# taz.de -- Dankbarkeit für die Psyche: Finger in die Luft! | |
> Wenn man sich freut, soll man den Zeigefinger hochstrecken und laut | |
> „Delight“ rufen. Ist das Quatsch oder hilfreich? | |
Bild: Heiter bis wolkig | |
Dankbarkeit, Achtsamkeit, Aufmerksamkeit. Wörter, die mich schaudern | |
lassen. [1][Vor dem Schlafen sollte man sich besinnen und aufschreiben, für | |
welche Momente man an diesem Tag dankbar ist]. Mich erinnert das an die | |
Tischgebete im Kindergarten, die wir stehend an den Mann am Kreuz richten | |
sollten. Vielleicht schaffe ich es auch deshalb nicht, regelmäßig meinen | |
Dank in ein Notizbuch zu schreiben. | |
Dabei tut es der Psyche gut, sich auf das Glück zu fokussieren. Forschende | |
testeten zum Beispiel ein Dankbarkeitstraining mit einer App und stellten | |
fest, dass die depressiven Symptome und Ängste ihrer Proband:innen | |
abnahmen, auch [2][Schlafstörungen] besserten sich, und das nicht nur | |
kurzfristig. In der Psychotherapie werden daher immer mehr | |
Dankbarkeitsübungen eingesetzt. | |
Weil ich mich mit dem Tagebuch schwertue, schickt mir eine Freundin einen | |
Artikel. Darin wird geraten, den Zeigefinger in die Luft zu strecken und | |
laut „Delight“ zu rufen, für Vergnügen, Freude, Genuss. Egal, wie klein es | |
ist. Und egal wo, an der Kasse, der Bushaltestelle, im Restaurant. | |
Hauptsache, Finger in die Luft und den Moment würdigen. Das ist | |
einigermaßen bekloppt, also will ich es ausprobieren. | |
## Delight! | |
Nach Feierabend radle ich zum See, alles klebt, ich springe ins Wasser und | |
schwimme raus. Es ist das erste Mal in diesem Sommer. Also Finger hoch. | |
„Delight“, rufe ich übers Wasser. Das macht Spaß und ich sammle weiter: | |
Zusammengeworfene Reste aus dem Kühlschrank draußen auf einer Parkbank | |
essen. Delight! | |
Eine ältere Frau fährt auf einem dieser Senioren-Scooter vorbei und hört | |
dazu laut Musik. Es klingt nach Neue Deutsche Welle. Delight! | |
Ein Aprikosencroissant, das aus mindestens so viel Marmelade wie Teig | |
besteht. Delight! | |
Auf einer [3][Fahrradtour] schaue ich über meine Schulter, hinter mir | |
fahren meine drei besten Freunde nebeneinander. Wir sind zusammen | |
aufgewachsen. Delight! | |
Ein Marienkäfer landet auf meinem Oberarm. Delight! | |
Ich könnte mir doch einen deutschen Ausruf ausdenken, das würde gleich | |
weniger kitschig wirken, wird mir geraten. Hurra zum Beispiel, oder | |
Jippieh! Sie hat recht, aber der Ausruf und mein Finger gehören jetzt schon | |
zusammen. Und Delight klingt wie eine Süßigkeit. | |
## Die Leichtigkeit kehrt zurück | |
Schnell merke ich eine Wirkung von dem ganzen Finger-in-die-Luft-Gereiße. | |
Was hat mich in den letzten Wochen besonders gefreut? Normalerweise müsste | |
ich überlegen. Jetzt ist es, als würde ich eine Kiste voller Schnappschüsse | |
öffnen. Oma, Parkbank, See, der Käfer – alles da. | |
Das neue Ritual bringt noch etwas mit sich: Leichtigkeit. Als ich Kind war, | |
hat man immer meine Fußsohlen gesehen, erzählte mir meine Mutter einmal. | |
Weil ich mehr gehopst als gelaufen bin. Je älter man wird, desto weniger | |
federt man durchs Leben, stattdessen wird gehetzt und geschlurft. Wenn ich | |
jetzt meinen Finger in die Luft strecke, ist das wie ein Hopser. Ich muss | |
grinsen über diese quatschige Geste, die dem Erwachsensein eine Sekunde | |
lang die Ernsthaftigkeit nimmt. | |
So wie gerade. Ich sitze im Zug, während ich das tippe, und schaue hoch aus | |
dem Fenster. Ein Reh steht im Feld. Hey du, denke ich, und es guckt zurück. | |
Delight! | |
Neulich bin ich mit zwei Freundinnen durch den Regen gelaufen. Sechs Uhr | |
morgens, wir gehen mitten auf der Straße. Die schweren Tropfen klatschen | |
uns ins Gesicht. „Delight“, höre ich es neben mir. Es ist ansteckend. | |
7 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Sophie Fichtner | |
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