überall Schläge auf alle unsere Körperteile
bekommen. (…) Ich hatte Eiter hinter den Ohren, aber das schien niemanden
zu interessieren.“ Berüchtigt war Béla Károlyi auch wegen seiner
Demütigungen. Turnerinnen wurden vor dem versammelten Team als „fett“ und
„dumm“ beschimpft.
Bei den Olympischen Spielen 1996 nötigte er hörbar („You can do it“) die
frisch am Knöchel verletzte Kerri Strug zu einem letzten Sprung, nach dem
sie nicht mehr laufen konnte, und trug sie dann zur Siegerehrung und
Goldmedaille. Auch dieser Erfolg half wohl dabei, dass er vier Jahre später
in die Ruhmeshalle aufgenommen wurde.
19 Nov 2024
## LINKS
[1] /Kolumne-Kulturbeutel/!5031938
[2] /Sexuelle-Gewalt-im-US-Sport/!5694139
[3] /Missbrauch-im-US-Turnsport/!5798013
## AUTOREN
Johannes Kopp
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Gewalt im Sport
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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