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# taz.de -- Mental Health bei Olympia: Auch die Stärksten haben Schwächen
> Mentale Gesundheit im Leistungssport ist seit Olympia 2021 kein Tabu
> mehr. Auch dank Stars wie Simone Biles und Naomi Osaka, die in Paris
> dabei sind.
Bild: Turnerin Simone Biles Anfang Juni bei den U. S. Gymnastics Championship…
Es ist wieder viel von Marie-José Pérec die Rede in diesen Tagen vor der
Eröffnung der Olympischen Spiele von Paris. Die dreifache Olympiasiegerin
aus Frankreich gilt als eine der Kandidatinnen für das Entflammen des
Olympischen Feuers, jenes archaischen Rituals zu Beginn der Spiele. Doch
nicht nur darüber wird gesprochen im Land des Olympiagastgebers.
Eine frische Fernseh-Dokumentaion wirft noch einmal einen Blick auf die
spektakuläre Karriere der Sprinterin, die zu ihren besten Zeiten zwischen
1992 und 1996 als schier unschlagbar über 400 und 200 Meter galt. Ihre
nicht minder spektakuläre Flucht von den Olympischen Spielen 2000 in Sydney
ist natürlich auch ein Thema der Doku.
Alle Welt wartete damals auf den Showdown der besten 400-Meter-Läuferinnen
jenes Jahres, der Australierin Kathy Freeman und Marie-José Pérec. Doch
Pérec reiste noch vor ihrem ersten Vorlauf ab. Mehrere Jahre war sie
regelrecht auf der Flucht und ließ ihre Fans in Frankreich, wo sie
vergöttert wurde wie kaum eine Sportlerin zuvor, im Unklaren über ihre
Motive.
In der Doku sagt sie: „Damals hat man nicht offen darüber sprechen können.
Es war Naomi Osaka, die den Mut dazu hatte und ich bin ihr dankbar dafür.“
Es geht um die mentale Gesundheit von Sportlerinnen und Sportlern, den
Druck, unter dem gerade die so sehr leiden können, von denen am meisten
erwartet wird.
## Abreise bei den French Open 2021
[1][Naomi Osaka, die US-amerikanisch-japanische Tennisspielerin], hatte
2021 bei den French Open zum ersten Mal darüber gesprochen, dass sie mit
psychischen Problemen zu kämpfen hat. Sie hatte darum gebeten, den
verpflichtenden Pressekonferenzen nach den Spielen fernbleiben zu dürfen.
Nachdem ihr das verweigert worden war, reiste die damals beste
Tennisspielerin der Welt, die zu Jahresbeginn 2021 die Australian Open
gewonnen hatte, ab.
Als sie später im Jahr bei den Spielen von Tokio als Hoffnungsträgerin
einer ganzen Nation das Olympische Feuer bei der Eröffnungsfeier
entflammte, war sie eine der am besten verdienenden Sportlerinnen der Welt,
zierte das Cover von Modemagazinen und war Protagonistin eine Netflix-Serie
über ihre Karriere.
Die Favoritin auf Gold verlor dann im Achtelfinale des olympischen
Tennisturniers klar mit 1:6, 4:6 gegen die Tschechin Markéta Vondroušová.
Osaka schien unter all dem Druck, den auch sie selbst sich gemacht hatte,
zusammengebrochen zu sein. Das Thema mentale Gesundheit hatte Olympia
erreicht.
Bei denselben Spielen brach [2][Simone Biles], die vielleicht beste
Turnerin aller Zeiten, die bei den Spielen zuvor in Rio de Janeiro vier
Goldmedaillen gewonnen hatte, den Mannschaftswettbewerb nach ihrem Sprung
ab. Statt der angekündigten zweieinhalb Schrauben hatte sie nur eineinhalb
gezeigt und bei der Landung einen weiten Ausfallschritt gemacht.
## Turnwelt unter Schock
Alle konnten sehen, dass da etwas nicht stimmte mit der Athletin, die in
der Qualifikation an allen Geräten noch überzeugt hatte. Später erklärte
Biles, dass sie einfach nicht mehr konnte und sich aus mentalen Gründen aus
dem Wettbewerb zurückziehen werde. Nicht nur die Turnwelt stand unter
Schock.
[3][Naomi Osaka und Simone Biles sind in Paris wieder mit dabei.] Während
Osaka, nach der Geburt ihrer Tochter, erst wieder anfängt, sich größere
Ziele im Tennissport zu setzen, ist Biles nicht nur in Frankreich
omnipräsent. Sie ist eines der Gesichter, mit der die Spiele in den Städten
für sich werben. Sie hat die Rolle als möglicher Superstar der Spiele
angenommen, auch weil sie beweisen möchte, dass ein selbstbestimmter
Leistungssport für Turnerinnen möglich ist.
Diese Mission verfolgt sie seit 2018. Da gehörte sie zu den Turnerinnen,
die andauernden Missbrauch im Turncamp des US-Verbands öffentlich machten.
Ihren Kampf gegen die [4][brutalen Strukturen im Verband], der sie dazu
zwingen wollte, in ebenjenem Turncamp weiter zu trainieren, in dem sie und
etliche andere Athletinnen missbraucht worden waren, setzte sie nach den
Spielen 2021 fort.
In einer Anhörung vor dem US-Senat beschuldigte sie unter anderen [5][das
FBI, den Anzeigen der Sportlerinnen keinen Glauben geschenkt] und es so
ermöglicht zu haben, dass noch weitere Turnerinnen dem Missbrauch durch
Betreuer zum Opfer gefallen sind. Gleichzeitig war sie das Gesicht einer
Turnshow, die unter dem Namen „Gold over America“ durch das Land getourt
ist und befreit von den verbrecherischen Verbandsstrukturen Turnen als
Profisport inszeniert hat.
## Ein Gegenentwurf zu den finsteren Zeiten
Die Zeiten, in denen sich ein Trainer noch dafür feiern lassen konnte, dass
er eine verletzte Turnerin ans Gerät ließ, um sie daraufhin zur
Siegerehrung zu tragen, sollen endgültig der Vergangenheit angehören. Die
Bilder der Olympischen Spiele von 1996 in Atlanta, die zeigen, wie Trainer
Béla Károlyi die damals 18-jährige Kerry Strugg zum Podest trug, sind
unvergessen. Er wurde gefeiert für den lang ersehnten Sieg der US-Staffel
über das eigentlich überlegene Russland.
Wie der Erfolg zustande gekommen ist, hat damals kaum einer in Frage
gestellt. Die Turnschmiede in Texas, in der so viele Sportlerinnen nicht
nur trainingsmethodisch gequält wurden und in der Biles nicht länger
arbeiten wollte, trug den Namen des Schinders.
Biles repräsentiert wie keine andere den Gegenentwurf zu diesen finsteren
Zeiten des Turnsports. Dass ihr Team, das bei den Spielen von Tokio ohne
sie die Goldmedaille im Teamwettbewerb verpasst hat, zu ihr stand, nachdem
sie den Wettkampf abgebrochen hatte, ihr den Rücken gestärkt hat, sodass
sie am Ende der Wettbewerbe sogar wieder in der Lage war, im Gerätefinale
am Schwebebalken anzutreten, ist gewiss auch ein Zeichen des Wandels.
Auch die Stärksten dürfen Schwächen zeigen. Marie-José Pérec wäre ein
jahrelanges Versteckspiel vor der Öffentlichkeit wohl erspart geblieben,
wäre das zu ihrer Zeit schon so gewesen.
26 Jul 2024
## LINKS
[1] /Absage-fuer-die-Australian-Open/!5904768
[2] /Comeback-des-US-Turnstars-Simone-Biles/!5961110
[3] /Athletinnen-mit-psychischen-Belastungen/!5787548
[4] /Sexuelle-Gewalt-im-US-Sport/!5694139
[5] /Turnerinnen-wollen-Geld-vom-FBI/!5856948
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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