Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zustellung von Zeitungen: Drohnen gegen Populismus
> Immer weniger Menschen lesen Zeitungen, auch in Welzow. Das verteuert die
> Zustellung. Die Kleinstadt in Brandenburg sucht neue Wege – sogar aus der
> Luft.
Bild: Anzeigenblatt aus der Luft – und bald auch Nachrichten?
Welzow taz | An diesem herbstlichen Dienstagmorgen stehen Horst und Sabine
Buda am Rand des Feldwegs, der ihr abgelegenes Grundstück von der
umliegenden Wiese und dem Wald trennt. Um diese Uhrzeit wären sie längst
mit dem Auto Richtung Welzow unterwegs, hätten den Zeitungsausträger in der
Kleinstadt abgefangen, um ihm den langen Weg zum Haus zu ersparen.
Doch heute warten sie im Nieselregen, wie aufgetragen, als ein leises
Surren in der Ferne erklingt. Über den Baumwipfeln erscheint ein roter,
länglicher Kasten mit Rotoren statt Flügeln und vier Beinen, die abstehen
wie bei einem Insekt. Er fliegt auf sie zu, sinkt ab und wirbelt Blätter
auf. „Ist die laut!“, brüllt Horst Buda gegen das nun dröhnende
Hubschrauber-Surren an. Dann – Stille.
Vor den Budas, die dünnen Beine in den Matsch gekrallt, steht: eine
schmale Drohne, kaum einen Meter lang. Kritisch beäugt Horst Buda das
Gerät, tritt heran, kniet nieder und zieht zweimal an einer am Unterbau
befestigten Box, bis er sie in den Händen hält. Er klappt den Deckel auf:
eine Schnapsflasche und daneben – ordentlich zusammengerollt – das
Anzeigenblatt, das sie seit Jahren regelmäßig lesen.
Einige Haushalte in Welzow, dem kleinen Dorf am Lausitzer Seenland im
Südosten Brandenburgs, sollen künftig nicht mehr von Boten mit örtlichen
Anzeigenblättern und Tageszeitungen versorgt werden, sondern von Drohnen.
Die hohen Zustellkosten für Zeitungsverlage in abgelegenen Regionen, wie
dem Kreis Spree-Neiße, verlangen nach neuen Lösungen.
## Welzow geht in die Testphase
Die Probleme sind bekannt: sinkende Auflagen, steigende Mindestlöhne und
ein Mangel an Zustellern. Wird es zu teuer, stoppen Verlage den Druck:
Schon vergangenes Jahr haben Funke und Madsack entschieden, die
[1][Ostthüringer Zeitung ] und den Prignitz-Kurier in Teilen nur noch als
E-Paper herauszugeben. Jetzt zieht die Süddeutsche Zeitung auf andere Weise
nach: Außenbüros in Landkreisen machen dicht, die lokale Berichterstattung
wird radikal heruntergefahren, das, was bleibt, wird digital.
Die [2][Lausitzer Rundschau] dagegen wird jeden Tag noch 50.000 Mal
gedruckt und geliefert. 180.000 Menschen lesen sie. Mithilfe der Politik
sollen deshalb Lösungen gefunden werden, Lieferketten weiterhin
aufrechterhalten zu können.
Welzow geht dafür jetzt in die Testphase. Im Rahmen des vom Ministerium für
Digitales und Verkehr geförderten Projekts „5G Testbed BB“ wird in Stadt
und Umkreis ein innovativer Ansatz ausprobiert, um Zeitungen zukünftig
flächendeckend ausliefern zu können. Besonders in ländlichen Gebieten ist
es schwer, die Zustellkosten für die Zeitungslieferung zu decken. Das führt
zu immer mehr „weißen Flecken“ auf der Zustellkarte, also Regionen, in
denen Zeitungen nicht mehr zugestellt werden können.
Mit seinen knapp 83 Einwohnern pro Quadratkilometer gehört Welzow zu den am
dünnsten besiedelten Gegenden Deutschlands. Halb verfallene Häuser, gebaut
aus rotem Backstein, die Fensterscheiben eingeschlagen, reihen sich am
Straßenrand des Ortszentrums. Es gibt einen Kindergarten, einen Hofladen.
Fußgänger sieht man kaum, die meisten der über 3.000 Einwohner sind im Auto
unterwegs. Die Wege hier sind lang, unbefestigte Straßen verbinden die weit
voneinander entfernten Grundstücke um den Ort herum miteinander. Auch der
ein Kilometer lange Feldweg, der zum Haus der Budas führt, ist in einem
maroden Zustand.
Statt solche abgelegenen Grundstücke über schlechte Straßen anzufahren –
was Zeit und Personal benötigt –, sollen Zusteller die Drohnen in Zukunft
von ihrem Lieferwagen aus mit Zeitungen losfliegen lassen, um Haushalte in
schwer erreichbaren Gebieten beliefern zu können. Überwacht werden sollen
die Flüge aus der Zentrale des Drohnenunternehmens im westfälischen
Lüdenscheid, während die Boten im brandenburgischen Welzow gleichzeitig
andere Haushalte beliefern.
## Aus der Tiefe in den Himmel
Welzow hält als letzter [3][Braunkohleort Brandenburg]s die Stellung –
noch. 160 Jahre Tradition enden spätestens 2038 mit dem Kohleausstieg. Die
Stadt muss umdenken, um wirtschaftlich zu bestehen. Bürgermeisterin Birgit
Zuchold (fraktionslos) sieht im Ausbau des 5G-Netzes und in
Drohnenprojekten „eine Chance“.
Auf dem ehemaligen Militärflugplatz Spremberg-Welzow könnte ein
Logistik-Hub entstehen, auch von dort sollen Drohnen abgelegene Regionen
auch mit anderen Gütern als Zeitungen versorgen. Das bringt die Stadt
Welzow mit der Lausitzer Rundschau zusammen und die Budas vor ihr Haus, um
den ersten und vorerst letzten Testflug durchzuführen: Am Flugplatz wird
die Transportdrohne beladen, zwei Kilometer über Wiesen und Wälder
geflogen, um die Budas am gleichen Tag mit der aktuellen Ausgabe des
Anzeigenblatts des Verlags und einer Schnapsflasche – ganz nach Horst Budas
Geschmack – zu beliefern.
Die Auflage der Tageszeitung Lausitzer Rundschau verzeichnete seit 1998 ein
Minus von über 70 Prozent – ein Trend, der auch andere Lokalzeitungen
betrifft. „Mit sinkenden Auflagen steigt der Preis pro Zeitung“, erklärt
Jerome Schwabe, Geschäftsführer der Zustellgesellschaft Lausitz GmbH,
welche zuständig für die Auslieferung der Zeitungen ist. „Bevor wir diese
Gebiete aufgeben, setzen wir lieber Drohnen ein“, so Schwabe. Niemand dürfe
abgehängt werden, weder die Menschen, die nicht auf digital umsteigen
wollen, noch die, die in zersiedelten Gegenden leben.
Klaus Hiller, Innovationsmanager des Projekts, ist sich sicher, dass die
Digitalisierung noch nicht die Lösung darstellt. Laut ihm brauche es
allerdings eine effiziente Logistik, die es ermöglicht, die Zustellung
kostengünstig aufrechtzuerhalten.
## Zeitung genehmigt!
Das Drohnenprojekt in Welzow ist nicht das erste in der Region. Bereits im
vergangenen Jahr transportierte eine Drohne medizinische Proben von Guben
nach Cottbus. An anderen Orten halfen sie, Ertrinkende schneller zu finden.
Doch alle Versuche scheiterten an der bestehenden Gesetzeslage: Unbemannte
Drohnen dürfen in Deutschland nicht über bewohntem Gebiet fliegen. „Dabei
könnten wir das Leben im ländlichen Raum attraktiver machen“, sagt Hiller.
Auch in Welzow wird es noch Jahre dauern, bis Drohnen regelmäßig fliegen
dürfen. Das Projekt läuft zum Jahresende nach acht Monaten Testzeit aus,
die nötigen Fördergelder fallen weg. Hinzu kommt die bürokratische Hürde:
Obwohl das Drohnenunternehmen eine Genehmigung für den Ort hat, muss jeder
Flug sowie jedes mitgeführte Behältnis einzeln genehmigt werden.
Es ist wichtig, Menschen zuzuhören, wenn sie ihre Wünsche und Bedürfnisse
äußern – auch in ländlichen Regionen wie Welzow. Geschieht das nicht,
werden womöglich nicht nur die analogen Zeitungsleser vom Weltgeschehen
abgehängt, sondern ebenso Populismus gefördert.
## Drohnen müssen vielseitig sein
Auch der Deutsche Journalisten-Verband zeigt sich daher offen für neue
Ansätze: „Alles ist willkommen, was eine größtmögliche Versorgung der
Menschen mit dem Produkt Zeitung gewährleistet“, erklärte ein
Pressesprecher der taz auf Anfrage. Sonst drohe Deutschland ein ähnliches
Schicksal wie den USA, wo Gebiete ohne Lokalzeitung und Lokalradio zu
Nährböden für Desinformation und politischen Extremismus werden –
sogenannte „News Deserts“. Der Bundesverband Digitalpublisher und
Zeitungsverleger (BDZV) warnt: Bis 2025 werden etwa 4.400 deutsche
Kommunen, also 40 Prozent aller Gemeinden, wohl ohne Lokalzeitung auskommen
müssen.
Es wirkt widersprüchlich, teure Zustellung mit noch teurerer Technik zu
lösen. Das Problem sehen auch die Projektbeteiligten in Welzow: „Es geht
jetzt darum, die Kosten für die Nutzung zu senken“, erklärt Hiller. Eine
Lösung könnte darin bestehen, die Drohnen vielseitig einzusetzen – nicht
nur für die Zustellung von Anzeigen. Sie könnten Medikamente ausfliegen,
per Sensor Daten zu Ackerflächen und Borkenkäfern sammeln oder Post und
Pakete ausliefern. Nur so, ist sich Hiller sicher, werde das Modell auch
für die Zeitungslieferung wirtschaftlich tragfähig. Ein Antrag auf
Weiterförderung sei bereits gestellt worden, wie das Ministerium für
Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg auf Anfrage der taz
mitteilte.
Auch die Budas fragen sich, ob Drohnen die Lösung für Welzow sein könnten –
ein Ort, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht und schon immer die
Lausitzer Rundschau gelesen haben. In Horst Budas Familie ist ein
Abonnement der Tageszeitung Tradition: Schon seine Eltern lasen sie, er
brachte sie zusammen mit seiner Frau 15 Jahre lang zu den Haushalten der
Region. Ein Umstieg auf ein E-Paper kommt für ihn nicht infrage. „Ich
glaube, digital würde ich die Zeitung nicht lesen. Dann würde ich
aufhören“, sagt der Rentner. „Außerdem hat nur die Sabine ein Handy, und
das schalte ich höchstens ein und aus.“
22 Nov 2024
## LINKS
[1] /Digitaler-Wandel-im-Lokaljournalismus/!5923448
[2] /Lokalzeitungen-in-Brandenburg/!5497304
[3] /Die-Lausitz-im-Strukturwandel/!5987607
## AUTOREN
Christina Koppenhöfer
Chiara Joos
## TAGS
Zeitungsmarkt
Zeitungssterben
Zeitungszusteller
Schwerpunkt Zeitungskrise
Zeitungsverlage
Brandenburg
Social-Auswahl
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Jeff Bezos
Zeitungssterben
## ARTIKEL ZUM THEMA
Was Ostdeutschland anders macht: Ein Jahr Osten
Im Fokus der taz-Berichterstattung standen in den letzten zwölf Monaten die
Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Ein persönlicher Rückblick.
Jeff Bezos und die Pressefreiheit: Für eine Zwangsabgabe an Qualitätszeitunge…
Amazon-Gründer Jeff Bezos hat der Washington Post verboten, ihre
traditionelle Wahlempfehlung abzugeben. Mit Unabhängigkeit hat das nichts
zu tun.
Gründer von neuer Print-Zeitschrift NBIZ: „Online lesen möchte ich nicht“
Inmitten des Zeitungssterbens hat der Artdirector Johannes Beck eine
Print-Zeitschrift gegründet. Ist das oldschool oder Avantgarde?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.